Konkrete Forderungen für eine gerechte Zukunft
Auf dem Weg in eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Gesellschaft gibt es insbesondere auf dem Feld der Klimapolitik eine klare Zielmarke: Das 1,5-Grad-Ziel. Einen derart exakten Grenzwert, wieviel Ungleich eine Gesellschaft vertragen kann bevor sie auseinanderfällt, kann es in dieser Eindeutigkeit vielleicht nicht geben. Dringend notwendig wäre jedoch ein Forderungspaket für eine gerechte Zukunft von hoher Klarheit und Durchschlagskraft, gewissermaßen ein soziales-1,5-Grad-Ziel.
Am Beispiel der Klimabewegung zeigt sich die Wirkmächtigkeit von eindeutigen und überprüfbaren Zielvorgaben. Dort wurde erfolgreich das 1,5-Grad-Ziel für die Begrenzung der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung als Forderung etabliert. Seitdem ist es für politisch Verantwortliche deutlich schwerer geworden, sich in wolkigen Formulierungen davonzuwinden und sie sind eher gezwungen, den Klimaschutz in konkrete Politik zu gießen.
Wieviel Ungleichheit überdehnt eine Gesellschaft?
Daher sollte unsere Gesellschaft auch für sozialen Fragen möglichst präzise und überprüfbare Leitplanken festlegen. Mit wie viel Ungleichheit kann also eine Gemeinschaft überdehnt werden, bevor sie unumkehrbar in verschiedene Fraktionen und Lebenswirklichkeiten zerfällt? Sind die Fliehkräfte erst mal sehr groß geworden und ist der Geist der Spaltung aus der Flasche, gerät auch die Demokratie ins wanken, die für ihr Gelingen eine gemeinschaftliche Verantwortung voraussetzt.
Auch von relevanten Protagonist*innen wurde das bereits als Manko erkannt. Daher gibt es im Dunstkreis einer sozial-ökologischen Transformation verschiedenste Strategiepapiere. Darin weisen u.a. Umweltbundesamt, BUND oder der Paritätische zu Recht darauf hin, dass soziale und ökologische Aspekte zusammen gedacht werden müssen. Allerdings sind diese Stellungnahmen bislang wenig brisant geworden – auch weil die politische Großwetterlage dies nicht zugelassen hat.
Ökothemen dominieren die Debatte
Es sind nämlich vor allem gut vernetzte gesellschaftliche Gruppen mit Zugang zu umfangreichen Ressourcen, die den Diskurs um unsere Zukunft dominieren. Und deren Herz schlägt eher für Ökothemen – dementsprechend einseitig verläuft die Diskussion. Symptomatisch dafür ist die aktuelle Klimadebatte. Soziale Fragen werden dabei im wesentlichen auf Kompensationszahlungen für zu erwartende Härten – wie bei einer CO2-Bepreisung – reduziert. Bevölkerungsgruppen mit schmalen Geldbeutel werden dabei häufig als Objekte behandelt, deren Erfahrungsschatz und Lebensleistung von geringem Belang zu sein scheint.
Dabei ist eigentlich hinlänglich bekannt, dass der ökologische Fussabdruck stark an das verfügbaren Einkommen gekoppelt ist. So kommt Lukas Chancel, Wissenschaftler am Pariser World Inequality Lab, in seiner Studie “Climate change & the global inequality of carbon emissions” zu einem bemerkenswerten Ergebnis: In Industriestaaten wie Deutschland, Frankreich oder den USA erfüllt die ärmere Hälfte der Bevölkerung die Klimaziele für 2030 schon heute weitestgehend. Klimaschutz-Maßnahmen sollten demnach vor allem auf dem reichen Teil der Bevölkerung angepasst werden, so Chancel.
Falsche Reihenfolge der Bundesregierung
Die neue Bundesregierung beweist zudem mustergültig, dass es selbst der soziale Ausgleich nicht unter die Top-Prioritäten auf der politischen Agenda geschafft hat. Während der CO2-Preis für den Klimaschutz schon längst Realität ist und Haushalte mit geringem Einkommen unter Druck setzt, läßt ein wie auch immer geartete Kompensation auf sich warten. Ein Energiegeld, das die Einnahmen aus der CO2 Steuer an die Bevölkerung zurückgibt und Haushalte mit geringem Energieumsatz besser stellt, soll es jetzt erst mittelfristig geben. In eine ähnliche Richtung laufen auch Gedankenspiele Nahrungsmittel für Umweltschutz und Tierwohl zu verteuern. Vorher wird jedoch nicht sichergestellt, dass auch Verbraucher*innen mit wenig Geld bei diesem Umstieg mitmachen können. Keine Frage: Klimaschutz und ein Umbau der industriellen Landwirtschaft erfordern schnelles und konsequentes Handeln.
Allerdings ist die angedachte Reihenfolge ein fatales Signal für Menschen mit geringem Einkommen. Frei nach dem Motto: Erst kommen die finanziellen Härten, der Ausgleich für die Ärmeren kann warten.
Soziales Geheuchel der Schnitzellobby
Darüber hinaus wird die Sozialkarte neuerdings auch von Kreisen ins Spiel gebracht, die mit Gerechtigkeit wenig im Sinn haben: Wenn jetzt ausgerechnet die Benzin- oder Schnitzellobby bei steigenden Preisen für Fleisch oder Autofahren den sozialen Zusammenhalt bedroht sieht, dann ist das wenig glaubwürdig. Damit soll lediglich ein notwendiger Wandel ausgebremst werden.
denkhausbremen startet das Projekt soziales-1,5-Grad-Ziel
All das ist der Hintergrund vor dem denkhausbremen und seine Kooperationspartner*innen mit dem Projekt “das soziale-1,5-Grad-Ziel” an den Start gehen. Darin werden möglichst griffige Forderungen für eine gerechte Zukunft aus der Lebensrealität von Menschen mit geringem Einkommen entwickelt. Diese werden auf einem Zukunftskongress zur Debatte gestellt und im Anschluss mit bundespolitisch relevanten Kräften diskutiert. Darüber hinaus sollen ökologisch orientierte Akteure, wie Umweltverbände, Klimabewegung sowie Bundesumweltbehörden verstärkt für soziale Gesichtspunkte sensibilisiert werden.
Dass öko und sozial untrennbar zusammengehört wird in vielen Sonntagsreden oft beschworen. In der Praxis werden soziale Aspekte hingegen vielfach unter ferner liefen abgehandelt. Das muss sich dringend ändern.
Grafik: Doro Spiro