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Sunny Omwenyeke: Westliche Länder müssen Verantwortung übernehmen!

Dr. Sunny Omwenyeke im Gespräch mit denkhausbremen über den Klimawandel als Fluchtursache, seine Arbeit zum Empowerment von Flüchtlingen im Kampf für ihre Rechte und die Verantwortung westlicher Länder, sich mit ihrer Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen. Sunny Omwenyeke ist ein langjähriger Aktivist der Flüchtlingsbewegung in Deutschland und Gründer des Bremen Solidarity Center (BreSoC) e.V. (Foto: Ana Rodríguez).

denkhausbremen: Was bedeutet Klimagerechtigkeit für Sie?

Sunny Omwenyeke: Für mich bedeutet Klimagerechtigkeit, dass diejenigen Länder, die maßgeblich zur Klimakrise beigetragen haben, Verantwortung übernehmen und zur Rechenschaft gezogen werden. Im Wesentlichen sind das die westlichen Länder, die zugleich eine lange Geschichte der Ausbeutung und Verwüstung anderer Länder haben – einfach weil sie ihren eigenen Lebensstandard aufrechterhalten wollen. Ich halte diese Länder für rücksichtslos und gierig.

Wenn der globale Norden es ernst meint mit der Klimagerechtigkeit, würde das für mich bedeuten, etwas an die Länder zurückzuzahlen, die sie zerstört haben. Selbst jetzt, wo wir sprechen, geht diese Zerstörung weiter. Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass die Menschen, die nicht in westlichen Industrieländern leben, das Recht haben, genau denselben Lebensstandard zu genießen. Wenn das nicht anerkannt wird, spielen wir nicht nach denselben Regeln.

Sie sind der Gründer des Bremen Solidarity Center (BreSoC) e.V. Können Sie die Arbeit beschreiben, die Sie machen?

Ja. Ich habe BreSoC 2017/2018 gegründet. Zuvor habe ich soziale Bewegungen und Advocacy in Großbritannien studiert – abgesehen davon, dass ich schon sehr lange in der Flüchtlingsbewegung in Deutschland aktiv bin. Mein Fokus liegt im Wesentlichen auf der politischen Basisarbeit. Ich glaube nicht an Veränderungen, die von Politiker*innen kommen und dann bis zur Basis durchdringen. Selbstorganisation, Empowerment und Solidarität – das sind die Prinzipien, die meine Arbeit und mein Engagement leiten.

Ich habe BreSoC gegründet, weil ich das Gefühl hatte, dass es beim linken Aktivismus in Deutschland immer die Tendenz gibt, dem Hype zu folgen, egal um welches Thema es geht. Sobald der Hype vorbei ist, gibt es keine Aufmerksamkeit mehr für das ursprüngliche Problem – obwohl es nicht gelöst ist. Das heißt, dass man jedes Mal von vorne anfangen muss. Mein Eindruck war, dass gerade Geflüchtete eine stabile Struktur vor Ort brauchten, der sie vertrauen und auf die sie sich verlassen können, die stetigen Aktivismus ermöglicht und unterstützt. Ein Jahr nach der Gründung von BreSoC haben wir auch „Together we are Bremen“ ins Leben gerufen, zuvor „Shut it Down, Gottlieb-Daimler-Straße“ genannt, um gegen ein Aufnahmelager für Geflüchtete zu kämpfen.

Sie meinen die Unterkunft für Geflüchtete in Bremen-Gröpelingen?

Ja. Ich nahm an einem Treffen des Flüchtlingsrats teil, bei dem eine Sozialarbeiterin darüber sprach, wie großartig es sei, den Geflüchteten in diesem Lager helfen zu können. Ich konnte nicht glauben, was sie sagte. Dieses Lager war so schrecklich, und diese Sozialarbeiter dachten ernsthaft, sie würden den Geflüchteten helfen, sich dort wohlzufühlen und ermutigten sie sogar, dort zu bleiben. Ich war sehr verärgert, als sie zum nächsten Tagesordnungspunkt übergehen wollten. Ich sagte: „Was glaubt ihr eigentlich, was ihr da tut? Interessiert euch, was die Geflüchteten wollen? Habt ihr sie jemals gefragt?“ Wir einigten uns darauf, dass ich ein Treffen mit den Geflüchteten aus dem Lager in der Gottlieb-Daimler-Straße abhalten sollte. Genau das tat ich – und dies war der Beginn von „Together we are Bremen“.

Und was wollten die Geflüchteten?

Wir hatten ein Treffen mit etwa 35 bis 40 jungen afrikanischen Menschen. Ich stellte mich vor, woher ich komme, was ich mache – und dann wollte ich von ihnen hören. Denn was viele Menschen nicht verstehen, ist, dass man Geflüchteten den Raum schaffen muss, damit sie sprechen können. Leider glauben viele, die mit Geflüchteten arbeiten, sie wüssten alles über deren Situation und übersehen dabei die Notwendigkeit eines geschützten Raumes, um frei zu sprechen. Am Ende begannen diese Jungs zu sprechen, und es dauerte über zwei Stunden. Sie schilderten, wie schrecklich die Bedingungen in dem Lager waren und wie entwürdigend es war, dort zu leben.

Ich sagte: Willkommen in Deutschland. Ihr habt beschrieben, wie schlimm es ist. Die Frage ist, seid ihr bereit für eine Veränderung zu kämpfen, oder wollt ihr zurückgehen und alles so lassen, wie es ist? Ich versicherte, dass ich da sein würde, um sie zu unterstützen, aber die Entscheidung, was sie tun wollen, läge bei ihnen. Ich wiederholte die Frage nochmal und sie sagten, sie wollten kämpfen. Von diesem Moment an war es klar. Ich sagte, die Entscheidung, was mit diesem Lager passiert, liegt in euren Händen – glaubt niemandem, der euch etwas anderes erzählt. Sie werden dieses Lager schließen, wenn wir dafür kämpfen.

