Butter bei die Fische, Soziales-1.5-Grad-Ziel, Zukunftslabore allgemein, Zukunftslabore von unten

Mehr Gerswalde – weniger Berlin

Debatte über Acker-Solar-Kraftwerke und Bürger-innenbeteiligung bei der Energiewende

Dass es auf dem Buffet Wurstbrötchen gab, war ein unmissverständliches Zeichen: Berlin-Mitte ist ziemlich weit weg. Nicht kilometermäßig, denn der Gasthof zum Schwarzen Adler im uckermärkischen Gerswalde ist nur eine gute Autostunde vom Bundestag entfernt. Dafür um so mehr im Hinblick auf den Charakter der Debatte über die Energiewende vor der Haustür, die so gar nichts von einem Berliner Hochglanz-Experten-Event hatte. Und damit soll hier nicht gesagt werden, dass Hauptstadt-Debatten mit Hauptstadt-Leuten grundsätzlich doof sind. Es wäre nur gut für den viel besungenen Zusammenhalt und die unter Druck geratene Demokratie, wenn mehr Gerswalde und weniger Berlin den politischen Kurs in Deutschland bestimmen würde.

Aber der Reihe nach: An die achtzig BürgerInnen waren der gemeinsamen Einladung von „Füreinander – Miteinander“ und denkhausbremen gefolgt, um über Mitbestimmung und Beteiligung bei Windkraft und Solarenergie ins Gespräch zu kommen. Vor allem ein im Ort geplantes Acker-Solarkraftwerk war für viele der Anwesenden die erkennbare Motivation fürs dabei sein. Gekommen war eine bunte Mischung aus Immer-schon-Dagewesenen und Zugezogenen. Gerswalde ist ein beliebter Sehnsuchtsort für gestresste Großstädter. Dementsprechend viele Berliner sind hier Wochenendler oder gleich ganz hergezogen.

Nachdem Harald Uphoff von der 100%-Erneuerbar-Stiftung und Andreas Kannengießer von der Bürgerenergie-Genossenschaft „Oberhavelkraft eG“ die Sache mit der Bürgerbeteiligung bei Wind und Solar von unterschiedlichen Seiten beleuchtet hatten, ging es in der anschließenden Diskussion ums große Ganze, aber eben auch sehr um die geplante Acker-PV-Anlage.

Im Anschluss wurde deutlich, welche Kräfte wirken, wenn Rendite-Erwartungen auf lokale Gegebenheiten stoßen, die dem im Wege stehen könnten. In Gerswalde sind das die Interessen der benachbarten Agrargesellschaft, die jetzt als mögliche Investorin eines 60 ha Solarparks auftritt. Es war mit Händen zu greifen, dass viele im Saal damit überhaupt nicht einverstanden waren.

Aus einer ganz anderen Welt kam der Wortbeitrag einer älteren Frau, sie habe über 40 Jahre gearbeitet und hänge jetzt in der Grundsicherung fest. Da ging es schon um die Möglichkeit, dass die Bürgerinnen mit einer Genossenschaft die Energiewende in die eigenen Hände nehmen. Doch in der Praxis stößt diese Idee an Grenzen, weil Privatvermögen in Ostdeutschland deutlich geringer sind als im Westen. Und was passiert mit denjenigen, die wie diese Frau gar kein Geld haben? Sie bleiben hier außen vor. Aus diesem Grund haben lokale Bürgerenergie-Genossenschaften wie Oberhavelkraft die Hürden möglichst flach gehalten. Schon mit 100 Euro Mindesteinlage kann man dabei sein.

So zeigte sich an diesem Abend auch mal die gute Seite der Gentrifizierung. Jenseits der bekannten negativen Auswirkungen und Klischees – zugezogene Großstädter verderben die Immobilienpreise, fahren mit der G-Klasse zum Biobauern und blicken mit Hochmut auf die Einheimischen – bringen die Neuen auch Widerstandsgeist, Ressourcen und Netzwerke mit. Investoren aus dem Energiesektor müssen sich eher mit den lokalen Gemengelagen auseinandersetzen, wenn dort auch Menschen leben, die es gewohnt sind, ihre Interessen offensiv zu vertreten.

Letztendlich wurde deutlich, dass die Gemeinden und damit die BürgerInnen vor Ort bei Agri-PV-Anlagen das Sagen haben. Im Gegensatz zu Windparks muss jedes Solarkraftwerk auf dem Acker vom Gemeinderat genehmigt werden. Dieser kann Forderungen zur Ausrichtung der Anlage sowie finanzielle Beteiligung einfordern. Diese ist in Brandenburg seit dem ersten Januar sogar gesetzlich vorgeschrieben im Photovoltaik-Freiflächenanlagen-Abgabengesetz, welches eine jährliche Sonderabgabe für Photovoltaik-Freiflächenanlagen in Höhe von 2.000 Euro pro Megawatt installierte Leistung vorschreibt. Einmischen lohnt sich also.

Der Abend zeigte, dass die BürgerInnen genau dazu bereit sind. Vor allem, wenn es sich nicht um eine Werbeverkaufsveranstaltung eines Investors handelt. Die Anwohnerinnen wünschen sich, dass ihre Bedenken, Ideen und Meinungen ernst genommen und bei der Gestaltung der Energiewende berücksichtigt werden. Dabei sollte nicht Lautstärke, Kapital oder Einfluss Einzelner den Ausschlag geben, sondern überzeugende Argumente, die eine breite Unterstützung finden. Demokratie im besten Sinne eben. In Gerswalde stehen die Chancen darauf nicht schlecht. Die Vertreter der Gemeinde gaben sich aufgeschlossen und die Initiative “Füreinander-Miteinander” versprach, hier nicht locker zu lassen.