Dr. Kira Vinke ist die Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Darüber hinaus ist sie Ko-Vorsitzende des Beirats der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“. Mit denkhausbremen spricht Dr. Kira Vinke über globale Klimagerechtigkeit, klimawandel-bedingte Migration und die Forderung nach einem sogenannten „Klimapass“ (Foto: DGAP / Zsófia Pölöske).
denkhausbremen: Was bedeutet Klimagerechtigkeit für Sie?
Kira Vinke: Klimagerechtigkeit hat viele Dimensionen. Für mich persönlich steht das Verursacherprinzip im Zentrum. Wer ist für den Klimawandel verantwortlich – und trägt somit auch Verantwortung für diejenigen, die am schwersten von der Klimakrise betroffen sind? Die Ursachen und Wirkungen des Klimawandels sind sehr ungleich verteilt. Die Personen oder Länder, die am meisten zum Ausstoß von Treibhausgasen beitragen, sind nicht allein diejenigen, die davon betroffen sind. Die Klimakrise wirkt sich auch auf Menschen aus, die nur wenig zu den Emissionen beitragen.
Diese unterschiedliche Betroffenheit von Menschen sehen wir ebenso bei der gesellschaftlichen Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Die Bepreisung von CO2 trifft oft einkommensschwache Haushalte überproportional. Die Veränderungen müssen sozial gerecht gestaltet werden, es braucht eine faire Lastenverteilung.
Schon heute sind sehr viele Menschen in Folge der Klimakrise gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Konkrete Zahlen dazu zu finden, ist jedoch schwer. Liegt das daran, dass der Begriff „Klimaflucht” schwer fassbar ist?
Genau, es gibt keine einheitliche Definition. Von „Flüchtlingen” spricht man eher im Kontext der Genfer Konvention. Dies ist der rechtliche Grundpfeiler des Flüchtlingsschutzes, unter den bislang nur Menschen fallen, denen zum Beispiel aufgrund ihrer politischen Überzeugung, Religion oder Nationalität Verfolgung droht und die deshalb ihr Staatsgebiet verlassen. Menschen, die vor den Folgen des Klimawandels fliehen, haben diesen rechtlichen Schutzstatus nicht. Sie migrieren außerdem vorwiegend innerhalb ihres Landes. In Fachkreisen wird deshalb eher von „Klimamigration” oder „Mobilität im Kontext des Klimawandels” gesprochen.
Die Auswirkungen der Klimakrise sind sehr komplex. Viele Menschen, die migrieren, würden wahrscheinlich nicht sagen, dass sie ausschließlich aufgrund von klimawandelbedingten Umweltveränderungen geflohen sind oder? Meistens spielen da doch mehrere Faktoren zusammen.
Menschen treffen Entscheidungen in der Regel aufgrund von verschiedenen Überlegungen, das ist bei der Migrationsentscheidung nicht anders. Wenn ein Wirbelsturm Lebensgefahr bedeutet, entschließt man sich natürlich genau deshalb, von heute auf morgen alles zurückzulassen. Es gibt mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Belege dafür, dass das häufigere und intensivere Auftreten von extremen, wetterbedingten Naturkatastrophen, wie Starkregen, Überflutungen oder Dürre, dazu führt, dass Menschen migrieren.
Trotzdem sind die Folgen der Klimakrise laut Genfer Flüchtlingskonvention nach wie vor nicht als Fluchtgrund anerkannt, das wird seit Jahren diskutiert. Womit hängt das zusammen?
Das liegt vor allem daran, dass die Genfer Konvention auch aufgrund der zahlreichen Verletzungen des bestehenden Menschenrechts auf Asyl derzeit politisch unter ziemlich starkem Druck steht. Es besteht die Gefahr, dass neue Verhandlungen um die Erweiterung des Schutzbegriffs dazu führen könnten, dass perspektivisch weniger Gruppen Schutz erhalten. Unabhängig davon bräuchte es für Änderungen innerhalb der Genfer Konvention einen politischen Konsens zwischen allen Vertragsstaaten – und der ist zurzeit nicht in Sicht.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass bei diesen ganzen Debatten vergessen wird, dass es hier um Menschen geht, die im Kontext von Hochwasser, Stürmen oder anhaltender Dürre um ihr Überleben kämpfen. Ihr Handlungsspielraum wird vor allem durch den Lebensstil in den westlichen Industriestaaten und deren Nutzung fossiler Energieträger aktiv beschnitten. Diese Menschen haben ein Recht darauf, Entscheidungen über ihr Leben zu treffen. Wenn sie Migration als letzten Ausweg sehen, dann sollte ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, dies zu tun. Momentan ist es aber so, dass viele Menschen gar keine Unterstützung bekommen. Die Chance ist hoch, dass sie dann in eine Armutsspirale geraten.
Deshalb fordern Sie konkret einen sogenannten „Klimapass“.
