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Christoph Heinrich: Strategisch wichtige Unternehmen transformieren

Christoph Heinrich ist als Vorstand des WWF Deutschland zuständig für die Naturschutzarbeit. Zuvor leitete er beim NABU Bundesverband bis 2004 den Fachbereich Naturschutz und Umweltpolitik. Der Diplom-Geograph ist seit seiner Jugend ehrenamtlich im Naturschutz tätig und Mitglied zahlreicher Naturschutzorganisationen.

denkhausbremen: Wie sind Sie zum Naturschutz gekommen?

Christoph Heinrich: Ich bin im Grunde genommen seit meiner Kindheit im Naturschutz aktiv. Schon im Alter von zehn Jahren bin ich in den NABU eingetreten, bin dann immer dabei geblieben und hab das zu meinem Beruf gemacht.

Wie haben Sie die 1970er Jahre erlebt? Der Club of Rome brachte die Studie “Grenzen des Wachstums” heraus. War das in der damaligen Naturschutzszene ein Thema?

Absolut! Aber beim damaligen Vorgänger des NABU, dem deutschen Bund für Vogelschutz, gab es auch Irritationen. Aus Sicht der Naturschützer gab es jetzt eine Bewegung, die aus Umweltschutz was Politisches machen wollte. Viele traditionelle Naturschützer wollten sich jedoch aus der Politik lieber raushalten. Gleichwohl war das Thema interessant, neu und aufregend. Man konnte Avantgarde sein, wenn man über Naturschutz und Ökosysteme sprach.
Zusätzlich sorgte der Ölschock für eine Zäsur im Denken. Und in diese Zeit fällt auch die Ausweisung des ersten deutschen Nationalparks. Zusammengefasst kann man sagen, dass es das Thema Umweltschutz damals über die Wahrnehmungsschwelle hinaus geschafft hatte.

Wie ging es dann weiter in den 1980er Jahren?

Zunächst würde ich gerne mit dem Vorurteil aufräumen, dass sich alle Naturschützer nur für Vögel, Käfer und Pflanzen interessieren. Wir hatten damals wie heute einen durchaus politisch interessierten Blick auf die Gesellschaft. Die Grünen hatten jemanden wie Joschka Fischer, der das Ganze nonkonformistisch anging und für viele eine Art Held war. Der hatte mit Naturschutz zwar nicht viel am Hut, aber in der Öffentlichkeit eine enorme Wirkung und die Grünen haben unsere Themen hochgehalten. Anschließend gingen die Grünen in die Regierung, in den Streit um die Hanauer Atomanlage kam Bewegung – und das Naturschutzgebiet, für das wir uns schon immer eingesetzt hatten, wurde plötzlich ausgewiesen. Es taten sich schon Dinge!

Außerdem gab es in der Naturschutzbewegung zu der Zeit ganz klar eine Spaltung! Auf der einen Seite waren im BUND eher links denkende und wählende Lehrer und Akademiker organisiert.
Im Gegenteil dazu engagierten sich in meiner NABU-Ortsgruppe in Südhessen in erster Linie sowohl konservative Handwerksmeister, Angestellte und Arbeiter als auch „Grüne“. Es ist eine Stärke von Verbänden wie dem NABU, tief in der gesellschaftlichen Mitte verwurzelt zu sein. Das wird oftmals vergessen.

In den 90er Jahren wurde nach dem Umweltgipfel in Rio das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in die politische Debatte eingeführt, das Ökologie, Soziales und Ökonomie miteinander verbinden sollte. Es gab Kritik aus der Umweltbewegung, dass die Wirtschaft mit ins Boot geholt wurde…

Aus meiner Sicht gehört die Wirtschaft mit dazu. Sie gedanklich abzukoppeln wäre utopisch. Die Wirtschaft muss mitgedacht werden, denn die soll ja nachhaltig und im Übrigen auch sozial werden.

Wie hat sich der WWF historisch seit den 1970er Jahren entwickelt?

Der WWF kommt aus einer anderen Sozialisierung und Historie. Er ist 1963 gegründet worden und war in den 70er Jahren noch jung. Damals lag der Fokus auf Feldprojekten, die auf Norddeutschland begrenzt waren. Zu Beginn der 80er Jahre war der WWF noch stärker im konservativen Lager verankert – mit einem starken Naturschutzherz. Beim Kampf um die Wattenmeer-Nationalparke hat der WWF dann auch politisches Profil entwickelt und war eine treibende Kraft in der Debatte. Diese Leistung des WWF wird aus meiner Sicht bis heute unterschätzt.

