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Harald Ginzky: Der Klimafußabdruck steigt mit der Größe des Geldbeutels

Dr. Harald Ginzky arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Umweltjurist und Transformationswissenschaftler für das Umweltbundesamt und verhandelt für Deutschland internationale Umweltverträge. 2019 hat er den Arbeitskreis der SPD Bremen Stadt – Klimaschutz, Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften mitgegründet, den er seitdem zusammen mit Bianca Wenke leitet. Im Gespräch mit denkhausbremen – das er ausdrücklich nicht für das Umweltbundesamt, sondern als Sprecher des genannten AK führte – erläutert er die Herausforderungen für die SPD im Hinblick auf einen gerechten Klimaschutz (Foto: Ana Rodríguez).

denkhausbremen: Was bedeutet Klimagerechtigkeit für Sie? Was kommt Ihnen spontan dazu in den Sinn? 

Harald Ginzky: Gerechtigkeit können wir nur erreichen, wenn wir verstehen, was die eigentliche Herausforderung von Klimapolitik ist. Oft wird so getan, als ginge es im Wesentlichen um das Mindern von Treibhausgasemissionen. Meines Erachtens ist das grundfalsch und führt an sich schon zu einem elitären und nicht-gerechten Herangehen.

Im Kern geht es um etwas Anderes: Es geht darum, das Wirtschaften und das gesellschaftliche Miteinander so zu verändern, dass bei Treibhausgasneutralität weiterhin für alle gute Arbeit und ein zufriedenes Leben möglich ist. Und das kann eben nur gelingen, wenn die Klimapolitik Gerechtigkeit sicherstellt – Gerechtigkeit was die Lasten betrifft, Gerechtigkeit aber auch, was die Teilhabe, also das Mitwirken an Lösungen und Entscheidungen betrifft – und das national und international. Dieser Ansatz würde auch unmittelbar dem Vertrauensverlust in die Politik und dem Rechtsruck in der Gesellschaft Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit entgegensetzen.

Spielt globale Klimagerechtigkeit in Ihrem politischen Engagement eine Rolle?

Bremens Einfluss auf die globale Klimagerechtigkeit ist freilich beschränkt. Trotzdem ist es wichtig zu verstehen, dass Deutschland und somit Bremen eine historische und geopolitische Verantwortung hat. Historisch, weil ja der Klimawandel vor allem durch den Globalen Norden verursacht worden ist. Geopolitisch, weil vor allem der Globale Norden die ökonomischen und institutionellen Möglichkeiten hat, eine sozial-ökologische Transformation schnell umzusetzen. Wegen der historischen Schuld des Nordens orientiert sich der Globale Süden ein Stück weit am Globalen Norden, im Sinne von: Wenn die nicht, dann wir erst recht nicht. Insofern stehen wir hier in einer essentiellen Verantwortung.

Was ich deshalb auch nicht so gut hören kann: Immer wieder wird vorgetragen, wir könnten der deutschen oder der bremischen Gesellschaft nicht so viel zumuten. Das Argument ist wirklich blind. Sollen etwa die afrikanischen Gesellschaften das abpuffern, was wir hier uns weigern anzugehen – trotz der historischen Verantwortung und der viel besseren Möglichkeiten?

Aus der Idee globaler Klimagerechtigkeit folgt meines Erachtens für Bremen, die ca. 20 % der Bevölkerung mit Migrationshintergrund als besonderen Akteur wahrzunehmen und zu adressieren. Nach meinem Gefühl passiert hier viel zu wenig.

Sie haben maßgeblich den Klima-AK der Bremer SPD mit ins Leben gerufen. Auf welche Resonanz innerhalb Ihrer Partei sind Sie dabei gestoßen? Wo gab es Rückenwind – wo Widerstände? 

Der AK wurde im Dezember 2019 gegründet. Die Arbeit – ehrenamtlich versteht sich – macht Spaß, weil wir ein heterogenes, sehr engagiertes und sehr kompetentes Team von ca. 25 Mitstreiter*innen sind, das an konkreten Lösungen arbeitet und dabei verschiedene Wege gegangen ist und geht, um für diese Unterstützung in der Bremer SPD zu gewinnen.

Im September 2020 hat der Unterbezirk Bremen einen ca. 15-seitigen Grundsatzantrag beschlossen, der ausgesprochen innovativ und hellsichtig ist. Das Wahlprogramm von 2023 hat ferner Klimaschutz, Dekarbonisierung und vorausschauende Strukturwandelpolitik als Kernelemente der SPD-Programmatik aufgenommen. Diese geänderte Ausrichtung in Bremen ist sicher ein Erfolg, der dem AK auch zugerechnet werden kann. Viel Unterstützung hatten wir auch von unserem Parteivorsitzenden Reinhold Wetjen. Der AK ist aus meiner Sicht ein Stück gelebte Demokratie und politische Teilhabe, verbunden mit hohem Engagement.

Konnten Sie mit dem AK konkrete Akzente setzen oder Ergebnisse erzielen? 

