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Best Practice: Pioniere einer nachhaltigen Bioökonomie?

In der praktischen Anwendung zeigt sich, welche Möglichkeiten die Bioökonomie bereitstellen kann. Damit diese zu einer sozial-ökologischen Transformation beitragen, braucht es allerdings veränderte politische Rahmenbedingungen.

Bei der zweiten Tagung des Projektes „Bioökonomie im Lichte der Nachhaltigkeit“, die am 10. und 12. November 2020 stattfand, drehte sich alles um Beispiele aus der Bioökonomie-Praxis. Inwiefern können Unternehmen und Forschungsprojekte als Pioniere zum Gelingen der Bioökonomie im Kontext einer sozial-ökologischen Transformation beitragen – und wo laufen sie Gefahr, lediglich Feigenblatt einer nicht-nachhaltigen wachstumsfixierten Wirtschaftsweise zu sein? Dieser Frage gingen die TeilnehmerInnen aus Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, wissenschaftlichen Instituten und Fachbehörden nach.

Der aktuelle Zustand der weltweiten Ökosysteme ist sehr besorgniserregend. Äcker und Wälder sind chronisch übernutzt und die biologische Vielfalt schwindet rapide. Die industrielle Landnutzung ist laut Weltbiodiversitätsrat IPBES der wesentliche Treiber für das aktuelle Artensterben. Wie die Umstellung der Wirtschaft von fossilen auf biogene Rohstoffe im Zuge der Bioökonomie zu einer Lösung dieser Probleme beitragen soll und ob es nicht vielmehr eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen bräuchte, war Gegenstand intensiver Diskussionen auf der Tagung. denkhausbremen und der BUND hatten als Veranstalter relevante Praxisprojekte eingeladen, in kurzen Impulsen ihre Arbeit vorzustellen und sich mit den TeilnehmerInnen zu den genannten Fragen auszutauschen.

Im ersten Vortrag stellte Jan Peters, Geschäftsführer der Succow Stiftung, die Idee der Paludikulturen vor. Auf nassen und wiedervernässten Mooren werden Schilf, Rohrkolben oder Torfmoose gewonnen, die zu biobasierten Produkten wie Bau- oder Dämmmaterial weiterverarbeitet werden. Damit können die speziellen Biotope nasser Moore erhalten und zugleich ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden – bei einer konventionellen Grünlandnutzung emittieren entwässerte Moorböden große Mengen klimaschädlicher Treibhausgase. Ein wichtiger Punkt ist dabei, dass solche biodiversitätserhaltenden Formen der Landwirtschaft in der Lage sein müssen, nennenswerte Mengen von Biomasse für die Bioökonomie zu liefern.

Christiane Baum von der Stiftung Westfälische Kulturlandschaft stellt im zweiten Vortrag das Projekt „Energiepflanzenanbau und Biodiversität im Münsterland“ vor. Dort werden konkrete Maßnahmen wie mehrjährige Blühstreifen in Getreidefeldern oder Stangenbohnen-Mais-Gemenge für die Nutzung in Biogasanlagen erprobt. Zusammen mit Ansätzen zur präzisen Bodenbearbeitung und bearbeitungsfreien Schonzeiten zum Erhalt von Wiesenvögeln sollen Landwirtschaft und Biodiversitätsschutz auf diese Weise zusammengebracht werden. Der Erfolg solcher Maßnahmen stehe oder falle letztendlich mit der Akzeptanz der LandwirtInnen, betont die Referentin. Diese müssten so konzipiert sein, dass sie sich gut in die landwirtschaftlichen Abläufe einfügen und rentabel sind.

Christine Rasche erforscht am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse die Umwandlung von Grundstoffen für die Bioökonomie. Sie beschreibt ihre Arbeit exemplarisch an der Aufspaltung von Lignin, der Aufarbeitung von Raps und eines Extraktionsverfahrens, das chemische Zwischenprodukte aus Buchenholz gewinnt. Dabei betont sie, dass für eine spätere Anwendung im größeren Maßstab neben den innovativen chemischen Verfahren auch gute Verwertungskonzepte nötig sind, die eine Markteinführung ermöglichen. Die Vorarbeiten dazu bräuchten viel Zeit und würden häufig unterschätzt.