1992 kam der Begriff der nachhaltigen Entwicklung auf, der auf der Rio-Konferenz geprägt wurde. Der WWF hat dem durch das Konzept des ökologischen Fußabdrucks Rechnung getragen und sich dadurch thematisch sehr viel breiter aufgestellt. Heute ist der WWF nicht mehr einem bestimmten politischen Lager zuzuordnen, unsere Unterstützer sind hinsichtlich ihrer Soziologie und politischen Einstellung sehr gemischt. Aus meiner Sicht sollte sich der WWF auch in Zukunft weiterhin politisch neutral positionieren, und dabei darauf achten, dass er sowohl im progressiven wie im konservativen Lager gehört wird.

Ist das auch eine originäre Rolle des WWF im Spektrum der großen Umweltverbände?

Also, programmatisch unterscheidet uns kaum etwas von den anderen großen Verbänden. Wir wollen aber auch ins bürgerliche Lager hinein eine Stimme sein, der man zuhört. Nichtsdestotrotz benennen wir auch unbequeme Wahrheiten und haben keine Tabuthemen.

Der WWF hat gute Beziehungen in die Wirtschaft, betreibt Unternehmenskooperationen und bewegt sich von daher in einem Spannungsfeld…

Als ich vor 13 Jahren vom NABU zum WWF gewechselt bin, gehörte es für mich zu den stärksten Eindrücken, wie professionell der WWF an Kooperationen mit den Unternehmen heranging. Wie kritisch und sorgfältig das schon damals geprüft wurde nach dem System der Due Diligence.

Für unsere Zusammenarbeit mit Unternehmen haben wir auch öffentliche Kritik einstecken müssen. Manchmal zu Recht, vieles geht aber auch auf die Legendenbildung zurück, dass der WWF Greenwashing begünstigt. Wir glauben nach wie vor, dass der kritische Dialog ebenso wie Kooperationen mit Unternehmen wichtig ist, allein schon weil sie so viele Ressourcen bewegen. Wir dürfen auch nicht den Fehler des Blackwashings begehen und sagen, dass Unternehmen per se „böse“ sind.

Unser Ansatz ist es, strategisch wichtige Unternehmen zu transformieren und zu ökologisieren, damit sie dann Impulse für ganze Märkte setzen. Das ist uns beispielhaft in der Kooperation mit EDEKA beim Thema Fisch gelungen. Durch die Selbstverpflichtung von EDEKA zu Fisch mit MSC-Gütesiegel haben wir in Deutschland den Fischmarkt bewegt. Mittlerweile gibt es zunehmend Fälle, in denen uns die Standards des MSC alleine nicht mehr ausreichen, aber als Basisanspruch ist er immer noch gut.

Der MSC verfolgt einen Multistakeholder-Ansatz, der Umwelt, Soziales und Ökonomie unter einen Hut bringen will. Gibt dabei nicht letztlich die Wirtschaft den Ton an, weil Unternehmen einfach mehr Ressourcen haben als WWF und Co.?

Da haben sie genau Recht! Wir machen hier gerade auch eine Neubestimmung. Im Fall des MSC haben wir in einigen Fällen wissenschaftlich untermauert, wo das System versagt. Aber deshalb muss man nicht gleich den ganzen MSC in Frage stellen, sondern ihn weiterentwickeln. Wer einmal geglaubt hatte, dass Ökosiegel die einzige Lösung sein könnten, der mag enttäuscht sein. Trotzdem brauchen wir solche Systeme, um Märkte zu verändern.

Die wachstumskritische Bewegung ist vor allem für junge Leute attraktiv. Kann das auch eine Frischzellenkur für die großen Verbände sein?

Unter Umständen ja. Allerdings zeigt uns die Erfahrung, dass viele der Leute, die da zusammenkommen, kein gesteigertes Interesse haben, sich an einen großen Verband zu binden. Aber wir beobachten natürlich sehr genau, was da läuft. Inhaltlich gibt es im Übrigen viele Übereinstimmungen, zum Beispiel mit den “Ende-Gelände-Braunkohle-Protesten”. Auch der WWF fordert ein sofortiges Moratorium für die Erschließung neuer Braunkohle-Abbauflächen und einen zügigen wie sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung.