Ja, einige bis viele – je nach Standpunkt: Vor allem, dass wir Diskussionen angestoßen haben, zur A27, bei der Neujustierung von Klimaanpassungen sowie zu verkehrspolitischen Fragen. Der Unterbezirk Bremen Stadt hat unser Nein zur Binnenweservertiefung fast einstimmig unterstützt, im Herbst 2023.

Wichtig ist aber auch, dass wir mit unserer Veranstaltungsreihe „Klimagespräche“ das Thema Klimapolitik auf die Agenda gesetzt haben und mit vielen zentralen Akteuren der Gesellschaft ein vertrauensvolles Netzwerk etabliert haben (u.a. Gewerkschaften, Kirchen, Unis, Handwerkskammer und Umweltverbände). Entscheidend ist, die vielfältigen Initiativen aus Wirtschaft und Gesellschaft wahrzunehmen, sie zu befördern und zu vernetzen und so die Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen. Nur so kann Klima- und Nachhaltigkeitspolitik gelingen.

Für die Sozialdemokratie gehört das Thema soziale Gerechtigkeit seit jeher zum „Markenkern“. Wie kann aus Ihrer Sicht sichergestellt werden, dass wir ambitionierten Klimaschutz zugleich sozial gerecht ausgestalten?

Man kann Gerechtigkeit von unten und von oben denken. Gerechtigkeit von oben bedeutet für mich, dass diejenigen die Kosten tragen, die die Krise maßgeblich durch einen hohen Klimafußabdruck verursachen und/oder dazu auf Grund ihrer ökonomischen Situation in der Lage sind. Wichtig zu wissen, der Klimafußabdruck steigt praktisch linear mit der Größe des Geldbeutels. Gerechtigkeit von unten verlangt, dass diejenigen, die wenig zum Klimawandel beitragen oder die eben nicht die finanziellen Ressourcen haben, entlastet werden. Das diskutierte Klimageld wäre ein Anfang, ein notwendiger, aber eben nur ein Anfang. Praktisch gesprochen muss Politik auch aufpassen, dass „benachteiligte Stadtteile“, die in der Regel nicht so eine starke Lobby haben wie „akademische Viertel“, nicht übersehen werden – bei der Anlage von Grünstreifen, Radwegen, Hausbegrünungen.

Klimagerechtigkeit vollzieht sich aber nicht nur über klimapolitische Maßnahmen. Ein anständiger Mindestlohn, ein angemessenes Bürgergeld und etwa Tarifbindung oder sozialer Wohnungsbau, sind auch Mittel, Klimagerechtigkeit sicherzustellen. Außerdem ist es notwendig, dass die vielen „neo-liberalen“ Auswüchse wie der Verzicht auf eine Vermögenssteuer, das Geldverdienen mit immer absurderen Finanzprodukten und die ausschließliche Ausrichtung von Aktiengesellschaften an der Höhe der Dividende statt an Nachhaltigkeitsanforderungen zurückgenommen bzw. beseitigt werden. Schließlich brauchen wir Systeme, die das Gemeinsame, das Solidarische betonen. Weniger Konkurrenz, mehr egalitäre Ansätze wie eine Krankenkasse für alle.

Hat die SPD bereits adäquate Lösungs-Szenarien entwickelt, um die Bedrohung durch die Klimakrise angemessen zu adressieren?

Dann wären Scholz und Bovenschulte schon für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass noch Luft nach oben ist. Die SPD kann aber im Grundsatz soziale Gerechtigkeit und auch Strukturwandelpolitik. In Sachen Strukturwandelpolitik hat die Bremer SPD kürzlich auch auf mein Zutun hin eine entsprechende Projektgruppe gegründet. Es geht darum, zu überlegen, wie die strukturpolitischen Weichen zu stellen sind, um in mittelfristiger Perspektive gutes Leben und Arbeiten unter der Prämisse der Treibhausgasneutralität in den beiden Bremer Städten sicherzustellen. Eine wirklich komplexe Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

Womit die SPD hadert: Loslassen des Wachstumsparadigmas, Vorstellungen von Suffizienz, Änderung von gesellschaftlichen Leitbildern. Nur so viel dazu: Diese Ansätze werden nur gelingen, wenn man die soziale Dimension mitdenkt. Es geht vor allem darum, Suffizienz von denen zu verlangen, die eh genug haben und nicht von dem Subsistenz-Bauern in Sambia.

Noch ein Punkt in diesem Kontext. In der Politik und auch in der SPD werden immer noch ökonomische Vergleiche von fossilen und nachhaltigen Lösungen angestellt, um zu begründen, was zumutbar ist. Im Grunde ist das absurd, weil die fossile Variante immer zu Kosten für die Gesellschaft führt („Externalisierung“), die einerseits klimapolitisch in die falsche Richtung gehen und andererseits natürlich auch ungerecht sind – weil wirtschaftlich Schwache immer überproportional von den Klimaauswirkungen betroffen sind. Das ist also wirklich Unsinn.