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Julia Balz: Naturschutz und Wachstum hängen zusammen

Julia Balz ist Referentin für Strategische Planung Umweltpolitik und Nachhaltigkeit beim NABU Bundesverband.

denkhausbremen: Die großen Umweltverbände haben sich über die Jahre immer weiter professionalisiert und feste Strukturen entwickelt. Sie sind bereits längere Zeit hauptamtlich für den NABU tätig. Welche Veränderungen haben Sie in dieser Zeit wahrgenommen?

Julia Balz: Der NABU ist in den letzten Jahren, die ich dort beschäftigt bin, sehr gewachsen. Das betrifft die Zahl der Mitglieder und Förderer, aber auch der Mitarbeitenden, auch im Fachbereich Naturschutz und Umweltpolitik, in dem ich tätig bin. Dazu habe ich den Eindruck, dass bestimmte gesellschaftliche Themen heute eine größere Rolle spielen. Diskussionen um Postwachstum und sozial-ökologische Transformation stehen in den letzten Jahren neben klassischem Naturschutz auch auf der Agenda. Die Beschäftigung mit diesen Themenfeldern nimmt zu, beim NABU wie auch in der gesamten Umweltszene. Da liegt etwas in der Luft.

Können Sie das konkret an etwas festmachen? Gibt es Projekte in diese Richtung?

Das fängt mit Türgesprächen zwischen Kolleg*innen an. Teilweise bringen unsere jüngeren Referent*innen diese Ansätze direkt von der Uni mit. Sie werden aber auch von außen an uns herangetragen, etwa indem wir zu Veranstaltungen mit Bezug auf Degrowth eingeladen werden. Und wir selbst sehen und erleben bei den Themen, zu denen wir arbeiten, die Verknüpfung mit der Wachstumsfrage. Wenn wir die Biodiversität erhalten wollen, brauchen wir z.B. einen reduzierten Rohstoffverbrauch. Und das hängt doch ganz eng mit der Wachstumsfrage zusammen. Wir können so den Zeitgeist der aktuellen Debatten aufgreifen. Bei unseren Projekten versuchen wir seit jeher den gesamten Kontext zu beleuchten und vergessen nicht, welche sozialen Aspekte eine Rolle spielen.

Sehen Sie hier noch Potential für mehr Arbeit in dieser Richtung beim NABU?

Ja, ich sehe hier durchaus Potential, aber nicht nur für unseren Verband, sondern auch in der Politik und der Gesellschaft. Es gibt eine Bereitschaft, größere Zusammenhänge zu sehen und Bereiche zusammenzudenken. Hier muss aber noch viel passieren. Das kann gerade auch für Referent*innen eine Herausforderung sein, die ein eng umgrenztes fachliches Thema für den NABU bearbeiten.

Beim NABU wurde nun auch ein eigenes Team für ökonomische Fragen aufgebaut…

Das ist ein wichtiger Schritt. Viele Fragen oder Problemlösungsvorschläge in den verschiedenen Themenbereichen hängen miteinander und eben auch mit ökonomischen Fragen zusammen. Oftmals ist die Ökonomie – im positiven wie im negativen – die Triebfeder für umweltwirksame Prozesse. Statt immer nur an einzelnen Schrauben zu drehen brauchen wir deshalb auch eine kohärentes Konzept wie ein Wirtschaften aussehen soll, in dem diese Fragen beantwortet werden.

Gibt es denn eine gemeinsame Linie der Fachreferent*innen des NABU zu ökonomischen Fragestellungen?

Wichtig ist im ersten Schritt eine Vorstellung davon zu bekommen, was für ein Wirtschaften wir uns wünschen. Auf welche Vision möchten wir hier hinarbeiten. Dazu tauschen wir uns im NABU schon aus, beispielsweise auf fachübergreifenden Infoveranstaltungen und in Arbeitsgruppen. Wir haben unter anderen auch eine Arbeitsgruppe zum Thema nachhaltige Entwicklung und derzeit wird verbandsintern an einem gemeinsamen Verständnis zum Thema Bioökonomie gearbeitet. Darüber hinaus arbeiten wir an einer Fortentwicklung unseres “Masterplans 2020”, in dem wir vor einigen Jahren unsere Forderungen und Vorschläge für den Umwelt- und Naturschutz festgehalten hatten.