Genau. Der Klimapass ist ein Vorschlag, der von vielen Wissenschaftler*innen befürwortet wird, auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und der Sachverständigen Rat für Integration und Migration haben dies bereits formuliert. Durch die Klimakrise könnten im Extremfall – abhängig von den zukünftigen Emissionen – ganze Regionen unbewohnbar werden, mitunter würde der Meeresspiegelanstieg dazu führen, dass flachliegende Kleininselstaaten zerstört würden. In solchen Fällen würde ein Klimapass Betroffenen staatsbürgerschafts-ähnliche Rechte in Ländern zuschreiben, die dieses Dokument anerkennen. Mit diesem Aufenthaltstitel dürften sich die Menschen dann legal in dem Land aufhalten und arbeiten.
In absehbarer Zukunft könnte das Risiko der Unbewohnbarkeit vor allem die flach liegenden Inselstaaten betreffen. Tuvalu im Pazifik zum Beispiel. Gerade im November 2023 hat Australien im Kontext der Klimakrise eine Vereinbarung unterzeichnet, die es allen Staatsbürger*innen aus Tuvalu durch ein neues Visum erlaubt, langfristig in Australien zu leben. Dieses Abkommen wurde von vielen als „bahnbrechend” angesehen, weil es als bilaterales Abkommen einer größeren Gruppe von Personen die Migration aus einem vom Klimawandel bedrohten Gebiet ermöglicht.
Tuvalu ist ein eher kleiner Inselstaat. Wenn aber größere Regionen nahezu unbewohnbar werden, wird es auch weitaus größere Migrationsbewegungen geben.
Das wird laut Prognosen des Weltklimarates (IPCC) vor allem dann zutreffen, wenn wir die Erde bis Ende des Jahrhunderts um 4°C erwärmen. Da besteht auf internationaler Ebene ein riesiges Konfliktpotenzial. Besonders gefährdet sind viele deltaiische Gebiete und Länder in den Tropen, das sind auch gleichzeitig die Regionen mit sehr hohen Bevölkerungszahlen. Aber auch im Sahel ist bereits heute eine durch den Klimawandel verstärkte tödliche Hitzewelle aufgetreten. Die zukünftige Bewohnbarkeit dieser Regionen hängt stark davon ab, wie wir heute Klimaschutz betreiben. Das ist letztlich eine wichtige politische Frage.
Derzeit gehen hunderttausende Menschen in Deutschland gegen die steigenden AfD-Zahlen auf die Straßen. In Europa zeichnet sich ein zunehmender Rechtsruck ab. Wenn man sich vorstellt, dass in Zukunft durch den Klimawandel noch mehr Menschen migrieren, kommt die Frage auf: Schafft die internationale Gemeinschaft das?
Die Debatten um Zuwanderung sind zum Teil sehr emotionalisiert und polarisiert. Das sind meiner Meinung nach keinen guten Voraussetzungen für politische Entscheidungen. Zunächst ist wichtig zu betonen, dass klimawandelbedingte Migrationsbewegungen vor allem innerhalb von nationalen Grenzen stattfinden – und nicht etwa in Richtung Europa. Es gilt Zwangsmigration in aller Form zu verhindern, Schutz suchenden zu helfen und Arbeitsmigration zu ermöglichen. Ein Land wie Deutschland ist auf eine Einwanderung von außen angewiesen, um den demographischen Wandel zu stemmen und als Wirtschaftsstandort attraktiv zu bleiben. Das ist vielfach belegt. Wenn wir aus Angst vor Fremden nun anfangen, uns abzuschotten, wird unsere Wirtschaft dadurch viel stärker leiden, als durch die Kosten von Integration.
Welche Maßnahmen können wir in Bremen in Bezug zu globaler Klimagerechtigkeit umsetzen?
Es braucht vor allem eine konsequente Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen vor Ort, in den unterschiedlichen Stadtteilen. Das sollte auch im Kontext der extremen Niederschläge letzten Winter diskutiert werden, als zahlreiche Menschen in Bremen und Niedersachsen aus ihren Häusern evakuiert werden mussten. Viele Haushalte waren davon betroffen, aber es hätte noch schlimmer kommen können. Das zeigt doch: Die Klimakrise trifft uns alle – und zwar auch schon heute.
Die Menschheit steht an einem Scheideweg: Schaffen wir es, die Klimaerwärmung durch die drastische Reduzierung der Emissionen zu begrenzen oder nicht? In den nächsten Jahren ist deutlich mehr Tempo beim Klimaschutz gefragt. Schnellstmöglich müssen fossile Subventionen abgebaut werden, weil es die falschen Anreize setzt. Die 1,5°C-Grenze des Pariser Klimaschutzabkommens werden wir wohl nicht mehr halten können. Die wichtigere Frage ist, ob wir bei einer Erwärmung unter 2°C bleiben. Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann werden wir es nicht schaffen.
Dieses Interview führten Jana Otten und Jonas Daldrup