Wir trafen uns wieder, informierten noch mehr Leute und organisierten eine Demonstration in der Innenstadt, mit mehr als 700 Teilnehmer*innen. Es war so beeindruckend zu sehen, wie all diese Geflüchteten ihr Schweigen brachen und für ihre Rechte kämpften. Sechs Monate später, gegen den Willen der damaligen Bremer Sozialsenatorin, wurde das Lager geschlossen. Das ist es, was Empowerment bewirken kann.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen Ihrer Arbeit und dem Thema Klimagerechtigkeit? Kommt es in den Diskussionen vor, die Sie mit geflüchteten Menschen führen?

Ja. Der Klimawandel ist definitiv ein Grund, warum Menschen ihre Heimatländer verlassen und nach mehr Sicherheit und einem Leben in Würde suchen. An der gesamten westafrikanischen Küste zum Beispiel leben die Menschen von Landwirtschaft und Fischerei – was in vielen Fällen durch die Folgen des Klimawandels nicht mehr möglich ist. Wenn es um Klimagerechtigkeit geht, sollte man bedenken, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe viele Emissionen und damit die Klimakrise verursacht – dass sie aber auch direkt die Lebensgrundlagen von Menschen zerstört und dadurch Migration hervorruft. Ich komme aus Nigeria, wo Ölkonzerne im Nigerdelta Erdöl fördern. Wenn man in die Dörfer dort geht, sieht man, dass die Felder völlig verwüstet sind, das Wasser verschmutzt ist und alles von schwarzem Ruß aus brennenden Ölpipelines bedeckt ist. Menschen können dort nicht mehr leben.

Mein Eindruck ist, dass Geflüchtete nicht sehr oft über die Klimakrise sprechen und darüber, ob sie mit ihrer Flucht zu tun hatte. Sie sind mehr damit beschäftigt, wie sie Geld verdienen und ihre Familien zu Hause unterstützen können. Aber am Ende kann man all das nicht getrennt von Klimagerechtigkeit betrachten – denn der Klimawandel liegt vielem hier zugrunde.

Da der Klimawandel ein so wichtiger Faktor ist, aber nicht oft als Fluchtursache diskutiert wird – denken Sie darüber nach, dies in Ihre Arbeit zum Empowerment von Geflüchteten einzubeziehen?

Wenn man sich die Genfer Flüchtlingskonvention ansieht, die die Grundlage für unser Asylsystem darstellt, dann ist es längst überfällig, dieses Dokument zu überarbeiten und den Klimawandel als Fluchtgrund mit aufzunehmen. Dies wird unter Aktivist*innen, Anwält*innen und Politiker*innen bereits seit langem diskutiert. Aber wenn man jetzt die Konvention aufmacht, um den Klimawandel und andere Faktoren aufzunehmen, die bisher nicht berücksichtigt werden, dann werden rechte politische Kräfte versuchen, sie genau in die andere Richtung zu ändern.

Es gibt Bestrebungen, die Konvention als verbindliches Dokument für internationalen Schutz mehr und mehr zu verwässern. Genau das tun viele Länder, einschließlich Deutschland, seit vielen Jahren. Man kann sagen, dass die stetige Schwächung der Genfer Konvention als wirksames Schutzinstrument dazu geführt hat, dass es auf EU-Ebene derzeit kaum noch Schutz für Geflüchtete gibt. Politiker*innen haben Angst, dass die Anerkennung des Klimawandels als Fluchtgrund die Tür für viele weitere geflüchtete Menschen öffnen würde, die hier in Europa legal akzeptiert werden könnten. Dies wollen die meisten Politiker*innen verhindern.

Was könnten die Menschen und Politiker*innen in Bremen tun, um zu globaler Klimagerechtigkeit beizutragen?

Das Erste wäre, die eigene Kolonialgeschichte zu reflektieren. Bremen ist eine der führenden Städte im kolonialen Business und hat daher eine große Verantwortung und noch einige Rechenschaft abzulegen. Wenn Lokalpolitiker*innen es ernst meinen mit der Klimagerechtigkeit, dann müssten sie sich mit dieser Kolonialgeschichte befassen und anerkennen, welches Chaos vor vielen, vielen Jahren in afrikanischen Ländern angerichtet wurde – als Grundlage für jede weitere Diskussion.

Stattdessen höre ich häufig Ideen wie zehn junge Leute aus Namibia oder anderen afrikanischen Ländern einzuladen, damit sie hier studieren oder was auch immer. Das sind für mich herablassende Lippenbekenntnisse, ohne jegliche Substanz. Wir brauchen keinen verdammten Austausch – wir brauchen Gerechtigkeit! Aber darauf können wir nicht wetten. Bremen behauptet, ein „sicherer Hafen“ für Geflüchtete zu sein – aber schaut euch die Lager in Bremen an. Jetzt wollen sie auch noch diese rassistische und diskriminierende „Bezahlkarte“ für Geflüchtete einführen. Das sagt alles.

Viele Menschen in Deutschland glauben, dass Afrikaner*innen arm sind. Sie verstehen nicht, dass wir nicht arm sind. Wir sind nicht arm! Jeden Tag werden Millionen und Abermillionen Dollar an Werten aus afrikanischen Ländern nach Europa transferiert – Europa stiehlt unseren Reichtum und unsere Ressourcen, jeden einzelnen Tag. Wir wissen es, ihr wisst es, und es ist an der Zeit, damit aufzuhören.

Das Interview führten Jonas Daldrup und Jana Otten.