von Steffi Ober, NABU
Wachstum und Wohlstandssicherung sind die dominierenden Prioritäten der Forschungspolitik im Bereich der Bioökonomie. Eine problemorientierte, technologieoffene Forschungsstrategie ist jedoch unerlässlich, um institutionelle, kulturelle und soziale Innovationen zu ermöglichen.
Foto: © Eva-Maria Lopez
Große Herausforderungen erfordern mutiges politisches Handeln und eine zukunftsorientierte Wissenschafts- und Forschungsagenda: einen Fahrplan abseits ausgetretener Pfade, der den gesellschaftlichen Wandel mit neuen, transdisziplinären Allianzen vorantreibt. Doch die nachhaltige Entwicklung ist komplex, viele Entscheidungen über eine wünschenswerte Zukunft hängen von gesellschaftlichen Normen, von unseren Werten ab. Allerdings hängen unsere Vorstellungen von Wohlstand und gutem Leben ebenso sehr vom aktuellen Zeitgeist und Diskurs ab wie das viel zitierte Gemeinwohl. Während die einen eine Rückkehr zum Konsumniveau der 1970er Jahre mit einem Rückfall in das finstere Mittelalter gleichsetzen und einen Alptraum des Verzichts erwarten, ist für die anderen die Etablierung von Suffizienz ein notwendiges Korrektiv des westlichen Lebensstils, das eine nachhaltige Zukunft sichert.
In der Forschungspolitik gelten jedoch klare Grundsätze als unumstößlich: Wachstum und Wohlstandssicherung gehören ebenso dazu wie die langfristige Sicherung von Wirtschaftsstandorten und die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geht von diesen Prämissen aus und reproduziert sie durch die Auswahl seiner Experten: Es fungiert als Gatekeeper und bestimmt, wer zum inneren Kreis der Expertise gehört, wer in und außerhalb der Gremien gehört wird. Partizipation hingegen wird nur sehr selektiv angeboten und Vorschläge werden nur selten aufgegriffen.
Eine suffizienzorientierte Bioökonomie oder Vorschläge, die das 1,5-Grad-Ziel wirklich beeinflussen würden, sind blinde Flecken, die ungehört und ungesehen bleiben, weil niemand in den Gremien Positionen abseits der genannten Prinzipien vertritt. Die Bioökonomie-Strategie ist Teil der Hightech-Strategie. Eine problemorientierte und technologieoffene Forschungsstrategie würde dagegen auch Low- oder Middle-Tech, institutionelle, kulturelle und soziale Innovationen als mögliche Lösungen einbeziehen. Darüber hinaus würde es die entsprechenden Experten mit praktischem Wissen über den Wandel einbeziehen, die in der Lage wären, dieses Wissen in die Gesellschaft zu tragen.
Die Bioökonomie-Strategie spiegelt genau die politischen Machtverhältnisse wider. Die ständige Konzentration auf Effizienz und die Fixierung auf Technologien verdeckt die Notwendigkeit, in einen sozialen Aushandlungsprozess einzutreten. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben hier die Aufgabe, einen fundierten Hintergrund zu liefern und technologische Entwicklungen zur Umsetzung zukunftsweisender Konzepte zu ermöglichen.
Eine nachhaltige Entwicklung erfordert jedoch kulturelle, wirtschaftliche und institutionelle Veränderungen, die nicht ohne Widerstand und Konflikte vonstatten gehen werden. Bisher hat die Bioökonomie-Strategie keine Antworten darauf gegeben, wie mit absehbaren Konflikten umgegangen werden soll. Stattdessen stützt sich die Forschungspolitik auf das Narrativ, dass massive Investitionen in Technologien und intensive Landnutzungskonzepte einen Wandel ohne Opfer ermöglichen werden. Die Schlüsseltechnologien für den Wandel sind Digitalisierung und Biotechnologie. Das Ziel ist die Maximierung der Effizienz, und die Menschen müssen sich darauf einstellen. Der Erfolg der Transformation hängt im Wesentlichen davon ab, ausreichend Kapital zu aktivieren, die Technologien schnell am Markt zu etablieren, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen und die Akzeptanz durch die Sozialforschung zu sichern.
Es fehlt an Alternativen und einer kritischen Reflexion, die durch partizipative Technikfolgenabschätzung ermöglicht wird. Eine solche Bewertung bietet einen reflexiven Rahmen in Bezug auf die Frage, wie bestimmte technologische Entwicklungen in eine nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft eingebettet werden. Sie ist unverzichtbar, wenn es darum geht, mögliche Zukünfte zu entwerfen, alternative Wege zu beschreiben und deren Bedingungen und Folgen zu analysieren. Da die Entwürfe der Zukunft zu normativen Plänen mit weitreichenden ethischen, rechtlichen, sozialen und ökologischen Folgen werden, sollte der „gesellschaftliche Dialog“ in diesen Prozess eingebettet werden.
Eine gesellschaftlich relevante Bioökonomie-Forschungspolitik müsste daher drei Bedingungen erfüllen:
1. Problemorientierung und Offenheit für alternative ökonomische, ökologische und institutionelle Innovationen.
2. Klare Kriterien für die Ernennung von Expertengremien, einschließlich des Bioökonomierates III, sowie Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft, um ihre gleichberechtigte Teilnahme zu ermöglichen.
3. Neue Räume und Knotenpunkte, die die Zivilgesellschaft und die Wissenschaft verbinden, um die Gesellschaft als Ressource und Motor des Wandels aufzubauen. Etablierte Einrichtungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wie die Arbeitsgemeinschaft Industrielle Gemeinschaftsforschung (AIF) oder die Akademie für Technikentwicklung (Acatech) zeigen, wie es geht.
Dr. Steffi Ober ist Referentin für nachhaltige Forschung und Innovation beim NABU sowie Initiatorin und Leiterin der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende.
Die zwölf Diskussionsbeiträge der Umwelt- und Entwicklungsverbände für eine nachhaltige Bioökonomie gibt es hier als PDF zum Download.