Debatte in Gartz (Oder): Von umzingelten Dörfern, ehrenamtlichen Bürgermeistern und der schwierigen Suche nach einer fairen Energiewende
Schon mal was vom Umzingelungsverbot gehört? Nein? Das ist keine brandenburgische Sonderregel beim Fangenspielen auf dem Schulhof, sondern ein offizieller Begriff aus
der Debatte über Windkraftanlagen an Land. Soll heißen, dass eine Ortschaft nicht vollständig von Windrädern umgeben sein darf – sie soll nicht „umzingelt“ werden.
Und damit zum Kern der Debatte, zu der Bürgerstiftung Barmin Uckermark, Kulturallianz Gartz sowie denkhausbremen am 27. September in Gartz eingeladen hatten. Über 40 Bürgerinnen und Bürger waren der Einladung in die Stadtkirche St. Stephan in Gartz an der Oder gefolgt, um sich über Chancen und Risiken von Windkraftanlagen zu informieren und engagiert in die Diskussion einzusteigen. Mit dabei waren auch die Fachleute Harald Uphoff von der 100 prozent erneuerbar stiftung, Katja Neels von der Bürgerstiftung Barmin Uckermark, der Gartzer Bürgermeister Luca Piwoda sowie Ulrike Eppler von denkhausbremen.
Ärger über Windkraft in der Uckermark
Denn es gibt ja jede Menge Redebedarf. Schließlich ist in der Uckermark beim Ausbau der Windkraft vieles schiefgelaufen. Und damit nicht genug: diese Region im nordöstlichen Brandenburg steht stellvertretend für viele weitere ländliche Gebiete, in denen sich reichlich Ärger aufgestaut hat. So war in Gartz von Dörfern die Rede, die bereits von einem Meer von Windrädern umgeben sind. Aus Sicht der Anwohner ist damit das Landschaftsbild verschandelt, die Windmühlen machen Krach und blinken nachts wie in der Einflugschneise eines Flughafens. Und am Ende des Tages bleibt kaum ein Euro für die Gemeindekasse, denn die Gewinne fließen in erster Linie in die Taschen von auswärtigen Investoren. Ein Grund dafür ist auch, dass bei den Vertragsverhandlungen im Vorfeld Profis auf Amateure treffen. Ausgebuffte Investoren, denen eine ganze Heerschar von Top-Juristen zur Seite stehen, sitzen ehrenamtlichen Dorfvorstehern gegenüber, die in ihrer Freizeit zwischen Abendbrot und Tagesschau Politik machen müssen. Soweit, so unbefriedigend.
Verbesserungen in Sicht?
Ebenfalls zur Sprache kam, dass die Politik erkannt hat, dass es so nicht weitergehen kann. So muss mittlerweile die Gewerbesteuer, die Haupteinnahme für Gemeinden mit Windkraftstandorten, zu einem großen Teil am Standort der Anlagen bezahlt werden. Hier ist allerdings zu beachten, dass der Rubel erst nach vielen Jahren rollt, wenn die Investitionen abgeschrieben sind. In der Praxis kann das bis zu zehn Jahre nach Inbetriebnahme dauern, bis die Windkraftbetreiber erste Steuerzahlungen überweisen. Außerdem gilt in Brandenburg mittlerweile das schon erwähnte Umzingelungsverbot. Damit soll sichergestellt werden, dass ein Dorf nicht komplett von Windmühlen eingeschlossen wird. Dass die Anlagen dabei noch im Halbkreis um bewohnte Gebiete installiert werden dürfen, stieß beim Publikum nicht auf ungeteilte Unterstützung. Demnächst sollen bei den Windmühlen nachts auch die Lichter ausgehen. Die blinkenden roten Warnlampen, die Hubschrauber und tieffliegende Flugzeuge vor Kollisionen bewahren sollen, gehen dann nur in Betrieb, wenn sich tatsächlich ein Flugobjekt in der Nähe befindet. Ansonsten bleibt es dunkel.
Nicht alle profitieren gleich
Was weitestgehend bleibt, ist die einseitige Verteilung der Gewinne. Landbesitzer, die Windräder auf ihrem Grundstück stehen haben, erhalten dafür oft über 100.000 Euro im Jahr – für sie ist das wie ein Sechser im Lotto. Viel Geld für weitgehend leistungsloses Einkommen. Für die Betreiberfirmen sind Windparks in der Regel ebenfalls eine lohnende Angelegenheit.
Anwohner hingegen, die ein Windrad vor der Haustür haben, gehen in den meisten Fällen leer aus. Eine umgangssprachlich als “Windeuro” bezeichnete Abgabe verpflichtet die Betreiber, für jedes ab 2021 in Betrieb genommene Windrad 10.000 Euro in die Gemeindekasse zu zahlen. Eine Gesetz-Vorlage für eine deutliche Erhöhung dieser Zahlungen ist wieder in der Schublade verschwunden. Andererseits betonten anwesende Politiker, dass über Gewerbesteuer und Abgaben in dieser strukturschwachen Region wenigstens etwas Geld bei den Gemeinden hängen bleibt.
Bürgergenossenschaft als Lösung
Finanziell am besten ist es für Anwohnerinnen, die Energiewende in die eigenen Hände zu nehmen und mit einer Bürgergenossenschaft selbst in die Produktion von Windstrom einzusteigen. Dafür gibt es zum Beispiel Unterstützung beim Bündnis Bürgerenergie und man kann von den Erfahrungen anderer profitieren. Grundsätzlich gilt: Sind Anwohnerinnen finanziell an einem benachbarten Windpark beteiligt, gibt es in der Regel wenig Widerstand. Es gab in Gartz aber auch Stimmen, die für kein Geld der Welt auf Windräder schauen wollten.
Wer trägt die Lasten?
Wie geht also eine faire Lastenverteilung bei der Energiewende zwischen Stadt und Land und damit zurück zu der provokanten Frage eines Teilnehmers, warum in Berlin auf dem Tempelhofer Feld mitten in Berlin keine Windräder stehen? Klar ist jedenfalls: Damit auch zukünftig in Berlin-Mitte der Strom aus der Steckdose kommt, müssen auf dem Land noch viel mehr Windkraftanlagen gebaut werden. Das klingt erstmal ziemlich einseitig. Andererseits ist unser Wohlstand auch erkauft durch Industrieanlagen und Verkehrsaufkommen, unter denen die Stadtbewohner – und hier vor allem die mit dem kleinen Geldbeutel – zu leiden haben. Wie man es dreht und wendet: Unschuldig kommt keine Region davon, es sollte aber halbwegs gerecht zugehen.
Gartz: Aufbruch in eine faire Energiewende?
Die Chancen stehen gut, dass in Gartz die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden. Zum einen gab sich der Bürgermeister aufgeschlossen und engagiert, sich für die Interessen der Gemeinde ins Zeug zu legen. Und das Wichtigste: Die Bürgerinnen und Bürger waren interessiert, wachsam und wollen sich aktiv an der Gestaltung der Energiewende beteiligen. So geht gelebte Demokratie – gute Voraussetzungen für eine faire und erfolgreiche Energiewende.
Von Peter Gerhardt