Gastbeitrag im Weserkurier von Peter Gerhardt
Wirtschaftswachstum und Co. haben als Orientierung für ein gutes Leben ausgedient.Die Steigerung von Produktion und Dienstleistungen war mal das Maß aller Dinge. Das die Bundesrepublik trotz Wachstum und positiver ökonomischer Kennzahlen ein tief verunsichertes Land ist, zeigt uns, dass wir unseren Kompass neu kalibrieren müssen.
Auch das letzte Bundesländer-Ranking der wirtschaftsnahen “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” liefert uns wenig Erkenntnis, ob es uns gut geht. Bei der Suche nach dem angeblich besten Bundesland landete Bremen nur auf dem hinteren Platz 12. Aber was heißt das schon. Die Macher solcher Vergleiche rühren aus Faktoren wie Wirtschaftskraft, Bildungsniveau und Arbeitsmarkt einfach einen Index an.
Für die Lebenswirklichkeit vieler Bürgerinnen und Bürger kann es hingegen ein Segen sein, wenn die eigene Region bei so einem Wettbewerb hinten liegt. So wie in Bremen, das die Gentrifzierungsexzesse anderer Ballungsräume mit explodierenden Immobilienpreisen bisher glücklicherweise verschlafen hat. Diese sind sicher gut für Wachstumsstatistik und Investoren; für viele Mieter hingegen ein Supergau in der Haushaltskasse.
Der Pulsschlag an der Weser war im Gegensatz zu Boomregionen wie Hamburg und Frankfurt schon immer etwas verlangsamt. Dadurch konnte sich ein Lebensgefühl in die Neuzeit retten, das am ehesten an das humane Erbe der alten Bundesrepublik erinnert, als die gesellschaftlichen Fliehkräfte noch nicht so hoch waren: Menschlicher getaktet geht es in Bremen zu. Das lässt sich nicht in Zahlen gießen, aber es ist zum Greifen da. Es hat etwas damit zu tun, dass es Arbeitnehmerkammer und eine aktive Zivilgesellschaft gibt. Und damit, dass Bremen sich früher als andere gegen die Apartheid positioniert hat und eine Epizentrum der Psychiatriereform war. Diesen Geist gilt es zu erhalten, ohne dass sich Mehltau über Bremen legt. Dazu passt im Übrigen auch, dass die Werder-Familie ihren Trainern lange treu bleibt.
Ob es sich in Bremen oder anderswo gut Leben lässt, hängt nicht in erster Linie davon ab, ob sich Produktion und Wachstum unendlich steigern. Für viele Branchen wird das auch gar nicht mehr möglich sein. Milchbauern, Stahlkocher oder Kaufhausangestellte spüren längst, dass sie zukünftigen Krisen nicht mehr davonwachsen können. Aus diesem Grund brauchen wir eine Kurskorrektur. Wir sollten Werte wie Vertrauen, Gerechtigkeit, Transparenz, Angstfreiheit oder Entfaltungsmöglichkeiten auf dem Radar haben. Dafür müssen wir einer weiteren Ökonomisierung unseres Alltags entschlossen entgegen treten.