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Der Wald im Bio-Kapitalismus

Von Peter Gerhardt

Der Wald war schon immer mehr als die Summe seiner Bäume. Er ist es gewohnt, Sehnsuchtsort und Lebensraum zu sein, Brennholz und Konstruktionsmaterial zu liefern und dabei auch noch all die wichtigen Öko-Funktionen zu erfüllen. Unsere Ansprüche haben dieses Ökosystem schon mächtig unter Druck gesetzt und an vielen Stellen auf dem Globus mit dafür gesorgt, dass die Wälder erschöpft sind oder vernichtet wurden. Dessen ungeachtet soll der Wald die Menschheit nun auch noch vor einem möglichen Klimakollaps bewahren und als Rohstofflager für die Wirtschaft der Zukunft dienen – der sogenannten Bioökonomie. Das kann nicht gut gehen.

Aber der Reihe nach. Beim diesjährigen UN-Klimagipfel in Glasgow gab es gleich zu Beginn eine Art Überbietungswettbewerb zwischen den Regierenden, welches Land die meisten Wälder im Namen des Klimaschutzes vor dem Kahlschlag retten will. Gleichzeitig wurden großzügige Aufforstungs-Initiativen in Aussicht gestellt. Insgesamt versprachen 137 Regierungen, in deren Nationen über 90% der verbliebenen Waldfläche beheimatet ist, einen umfassenden Waldschutz. Die Mächtigen entdeckten in der „Glasgow Leaders’ Declaration on Forests and Land Use‘ den Wald als Klimaretter. Was ist davon zu halten?

Zum einen geht die Glaubwürdigkeit mancher dieser selbsternannten WaldschützerInnen gegen Null. Da ist zum Beispiel Brasiliens Jair Bolsonaro, der in der Vergangenheit vor allem dadurch aufgefallen ist, dass er den Amazonas-Regenwald für illegale Holzfäller- und Goldsuchertrupps geöffnet und die Rechte indigener UreinwohnerInnen mit Füßen getreten hat. Dass diesem Klimaleugner jetzt in Glasgow eine Bühne für leere Öko-Versprechen gegeben wird, ist einfach nur verstörend. Nicht so viel besser ist, dass sich Nationen wie Malaysia oder Indonesien, die ihre Wälder großflächig in Mondlandschaften aus Ölpalmen umgewandelt haben, jetzt unter den Unterstützern der Glasgower Walddeklaration befinden.

Man kann sich außerdem fast sicher sein, dass Länder, die große Flächen mit Eukalyptus für die Zellstoffindustrie aufforsten, dies in Zukunft auch im Namen des Klimaschutzes tun werden. So wie in Mosambik, wo internationale Investoren riesige Monokulturen aus dem Boden stampfen und dabei der lokalen Bevölkerung das Land zum Leben rauben. Das Pflanzen von Bäumen wird so zum aggressiven Akt gegen Mensch und Natur. Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes geht das in Zukunft vielleicht noch ein wenig leichter von der Hand.

Aber nicht nur im Globalen Süden laufen die Dinge klimapolitisch vollkommen aus dem Ruder. Auch europäische Industrienationen wie Großbritannien oder Deutschland lobpreisen in der Erklärung die Bedeutung der Wälder fürs Weltklima und machen vor der eigenen Haustür genau das Gegenteil. Mit dem Segen der britischen Regierung verbrennt das Kraftwerk Drax in Nordengland Millionen Tonnen Holz für Elektrizität und auch Deutschland, das dem Rest der Welt gerne ungebetene Klima-Ratschläge erteilt, verfeuert einen größeren Teil seiner jährlichen Holzernte. Der im Rohstoff Holz gespeicherte Kohlenstoff wird so durch den Kamin gejagt und landet als Klimagas in der Atmosphäre. Aber es könnte noch schlimmer kommen: Die noch amtierende Bundesregierung hat Pläne in der Schublade, um das Umrüsten alter Kohle-Kraftwerke auf Holzfeuerung mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren.

