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Andreas Siemoneit: Leistungsloses Einkommen abschaffen

Andreas Siemoneit ist Physiker und Wirtschaftsingenieur. Er arbeitet als Software-Architekt und Berater in Berlin. In einem privaten sozialwissenschaftlichen Forschungsprojekt befasst er sich mit vermuteten „Wachstumszwängen“ und einer Anthropologie des ökonomischen und politischen Prozesses aus einer liberalen und marktfreundlichen Perspektive. Er ist Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des Fördervereins Wachstumswende.

 

denkhausbremen: Warum sind so viele Menschen in der Wachstumslogik verhaftet?

Andreas Siemoneit: Wachstum ist auf der persönlichen Ebene durchaus eine sinnvolle Strategie. Menschen, die mehr haben, können letztlich mehr machen und haben bessere Chancen im Leben und für ihre Kinder. Auch Unternehmen, die wachsen, stehen in der Regel besser da als Unternehmen, die nicht wachsen. Die Wachstumslogik ist also eine sehr attraktive Option. Auf Dauer ist jedoch Wachstum für alle nicht möglich.

Ist der Förderverein Wachstumswende, in dem Sie sich im Vorstand engagieren, ein Frontalangriff auf diese Logik?

Ja und nein. Wenige stellen in Frage, dass ein wirtschaftliches Wachstum, das auf hohem Ressourcenverbrauch basiert, so ewig weitergehen kann. Als politisches Ziel ist Wachstum jedoch immer noch stark präsent, da viele glauben, dass man nur über Wachstum soziale Stabilität erreichen könne. Die wachstumskritische Bewegung stellt eben diesen Zusammenhang in Frage. Die Gegenseite beharrt auf Wachstum, da alles Wichtige in einer modernen Gesellschaft, wie Bildung, Umweltschutz und Teilhabe, nur so zu erreichen wäre. Wachstum und Nachhaltigkeit seien vereinbar. Hier liegt der Kern der Auseinandersetzung.

Sie selbst haben in der wachstumskritischen Szene eine Ausnahmestellung, da Sie dem Markt als Regulator einiges in der Problemlösung zutrauen…

Der Mainstream der Wachstumskritik ist meiner Meinung nach sehr vordergründig. Viele empfinden das Festhalten der Politik am BIP-Wachstum als Provokation und reagieren darauf. Dazu kommen die neoliberale Deregulation der Märkte und die Innovationsförderung, die das Wachstum weiter antreiben sollen, die ebenfalls von den Wachstumskritikern als Provokationen empfunden werden. Sie regieren dann direkt darauf und stellen z.B. fest, dass das BIP kein sinnvoller Indikator sei. Man könne Arbeitszeit anders verteilen, man könne ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Meiner Meinung sind das moralische Ausweichreaktionen, die ökonomisch aber nicht immer fundiert sind. Kaum jemand hat vorher gefragt: wie funktioniert eigentlich die Ökonomie? Das gilt aber nicht nur für die Wachstumskritiker; auch die Mainstream-Ökonomen vertrauen im Grunde blind auf den freien Markt. Wenige Leute bewegen sich im Mittelfeld dazwischen und fragen sich, was ist eigentlich der Sinn von Märkten und wie funktionieren sie.

Und Sie sehen sich in diesem Mittelfeld?

Ich versuche, als nüchterner Wissenschaftler keinen Glaubenssätzen einer Seite zu verfallen, sondern zu schauen, wie ist es denn eigentlich wirklich. Für Menschen, die anthropologisch gesehen eigentlich Moralisten sind, ist es eher schwierig, nüchtern zu sein. Der ökonomische Mainstream ist dabei genauso moralisch unterwegs wie die Wachstumskritiker. Ich versuche den Moralismus aus dieser Diskussion rauszunehmen. Ich möchte herausfinden, wie Marktwirtschaft als soziales Modell gemeint ist. Viele liegen hier mit ihrer Interpretation nämlich ziemlich daneben…

Können Sie das erläutern?

Märkte setzen sich weltweit gegen alle anderen Wirtschaftsmodelle durch. Offenbar wollen die Menschen Märkte und sie haben etwas, das sehr gut funktioniert…

Meinen Sie wirklich alle Menschen? Ist es nicht eher so, dass sich wenige Interessengruppen und Oligarchien durchsetzen?

Der größte Teil der Marktbeziehungen ist nicht oligarchisch organisiert. Es gibt sehr viele einfache Angestellte und kleinere Unternehmen, die alle Marktwirtschaft im eigentlichen Sinne betreiben. Das ist quasi der unsichtbare Teil der Wirtschaft. Marktwirtschaft funktioniert in weiten Bereichen völlig unauffällig und geräuschlos und kann den wirtschaftlichen Austausch in großen Gesellschaften organisieren.

Aber ist die Marktwirtschaft nicht immer auch reguliert?

Marktwirtschaft hat das Potential, sich selbst zu regulieren. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Leistungsgerechtigkeit sichergestellt ist. Das Leistungsprinzip ist die zentrale Gerechtigkeitsnorm. Das Leistungsprinzip bedeutet, wenn ich eine Leistung am Markt anbiete, erwarte ich eine äquivalente Gegenleistung. Eigentlich ist das gesunder Menschenverstand. Man möchte einen Markt haben, auf dem Güter ausgetauscht werden, die vernünftige Preise erzielen, so dass die Produzenten davon leben können. Der Käufer will natürlich auch nicht zu viel bezahlen. Das ist der moralische Kern von Märkten. Wenn man keine Machtasymmetrien im Markt hat, funktioniert das auch. Wettbewerb ist tatsächlich der wichtigste Mechanismus, um Machtasymmetrien zu verhindern.

