Alternativen zum Wachstum: Starke Umweltverbände können eine zentrale Rolle spielen
Von Michael Gerhardt und Peter Gerhardt
Nachdenken über das Wachstumparadigma ist die vielleicht relevanteste Zukunftsdiskussion. Die persönlichen Befindlichkeiten der Wohlstandsbürger und auch globale Zusammenhänge werden dabei einbezogen. Was fehlt ist ein allgemein akzeptierter Begriff und eine schlüssige Strategie, wie die Wachstumsgläubigkeit überwunden werden kann. Dabei können starke Umweltverbände eine zentrale Rolle spielen.
Macht das dritte iPad noch glücklich? Diese Frage können sich nur Menschen stellen, die schon zwei gekauft haben. Damit sind wir schon bei einem zentralen Kritikpunkt der Debatte um das Wirtschaftswachstum. Sie trägt ziemlich elitäre Züge. Trotzdem ist es spannend darüber nachzudenken, denn auch die gesättigte Mittelschicht hat das Recht auf ihre eigenen Diskussionen. Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ja, es wäre sicher sinnstiftender gewesen mehr Zeit mit seinen Freunden oder Kindern zu verbringen, anstatt für ein weiteres iPad arbeiten zu gehen. Das sagt auch die so genannte Glücksforschung. Trotzdem stürzen sich auch Menschen, die schon alles haben, ins Hamsterrad und Arbeiten und Kaufen als ob es kein Morgen gäbe. Dieses Dilemma wird auch von zahlreichen Entschleunigungsratgebern aufgegriffen.
Aber die Diskussion ums Wachstum ist natürlich mehr als eine Selbsthilfeveranstaltung für die Überversorgten. Für unseren Turbokonsum werden wertvolle Rohstoffe vergeudet und die Bewohner des Globalen Südens bezahlen zuerst die Zeche mit der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.
Das Kind braucht einen Namen
Der wachstumsskeptischen Bewegung fehlt bis heute ein in der breiteren Öffentlichkeit akzeptiertes Label. Die Schwierigkeit dabei ist, eine derart überkomplexe Idee in eine halbwegs griffige Formel zu gießen. Mal heißt es verheißungvoll “Gutes Leben (Buen Vivir)”, wissenschaftlich aufgeladen “Postwachstumsgesellschaft”, nebulös “Große Transformation” oder technokratisch “reduktive Moderne”. Durchgesetzt hat sich keiner der Begriffe und Unbeteiligte könnten hinter “Großer Transformation” auch ein Umerziehungsprogramm von Scientology vermuten. Aber es ist natürlich einfach und arrogant sich über die real existierenden Benennungsversuche lustig zu machen. Sie machen aber deutlich, wie ambitioniert die Namenssuche ist. Auf internationalen Konferenzen hat sich das englische Kunstwort “Degrowth” durchgesetzt, ein im deutschsprachigen Raum auch nicht gerade massenkompatibler Begriff.
Und was ist genau gemeint?
Selbst wenn die treffende Bezeichnung gefunden würde, bleibt ein wesentliches Problem: Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition über Weg und Ziel. Für die Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik etwa ist das weniger schwer: Wenn der letzte Reaktor abgeschaltet ist, dann ist zumindest ein wichtiges Etappenziel erreicht. Wachstumskritik ist komplexer, es geht schließlich u.a. um eine Radikalkur unseres global verknüpften Wirtschaftsystems. Außerdem soll die in fast alle Lebensbereiche vorgedrungene Ökonomisierung zurückgedrängt werden; privat wünschen sich viele eine Entschleunigung ihres Alltags. Diese vielschichtige Gemengelage verhindert es, sich auf Prioritäten und einen gemeinsamen Weg zu verständigen.
Ist Degrowth das neue nachhaltig?
Es besteht die Gefahr, dass die radikale Idee des Degrowth zu einer beliebigen und entpolitisierten Worthülse verkommt. So wie bei der Nachhaltigkeit. Dieses Konzept wurde 1983 von der Brundland-Kommission in die jüngere politische Debatte eingebracht und 1992 durch den Umweltgipfel in Rio populär gemacht. Gemeint war damals eine soziale, ökologische und ökonomische Zäsur, damit der Erde nicht die Puste ausgeht. Der Begriff Nachhaltigkeit ist danach durch seine inflationäre Verwendung entwertet worden und wird heute ohne Widerspruch auch von Autobossen in den Mund genommen oder steht auf jeder Milchtüte.
Besteht diese Gefahr auch für den Begriff Degrowth? Erste Indizien weisen zumindestens darauf hin. Degrowth wird mittlerweile in verschiedenen Zusammenhängen synonym für Nachhaltigkeit benutzt oder muss als neues Label für althergebrachte Aktivitäten herhalten. “Wir machen ja schon jede Menge Degrowth bei unseren Kampagnen”, sagte zum Beispiel eine führende Funktionärin eines Umweltverbandes vor kurzem bei einer öffentlichen Diskussion.
Degrowth geht nur mit Gerechtigkeit
Geht es bei einem möglichen Umbau unseres Wirtschaftssystems nicht in erster Linie um mehr Gerechtigkeit auf den verschiedensten Ebenen? Um Gerechtigkeit, die unser kapitalistisches Wirtschaftssystem wahrscheinlich nicht liefern kann und wird. Dieser Teil der Betrachtung bleibt in der öffentlichen Degrowth-Debatte seltsam unterbelichtet. Vielleicht auch weil er der schwierigste ist. Schließlich beißen sich Gewerkschaften, Linke und Wohlfahrtsverbände gemeinsam die Zähne dran aus, die Lebensbedingungen gerechter zu gestalten. Sie geraten dabei immer weiter in die Defensive, wie aktuelle Einkommensverteilungskurven zeigen. Außerdem werden Verteilungsfragen bei diesen Debatten oftmals nicht als solche benannt. In diesem Licht ist Klimagerechtigkeit möglicherweise ein verniedlichendes Wort für radikale Kapitalismuskritik, die den Machtanspruch der Wohlhabenden in Frage stellt.
Damit Degrowth kein Eliteprojekt bleibt, ist eine faire Ressourcenverteilung Vorraussetzung. Eine breitere gesellschaftliche Mehrheit wird nur dann einen Wandel akzeptieren, wenn soziale Sicherungssysteme ein Fangnetz bereitstellen.
Gewerkschaften zählen zu den stärksten Kräften für einen sozialen Ausgleich. Was liegt also näher, als auf die Arbeitnehmervertreter/innen einen Schritt zu zu gehen. Das ist leichter gesagt als getan. Gewerkschaften tun sich naturgemäß schwer mit wachstumskritischen Ideen, da ihr Klientel, wenn auch nur in einem immer geringeren Ausmaß, finanziell von Wachstumsgewinnen profitiert.
Umweltverbände sind erfolgreich
Im Gegensatz dazu fällt den großen Umweltverbänden eine Schlüsselrolle zu, wenn wie bei Degrowth ökologische Themen verhandelt werden. Diesen wird oft vorgeworfen, dass sie “Wellness-Politik für die Caffe-Latte-Fraktion” in den besseren Stadtteilen machen und Gerechtigkeitsaspekte kaum adressieren. Mag ja was dran sein, aber dafür sind sie auch nicht an den Start gegangen. Wäre es außerdem nicht unfair, die Umweltverbände für die soziale Spaltung der Gesellschaft in Haftung zu nehmen?
Natürlich lassen sich Beispiele finden, wo gut gemeinte Umweltprojekte oder Ökokampagnen sozial blind unterwegs gewesen sind. Wie zum Beispiel bei der sogenannten Ökostromumlage, die in der Umweltszene als Erfolgmodell gilt. Hier lassen sich in der Regel gut situierte Eigenheimbesitzer ihre Solaranlage auch von finanziell klammen Mietern finanzieren. Oder beim Öko-Hassobjekt Billigflieger: Jetzt können sich auch Normalverdiener einen Tages-Shopping-Trip nach London leisten und schon rümpfen viele Ökos die Nase. Fliegen sei zu billig. In der Konsequenz würde das bedeuten, dass nur noch die Reichen durch die Gegend jetten dürfen.
Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die großen vier – BUND, Greenpeace, Nabu und WWF – überaus erfolgreich sind und mittlerweile mehr Unterstützer/innen oder Mitglieder hinter sich versammeln als die sogenannten Volksparteien SPD und CDU.
Gleichwohl haben auch die Umweltorganisationen das Bedürfnis ihre Strategie fortwährend nachzujustieren und neue Bündnispartner einzubinden. Deshalb lohnt es sich für sie, mit Sozialverbänden, Gewerkschaften und wachstumskritischen Akteuren den Austausch zu suchen.
Und darum geht es auch in diesem Projekt
Zu diesem Zweck ist das Projekt “Dialog Degrowth” initiiert worden. denkhausbremen möchte Plattform, Forum und Ideensteinbruch sein, damit eine Diskussion zwischen wachstumskritischen Kräften und den klassischen Umweltverbänden zu fruchtbaren Ergebnissen führt. Letztendlich soll der Dialog in möglichst konkrete Handlungsstrategien übersetzt werden, damit progressive Themen das Spektrum der Verbände erweitern. Das ist gut für die Umweltverbände und auch gut für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.