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Grüner Erdölersatz aus dem Meer?

Algen – oft unscheinbare ein- oder mehrzellige Pflanzen – zählen zu den ältesten pflanzlichen Organismen und sind auch heute ein wichtiger Bestandteil des Systems Erde. Für die Umwelt spielen sie eine große Rolle, denn durch Photosynthese binden Mikroalgen viel CO₂ und produzieren zugleich Sauerstoff (schätzungsweise 50 % des weltweiten Sauerstoffs produzieren Algen). Außerdem können sich Algen schneller als andere Pflanzen vermehren und sind natürlich biologisch abbaubar.

Gerade im Jahr 2022 wird überdeutlich, dass die Menschheit sich von den begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffen abwenden muss und Alternativen dringend nötig sind. Warum also nicht die so nachhaltig erscheinenden Algen umfassend für die Bioökonomie nutzen?

Diese Idee nehmen sich auch zahlreiche Forscher*innen und Unternehmer*innen zu Herzen, zurzeit gibt es regelrecht eine Euphorie mit Blick auf Produkte aus Algen. Da wäre beispielsweise eine Verpackung aus Makroalgen für den Take-away Gebrauch in der Gastronomie, die sich im Projekt Mak-Pak am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in der Entwicklung befindet. Oder nachhaltigere Kleidung durch Fasern aus Mikroalgen für die Textilindustrie, an denen das Projekte Algaetex arbeitet. Das Green Carbon Projekt der TU München wiederum befasst sich damit, Leichtbaukompositmaterialien aus Mikroalgen herzustellen.

Bei den Algen wird zwischen zwei Hauptgruppen, Makro- und Mikroalgen, unterschieden. Erstere sind die „klassischen“ Algen, die den meisten Menschen gleich in den Sinn kommen, Algenpflanzen mit einer Größe von wenigen Millimetern bis hin zu Tang, der über 50 Meter lang werden kann. Mikroalgen dagegen sind sehr kleine Algenarten, die einzellig und mikroskopisch klein sind.

Nach ihrer Kultivierung werden die Mikroalgen im Beispiel von Algaetex mit Hilfe von Fettsäuren zu Biopolymeren weiterverarbeitet, die ähnliche Eigenschaften wie üblicherweise in der Textilindustrie gebräuchliche Polyester oder Polyamide besitzen. Auf diese Weise bieten sie eine natürliche Rohstoffquelle für synthetische Textilfasern, die später z.B. in Sneakern oder T-Shirts verwendet werden können.

Ähnlich geht die TU München in ihrem Projekt Green Carbon vor, wenn aus kultivierten Mikroalgen im weiteren Verlauf biobasierte Kunststoffe sowie Carbonfasern entstehen. Aus diesen können später Faserverbundstoffe entstehen, deren Verwendung im Flugzeug- und Automobilbau getestet wird. Auch in der technischen Entwicklung des AWI im Mak-Pak Projekt liegt der Fokus auf den Materialeigenschaften der Algen. Vor allem Widerständigkeit und Festigkeit sind wichtige Attribute, doch genauso ist die Kompostierbarkeit relevant. Im besten Fall soll die entstandene Verpackung sogar essbar sein.

Allen Anwendungen gemein ist die Motivation, durch Algenkultivierung athmosphärisches CO2 zu binden und damit eine CO2-neutrale Produktion zu gewährleisten. Die neuartigen Produkte sollen z.B. schädliche Einwegverpackungen aus Plastik ersetzen und damit die Umwelt entlasten. Ein genauerer Blick auf die Algenproduktion weckt allerdings Bedenken.

Expert*innen der NGO biofuelwatch schauen kritisch auf die als so umweltfreundlich angepriesene Algenzucht. Algen können nicht einfach aus dem Meer gefischt, sondern müssen gezüchtet werden. Die Kultivierung kann dabei in unterschiedlichen Verfahren in Bioreaktoren oder offenen Becken erfolgen.

Letztere sind mit Wasser gefüllte Behältnisse, in denen mit Hilfe von Pumpen Wasser zirkuliert, damit alle Algen genügend Sonne für die Photosynthese bekommmen. Eins der Probleme dabei ist der hohe Wassereinsatz und -verbrauch. Vor allem bei der Zucht in offenen Becken geht viel Wasser durch Verdunstung verloren. Dabei ist es wahrscheinlich, dass die Algenproduktion gerade in wärmeren Ländern stattfindet, in denen Wasser sowieso schon knapp ist. Denn dort sind die Temperaturen und die hohe Sonnenleistung förderlich für das Algenwachstum. Auch weitere Umweltrisiken sollten bedacht werden – wie die Gefahr, dass Neophyten, nicht lokal vorkommende Algenarten, aus offenen Becken in die Umwelt gelangen.

Eine andere Variante der Algenzucht sind Photobioreaktoren, bei denen es sich um geschlossene technische Anlagen handelt. Unter spezifischen Lebensbedingungen bezüglich Temperatur, Licht und Wasserzirkulation, die für die jeweilige Algenart geeignet sein müssen, kann dieses Verfahren sehr ertragreich sein. Bei diesen Anlagen ist der Energieaufwand jedoch nicht zu vernachlässigen. Auch die Nährstoffversorgung der Algen – die oftmals bei der Beschreibung des Produktionsablaufes gar nicht erst erwähnt wird – sollte genau unter die Lupe genommen werden. Denn natürlich ist es wichtig zu betrachten, woher diese Nährstoffe stammen und wie schädlich ihre Gewinnung für die Umwelt ist.

Mit Blick auf beide Algenzuchtverfahren gibt es also klare Umweltbedenken. Schlussendlich kann die Nachhaltigkeit von Produkten aus Algen aber zurzeit nur sehr begrenzt beurteilt werden, da die großindustrielle Produktion noch nicht umfassend und lang genug stattfindet. Die meisten innovativen Projekte stecken noch in der Konkretisierung oder in der Phase der Ausweitung in den industriellen Maßstab. Am Ende bleibt deren Beurteilung in Sachen Nachhaltigkeit also eine Frage der Umsetzung und auch des Maßstabes der Algenproduktion und Weiterverarbeitung. Dabei werden sich die genannten Umweltrisiken nicht von allein lösen.

In jedem Fall sind auch die Algen kein perfekter, unendlich verfügbarer Rohstoff. Auch algenbasierte Produkte müssen weiterverarbeitet und am Ende recycelt werden. Sie ersetzen nicht unsere Bemühungen für eine Kreislaufwirtschaft, für möglichst langlebige Produkte und eine absolute Minderung unseres Ressourcenverbrauchs.

Ein Beitrag von Carlotta Bleses (denkhausbremen)

(Foto: C9po/Wikimedia – CC4.0)