Christian Sörgel von der Mercer Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal GmbH stellt in seinem Impulsvortrag die Möglichkeiten einer Zellstofffabrik vor, als Bioraffinerie Grundstoffe wie Cellulose, Hemicellulose, Kohlenhydrate, Tallöl und Lignin für weitere bioökonomische Anwendungen stofflich weiterzuverarbeiten. Neue und effizientere Prozesse zur Auftrennung der Komponenten versprechen neue Wertschöpfungsketten und eine größere Unabhängigkeit von den Marktschwankungen beim Zellstoff.

Mit seiner Idee des Cradle to Cradle verfolgt Michael Braungart das Ziel, dass Verschleißteile von Produkten (Schuhsolen, Bremsbeläge, Autoreifen) so hergestellt werden, dass ihr Recycling am Ende biologisch nützlich ist. Er schlägt vor, die Welt völlig neu zu denken und in vielen Bereichen fundamentale Veränderungen in Gang zu bringen. Die Landwirtschaft müsse so praktiziert werden, dass jedes Jahr zusätzlicher Kohlenstoff aus der Atmosphäre im Boden gespeichert wird. Die bioenergetische Verwendung sowie den Import von Biomasse aus dem Globalen Süden sieht er kritisch.

Jürgen Hack, Geschäftsführer von SODASAN Wasch- und Reinigungsmittel, stellt in seinem Vortrag die Bemühungen seines Unternehmens vor, Wasch- und Reinigungsmittel ohne Petrochemie auf Basis pflanzlicher Rohstoffe herzustellen. Dabei gelinge es dem Chemieunternehmen, über die Hälfte der biologischen Ressourcen aus dem Biolandbau zu beziehen und 60 % des Energieverbrauchs autark abzudecken. Insgesamt könne es bei der Bioökonomie nicht einfach um nachwachsende Rohstoffe gehen, sondern um eine ökologisch orientierte Produktion dieser Rohstoffe und um eine ganzheitliche Sicht auf Nachhaltigkeit.

Ralf Pude (Universität Bonn) und Margit Schulze (Hochschule Bonn-Rhein-Sieg) betonen, dass es regional bereits vielversprechende Lösungen für die nachhaltige Biomasseproduktion gebe. Auf Versuchsfeldern testen sie den Anbau mehrjähriger Kulturen mit hoch- und schnellwachsenden Pflanzen. Diese binden viel CO2, benötigen wenige Nährstoffe und bieten zugleich wichtige Ökosystemleistungen wie Bodenruhe, Humusbildung, Erosionsschutz und Lebensraum für Insekten. Wichtig sei neben der ausreichenden Menge an Biomasse auch deren zielgerichtete Aufbereitung, damit sie höherwertig nutzbar sei. Für die Akzeptanz der LandwirtInnen seien sichere Absatzmöglichkeiten unabdingbar.

Für Michael Carus vom nova-Institut für politische und ökologische Innovation ist das eigentliche Problem für das Klima nicht der Kohlenstoff an sich, sondern der fossile Kohlenstoff, der aus dem Boden geholt und verbrannt wird. Zugleich sei das mögliche Volumen biobasierten Kohlenstoffs naturbedingt begrenzt. Mit Hilfe von Technologie lasse sich Kohlenstoff aber auch direkt aus der Atmosphäre gewinnen, die dazu nötige Energie könne mit Hilfe erneuerbarer Energien erzeugt werden. Inwieweit dies auf ökologisch nachhaltige und sozialverträgliche Art und Weise gelingen kann, wird anschließend kritisch diskutiert.

Es mangelt also nicht an Ideen aus der Praxis. Wenn wir die Rahmenbedingungen jedoch nicht ändern und die Welt völlig neu denken, werden viele dieser Ideen an den bestehenden Marktregularien scheitern. Wie stark der Wind der Veränderung durch die Bioökonomie bläst, ob es eine steife Brise oder eher ein laues Lüftchen wird, diese Frage blieb in den Diskussionen noch offen.

Das Projekt „Bioökonomie im Lichte der Nachhaltigkeit“ wird gefördert von: