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Isadora Cardoso: Klimagerechtigkeit bedeutet ein gutes Leben für alle

Isadora Cardoso beschäftigt sich als Teil der queer-feministischen Klimabewegung und im Rahmen von wissenschaftlichen Forschungsprojekten seit vielen Jahren mit Gender- und Klimagerechtigkeit. Nach einer Tätigkeit am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam arbeitet Isadora Cardoso derzeit als PhD an der Freien Universität Berlin. Das Gespräch mit denkhausbremen dreht sich um falsche Narrative zu Gender- und Klimafragen sowie um intersektionale Perspektiven auf Klimagerechtigkeit (Foto: Ana Rodríguez).

denkhausbremen: Was kommt dir in den Sinn, wenn du an Klimagerechtigkeit denkst?

Isadora Cardoso: Das Erste, woran ich denke, ist, dass Klimagerechtigkeit ein gutes Leben für alle bedeutet, besonders für diejenigen, die am stärksten von Ungerechtigkeiten betroffen sind. Es geht darum, auch den am meisten marginalisierten Menschen aus allen Teilen der Welt ein würdevolles Leben und einen Zugang zu einer guten Umwelt, Wohnraum usw. zu ermöglichen. Dies sind grundlegende Rechte, die jedem Menschen zustehen. Die Klimakrise verschärft die bestehenden strukturellen Ungerechtigkeiten. Deshalb umfasst Klimagerechtigkeit für mich jeden Kampf für Gerechtigkeit.

In deiner Forschung beschäftigst du dich mit Genderfragen und der Klimakrise. Wie sind diese Themen verbunden?

Genderfragen werden in Forschungsarbeiten oft auf Frauen und Mädchen reduziert. Aus dieser begrenzten Perspektive gibt es Hinweise darauf, dass Frauen und Mädchen in vielen sozialen Kontexten größere Schwierigkeiten haben, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen oder an den Entscheidungsprozessen zu Klimafragen beteiligt zu sein.

Kannst du ein Beispiel geben?

Ein häufig genanntes Beispiel, um den Zusammenhang zwischen Gender und Klima zu verdeutlichen, sind schwere Dürren. In vielen ländlichen Regionen im Globalen Süden sind es vor allem Frauen und Mädchen, die unbezahlte Hausarbeit leisten, darunter auch die Versorgung ihrer Familien mit Lebensmitteln und Wasser. Mit häufigeren Dürreereignissen werden Frauen und Mädchen in Zukunft immer mehr Schwierigkeiten haben, Wasser zu finden und Gemüse anzubauen. Sie müssen vermutlich längere Strecken zurücklegen, um Essen und Wasser zu bekommen, was wiederum zu mehr unbezahlter Arbeit und auch zu einem höheren Risiko von Gewalt führt, je nachdem, wohin sie gehen.

Meiner Meinung nach vereinfacht dieses gängige Narrativ über Gender und Klima das Thema zu sehr. Es verbreitet die Botschaft, dass Frauen und Mädchen überall stärker vom Klimawandel betroffen sind. Ich denke aber, dass es den zugrunde liegenden Studien oft an Sensibilität für die spezifischen sozialen Kontexte und Machtstrukturen fehlt. Viele dieser Studien stellen Frauen und Mädchen einfach als Opfer dar.

Sollte sich der Fokus also mehr auf Machtverhältnisse im Allgemeinen richten?

Ja. In meiner Forschung verwende ich seit einiger Zeit einen intersektionalen Ansatz. Ich bemühe mich, den Kontext und die Machtstrukturen innerhalb und zwischen Gemeinschaften zu verstehen. Gender ist immer ein Thema, dem ich Aufmerksamkeit widme, aber ich betrachte es im Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Aspekten wie Herkunft, Alter, Klasse oder Behinderung. All diese Faktoren sind miteinander verbunden und sollten gemeinsam analysiert werden, um Hierarchien und Unterdrückung aufzudecken. Diese Herangehensweise ergibt ein klareres Bild der bestehenden Ungerechtigkeiten und hilft dadurch, sie zu bekämpfen.

Hinzu kommt, dass das Gender-Narrativ in vielen Studien immer noch sehr binär ist. Sie beschäftigen sich mit Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern, während Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität in der Regel nicht berücksichtigt werden.

Wie beeinflusst die Klimakrise denn queere Menschen?

Im Falle von Ãœberschwemmungen beispielsweise ist es natürlich für alle Menschen hart, das eigene Zuhause oder Dokumente zu verlieren. Queere Personen sind in dem Fall aber noch einem zusätzlichen Risiko von Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt, wenn sie etwa versuchen, neue Dokumente zu beantragen. Oder weil es schwer ist, nach so einer Katastrophe einen neuen Safe Space, also einen diskriminierungsfreien Ort zum Leben zu finden. Wir werden überall stigmatisiert, sogar hier in Deutschland, wo die Gesellschaft sich selbst als progressiv bezeichnet. Queere Menschen, insbesondere Transpersonen, stoßen beim Zugang zu Grundbedürfnissen – von der Gesundheitsversorgung bis hin zu vernünftiger Arbeit – auf zusätzliche Barrieren. Ich denke, jede queere Person kann verstehen, was es heißt, in Situationen, in denen man aufbesondere Unterstützung und Fürsorge angewiesen ist, keine geschützten Räume zu finden. Man fühlt sich sehr verletzlich.

Wenn man bereits unter „normalen“ Bedingungen gesellschaftlich benachteiligt ist, wird die Last, mit den Auswirkungen des Klimawandels umgehen zu müssen, noch viel schwerer. Vor allem, wenn man auch aufgrund von Merkmalen wie Alter, Behinderung oder der eigenen Herkunft marginalisiert wird. Anstatt sich auf binäre und einfache Erklärungen dafür zu verlassen, wie der Klimawandel verschiedene gesellschaftliche Gruppen betrifft, ist es für mich wichtig, Menschen und Gemeinschaften intersektional und in ihren jeweiligen Kontexten zu verstehen.

Bei Klimagerechtigkeit geht es also auch darum, allen Menschen Raum zu geben. Ende letzten Jahres hast du an der UN-Klimakonferenz (COP28) in Dubai teilgenommen. Wie hast du die Verhandlungen erlebt?

Nun, diese Verhandlungen sind in vielerlei Hinsicht unzugänglich, insbesondere für die am stärksten betroffenen und marginalisierten Menschen aus dem Globalen Süden. Nicht nur aufgrund von Sicherheitsvorkehrungen sowie sprachlichen und physischen Barrieren, die eine sinnvolle Teilnahme und Einflussnahme verhindern. Sondern auch aufgrund eines festgelegten Rahmenprogramms, dem die Teilnehmer*innen entsprechen müssen, anstatt umgekehrt. Um an den Debatten über Klimapolitik teilnehmen zu können, in denen unser aller Zukunft verhandelt wird, ist es beispielsweise eine Voraussetzung, dass man Englisch spricht.

Die Menschen, die am stärksten von strukturellen Ungerechtigkeiten betroffen sind, treffen nicht die Entscheidungen. Wegen dieser Unzugänglichkeit halte ich die internationalen Klimaverhandlungen für sehr widersprüchlich und heuchlerisch.

Aus einer Genderperspektive sind die Verhandlungen immer noch stark von Männern dominiert.

Ja, das stimmt. Um ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in der internationalen Klimapolitik zu fördern, veröffentlichen die Vereinten Nationen jedes Jahr einen Bericht. Interessanterweise zählen sie immer noch binär – Männer und Frauen. Im Jahr 2022 waren auf der COP27 in Sharm el-Sheikh, für die die neuesten Daten vorliegen, nur 37 % der Delegierten weiblich. Es sind also hauptsächlich weiße Männer, die über unsere Zukunft entscheiden.

Wie können wir von der lokalen Ebene aus die internationalen Kämpfe für Klimagerechtigkeit unterstützen?

Ich denke, es ist wichtig, das große Ganze im Blick zu haben. Wenn wir über Klimagerechtigkeit sprechen, müssen wir auch die Ungerechtigkeiten unseres täglichen Lebens ansprechen, wie Klassismus, Rassismus, Transphobie, Kolonialismus oder Neo-Extraktivismus, insbesondere im Globalen Süden. Wir müssen die historische Verantwortung und all jene Bedingungen berücksichtigen, die Bürger*innen, privaten Unternehmen und Regierungen des Globalen Nordens mehr Macht und Privilegien verleihen.

Mit diesem Verständnis können wir Graswurzel-Organisationen oder soziale Bewegungen im Globalen Süden unterstützen, indem wir ihnen bei der Umsetzung ihrer Projekte helfen, sei es durch Forschung oder finanzielle Unterstützung. Leider sind die meisten internationalen Kooperationsprojekte sehr problematisch, da sie auf einer westeuropäischen Logik basieren. Nur wenige beruhen auf echter Gleichheit und Solidarität mit den Organisationen vor Ort. Meiner Meinung nach ist es entscheidend, diesen Menschen und Initiativen, die am stärksten von Klimaungerechtigkeit betroffenen sind, Autonomie und Souveränität zu geben. Sie wissen am besten, was für sie in ihrer Situation das Beste ist – und nicht die Privilegierten.

Das Interview führten Jana Otten und Jonas Daldrup.