Kahlschlag für Bioökonomie?

Und dann ist da noch die Bioökonomie: Jene Wirtschaftsordnung, die von sich selbst behauptet, sowas wie die Zukunft jenseits des fossilen Zeitalters zu sein. Anstatt Kohle, Gas oder Erdöl sollen hier ausschließlich nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz kommen. Anfang November 2021 gab es wieder mal einen kleinen Vorgeschmack, wie die Bio-Zukunft aussehen könnte – zumindest, wenn die Industrie das Sagen hat: Da verkündete der finnische Forst- und Papierkonzern UPM-Kymnene stolz, dass die firmeneigene Bioraffinerie im sachsen-anhaltinischen Leuna demnächst die Coca-Cola-Company mit Polymeren beliefern wird. Die Raffinerie benötigt dafür Holz und der US-Konzern macht daraus dann Getränkeflaschen, die bislang aus Erdöl hergestellt wurden. Nun kann man sich zu Recht fragen, ob es nicht sinnvollere Bioökonomie-Anwendungen gibt, als amerikanische Zuckerbrause in Plastikflaschen zu füllen. Coca-Cola macht schließlich den sogenannten Starinvestor Warren Buffett zum Milliardär und zahlreiche Kinder zu fettleibigen Diabetikern.

Nun ist es nicht besonders schwer, sich ein bisschen über Coca-Cola lustig zu machen. Das Beispiel zeigt aber ganz gut, woran es bei einer Bioökonomie hapern würde: Steuerung! Natürlich braucht die Welt frische Ideen, wenn fossile Rohstoffe in Zukunft in der Erde bleiben sollen. Und möglicherweise ist eine biobasierte Wirtschaft Teil der Lösung. Um das seriös abschätzen zu können, sollte aber zunächst eine Art Inventur beleuchten, wieviel die globalen Wälder zu liefern imstande sind, wenn es dabei sozial gerecht und ökologisch nachhaltig zugeht. Dabei sollte eingepreist werden, dass Schutzgebiete für die Artenvielfalt oder Wälder, die für den Klimaschutz wachsen sollen, die Erntemenge weiter reduzieren. Und schließlich ist nach wie vor ungeklärt, wie in unserer Profitökonomie eine sinnvolle Steuerung von knappen Rohstoffen von statten gehen könnte. Bislang gilt: Wer den besten Preis bezahlt, bekommt den Zuschlag. Und damit sind wir dann wieder bei Coca-Cola, die wahrscheinlich mehr Geld auf den Tisch blättern können als ein Startup aus der Öko-Nische.

Trauriger Weise schweigt sich auch die Bioökonomie-Strategie der Bundesregierung darüber aus, welche Regeln für diese Wirtschaft maßgeblich sein könnten. In dem Papier mangelt es nicht an wolkigen Nachhaltigkeits-Versprechen, dafür fehlen konkrete Politik-Vorschlägen, wie die planetaren Belastbarkeitsgrenzen bei einer Bioökonomie eingehalten werden könnten. Diese Aufgabe liegt nun unter anderem beim Bioökonomierat, der seit fast einem Jahr in seiner dritten Auflage der Bundesregierung zur Seite steht. Ob ausgerechnet dieses aus 20 ExpertInnen bunt zusammengewürfelte Gremium, das sich aus dem Dunstkreis der Biotech-Lobby bis hin zur Umweltbewegung rekrutiert, die notwendige Kraft dafür entwickeln kann? Letztendlich hängt alles am politischen Willen einer zukünftigen Bundesregierung, welche Leitplanken für eine Bioökonomie durchgesetzt werden.

Von Klimaschutz bis zur verantwortungsvollen Rohstoffversorgung: Wälder sind dabei nicht wegzudenken. Die Kapazitäten dieses Ökosystems sind aber begrenzt. Darum werden allem voran die Industrieländer ihren Rohstoffverbrauch dramatisch senken müssen. Sonst kommt es zum globalen Kahlschlag.