Spielen sozial-ökologische Fragen oder Wachstumskritik denn in der Kommunikation nach außen für den NABU eine Rolle?

Das steht in der Außendarstellung bisher nicht im Vordergrund. Das liegt vorwiegend daran, dass diese Themen beim NABU noch neu sind und jetzt erst intern heranwachsen. Solche Fragen kommunizieren wir aber heute immer wieder schon mit. Eine Reihe von NABU-Gruppen verknüpfen ihre Naturschutzarbeit vor Ort mittlerweile mit sozialen Themen. Allerdings arbeiten viele eher im Stillen und hängen das nicht an die große Glocke.

Gibt es für die Umweltverbände strukturelle Hemmnisse, sich mit wachstumskritischen Themen zu beschäftigen?

Das mag sein. Viele unserer Mitglieder haben traditionell einen starken Fokus auf den Natur- und Artenschutz. Von denen gibt es nicht unbedingt die Erwartungshaltung an den NABU, sich um scheinbar fernab liegende Themen wie die Frage des Wachstums zu kümmern. Dabei ergänzen sich die Fragen von Naturschutz und Wirtschaftsweisen eigentlich sehr gut. Neulich haben wir den Titel „Biodiversität ist ohne nachhaltige Entwicklung nicht zu haben“ in die Welt gesetzt – der Begriff nachhaltige Entwicklung impliziert eine Wirtschaftsmodell, das nur mit einer Abkehr vom zügellosen Wachstum einhergehen kann. Man muss die engen Zusammenhänge hier gut kommunizieren und erklären, warum das eine mit dem anderen zusammenzudenken ist. Hier liegt noch Arbeit vor uns.

Wie können die Umweltverbände auch in Zukunft wirkmächtig bleiben? Ist die junge Degrowth-Bewegung ein Spielfeld für die Umweltverbände, auch um neue Menschen für Engagement zu gewinnen?

Als Verband muss man in Bewegung und am Puls der Zeit bleiben. Wir sollten uns den Debatten stellen, die im Gange sind und wir müssen offen bleiben für andere Themen und die Verknüpfung von vielleicht auch neuen Zusammenhängen. Die Kernthemen des NABU bleiben aber auch in Zukunft wichtig. Nur weil andere politische Fragen wichtiger werden, sind die Umweltprobleme ja leider noch nicht gelöst.

Die Umweltverbände, ja letztlich alle Verbände, müssen aufpassen, dass sie sich trotz derzeitiger erfolgreicher Arbeit stetig thematisch und strukturell weiterentwickeln. Sonst besteht die Gefahr, dass Themen nur noch reaktiv bearbeitet werden können und junge Menschen nicht in die Verbände nachwachsen. Wenn die Umweltverbände Neues ausprobieren – sei es eine Zielgruppe, ein Thema oder ein Format – hat das natürlich auch Risiken. Hier wäre es sinnvoll einzuplanen, dass das nicht immer gleich funktionieren kann. Dazu braucht es Mut. Es ist eine stetige Herausforderung für alle Umweltverbände, Nachwuchs zu gewinnen.

Wie empfinden Sie den Austausch mit der Degrowth-Bewegung?

Ich empfinde den Austausch als konstruktiv und inspirierend. Dies geschieht z. B. über die Kohle-Protestbewegung, die ja auch eine Schnittmenge mit der Degrowth-Bewegung hat. Manchmal gibt es jedoch von einigen Degrowth-Aktiven die Erwartungshaltung nach einer geschlossenen Postwachstumsstrategie des NABU, die wir nicht erfüllen können. Das bleibt ein gegenseitiger Lernprozess, der Offenheit von beiden Seiten erfordert.