Die Grundannahme der Postwachstums-Bewegung, dass auf einem begrenzten Planeten unendliches Wachstum nicht möglich ist, leuchtet erst mal ein…

Das sehen wir auch so und befassen uns deswegen intensiv mit Commodities (Waren und Rohstoffe), die den Planeten besonders stark belasten. Mit Studien hat der WWF belegt, dass wir zum Beispiel beim Fleisch oder bei bestimmten Agrarrohstoffen die Grenzen der Tragfähigkeit überschritten haben. Das ist besonders bei Soja oder Palmöl der Fall. Dort ist nicht nur die schiere Menge das Problem, sondern die Tatsache, dass diese Agrarrohstoffe in den Tropen angebaut werden, auf Kosten der biologisch reichsten Ökosysteme der Welt.

Brauchen wir auch absolute Obergrenzen oder einen globalen Landnutzungsplan, zum Beispiel für Palmöl?

Wir haben ja keine Weltregierung, deshalb wird eine globaler Landnutzungsplan nicht durchsetzbar sein. Auf regionaler Ebene, bei unseren Konzepten für bestimmte Regionen, spielt Landnutzungsplanung dagegen eine wichtige Rolle.

Was allerdings selten funktioniert, ist einfach nur Verzicht zu predigen – auch wenn klar ist, dass unser Planet Grenzen hat und unser ökologischer Fußabdruck schon viel zu groß ist. Wir brauchen ja schon heute 1,6 Planeten. Ich bin der Überzeugung, dass die notwendigen Konsequenzen daraus eher als Qualitätsangebot und nicht in erster Linie als Einschränkung kommuniziert werden sollten.

Beim Fleischkonsum haben wir schon einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel eingeleitet. Mit der Aussage “weniger, aber dafür besseres, weil natur- und tierverträgliches Fleisch” wird heute niemand mehr geschockt. Wir thematisieren den Fleischverbrauch offensiv und erhalten dafür überwiegend positives Feedback. Im Übrigen haben wir auch eine WWF interne Policy, dass bei unseren Veranstaltungen vegetarisches Essen angeboten wird – auch das kommt immer gut an!

Ist das BIP als Wohlstandsindikator noch zeitgemäß?

Natürlich nicht! Das ist ja ein Aberwitz: Naturzerstörung wird beim BIP sogar belohnt.

Die großen Umweltverbände könnten gemeinsam eine andere Wohlstandsmessung durchsetzen…

Das ist eine gute Anregung, allerdings müssten dann auch andere gesellschaftliche Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmensverbände und wissenschaftliche Institute mitziehen, sonst kriegt man das nicht durchgesetzt. Der WWF würde sich einer solchen Initiative aber nicht verschließen.

Muss ein Umweltverband öko und sozial zusammendenken?

Sicher, sonst fehlt uns bei vielen Themen die gesellschaftliche Akzeptanz. Nehmen wir den Kohleausstieg. Der WWF thematisiert gerade öffentlich, wie unterambitioniert das Kohleausstiegs-Szenario der Bundesregierung ist – im Verhältnis zum Pariser Abkommen. Wir fordern einen deutlich ambitionierteren Ausstiegspfad – aber stets versehen mit dem Attribut sozialverträglich.

Wir wollen uns jetzt verstärkt in der Diskussion um Braunkohle engagieren und haben uns daher ausführlich mit der sozialen Situation und den demografischen Kennzahlen der Beschäftigten in der Region auseinandergesetzt. Der Ausstieg kann nach den uns vorliegenden Fakten von der Gesellschaft sozialverträglich abgefedert werden. Außerdem werden auch in Zukunft viele Arbeitskräfte für Rückbau und Rekultivierung benötigt.

Was sind die relevanten Zukunftsthemen für die Umweltverbände?

Wir unterschätzen als Gesellschaft noch immer die Bedeutung der biologischen Vielfalt. Von dem zurzeit stattfindenden dramatischen Verlust werden wir uns in Millionen Jahren nicht erholen und deshalb gehört das Artensterben verstärkt auf die politische Agenda.