Aber gibt es nicht auch ein anderes erfolgreiches Wirtschaften wie z.B. in Kooperativen, in denen das Leistungsprinzip nicht das Maß aller Dinge ist? Hier zählt doch auch Zugehörigkeit und die menschliche Bindung zueinander…

Sie bringen das Leistungsprinzip gerade in einen Gegensatz zu anderen, uneigennützigen Motiven. Das ist falsch und gar nicht notwendig. Auch eine Kooperative funktioniert nur, wenn sich alle letztlich einbringen und die gemeinsamen Ziele verfolgen. Jede Kooperative scheitert, wenn es dort Menschen gibt, die versuchen auf Kosten der anderen zu leben.

Da machen Sie jetzt aber einen gedanklichen Fehler. Es ist ein Wesen von Kooperativen, dass dort auch Menschen dabei sind, die mit durchgezogen werden.

Sie haben mich falsch verstanden. In jeder Gesellschaft gibt es Menschen, die nicht so leistungsfähig sind wie andere und sich nicht vollständig allein ihren Lebensunterhalt erwirtschaften können. Das ist völlig unabhängig von der Art der Gesellschaft. Es gibt immer Mechanismen, dass diese Menschen mitgezogen werden. Es gibt jedoch in keiner Organisationsform eine Akzeptanz für Leute, die auf Kosten anderer leben, in dem sie sich Vorteile verschaffen, die anderen schaden. Niemand möchte Egoisten.

Sie sprechen oft von Ressourcen-Doping in unserem Wirtschaftssystem. Was meint das?

Wenn man das Leistungsprinzip als fundamentales Prinzip für Gerechtigkeit anerkennt, kann man Ungerechtigkeit in leistungslosen Einkommen identifizieren. Das ist sehr anschlussfähig, denn ein leistungsloses Einkommen findet niemand gut, außer der, der es bezieht. Ein wesentliches leistungsloses Einkommen ist bisher kaum berücksichtigt worden, nämlich die Technologie mit ihrem Ressourcenverbrauch. Besonders moderne Hochtechnologie, vor allem Halbleiterelektronik, erzeugt eine massive Schieflage durch Rationalisierung und Automatisierung: Sie ersetzt menschliche Arbeit durch Maschinen. Letztendlich wird so menschliche Arbeit durch Ressourcenverbrauch ersetzt. Alle diese Maschinen verbrauchen unglaublich viel Material: Sie müssen hergestellt werden, sie bestehen aus Werkstoffen und verbrauchen während ihrer ganzen Lebensdauer sehr viel Energie. Im Grunde bieten die Ingenieure mit ihren Maschinen die Leistung von Material an und nicht ihre eigene Leistung aufgrund ihrer Ausbildung und Innovationskraft.

Aber setzt sich am Markt nicht die Maschine durch, die mit weniger Ressourcen auskommt?

Das ist nicht der Punkt. Warum ist denn selbst die schlechteste Maschine der menschlichen Arbeit weit überlegen? Weil sie über eine unglaublich hohe Energiedichte verfügen kann. Das ist aber nicht die Leistung des Ingenieurs, sondern der Energiewert der verbrauchten Rohstoffe.

Versagt denn hier nicht der Markt, weil er die wirklichen Kosten nicht weitergibt?

Das stimmt. Ein Markt funktioniert nur, wenn die, die den Nutzen haben, auch alle anfallenden Kosten tragen. Wir haben daher keine funktionierende Marktwirtschaft, sondern Kapitalismus. Wir haben zahlreiche leistungslose Einkommen, die ungerecht sind. Aber der eigentliche Wachstumszwang kapitalistischer Ökonomien entsteht meiner Ansicht nach aus der Automatisierung und Rationalisierung. Niemand kann sich im Markt diesen Mechanismen entziehen, ohne komplett auszusteigen.

Wie kommen wir denn dann auf den Weg in eine echte Marktwirtschaft?

Viele glauben noch, dass durch individuelle Einsparung ein Wende stattfinden könne. Es wird auch in der Wachstumskritik viel über persönliche Suffizienz geredet. Aber der Ressourcenverbrauch muss durch die Politik gedeckelt werden. Vermutlich wird das im ersten Anlauf nicht funktionieren, und wir werden spektakulär scheitern…

Könnten die Umweltverbände hier nicht eine Rolle einnehmen?

Das ist keine spezielle Aufgabe der Umweltverbände. Vielmehr müssen sich alle die Frage stellen, ob es stimmt, dass der technische Fortschritt immer weiter geht und die Digitalisierung unaufhaltsam ist. Letztendlich steht die industrielle Moderne in Frage. Meine These ist: Sie ist auf Dauer nicht durchzuhalten. Vieles von der modernen Technologie kann unter einer verbrauchsgedeckelten Ökonomie nicht mehr betrieben werden, weil es schlicht zu teuer wird. Diese Botschaft will niemand hören.

Aber könnten die Umweltverbände als progressiver Teil der Gesellschaft nicht genau das mitbedenken?

Ich bezweifle, dass die Umweltverbände hier progressiv sind. Fortschrittskritik findet auch hier kaum statt. Auch hier glauben noch viele, das man die industrielle Moderne retten könne, wenn man es nur intelligenter anstellt.

Kommen Ihnen bei Ihrer doch recht exklusiven Theorie nie Zweifel, wenn so viele Menschen die Dinge anders sehen?

Die Richtigkeit einer sozialwissenschaftlichen These hängt überhaupt nicht von ihrem Zustimmungsgrad ab. Entweder ist sie richtig, falsch oder etwas dazwischen. Ich würde ja gerne inhaltlich angezweifelt werden, aber so weit komme ich in der Regel gar nicht. Viele Menschen wollen nur ihre Glaubenssätze verteidigen und nicht wirklich argumentieren.