Dirk Scharmer im Gespräch mit denkhausbremen über den Bau von Strohballenhäusern, Bioökonomie und einen notwendigen Bewusstseinswandel innerhalb der Gesellschaft. Dirk Scharmer ist Architekt bei DELTAGRÜN in Lüneburg. Seit 2002 begleitet er Strohballenbauvorhaben in ganz Deutschland.
denkhausbremen: Herr Scharmer, Strohballenhäuser gelten als besonders nachhaltig. Warum eigentlich?
Dirk Scharmer: Stroh ist ein Nebenprodukt, das bei der Erzeugung von Getreide entsteht. Indem wir Stroh als Baustoff verwenden, wandeln wir es in ein Produkt um, das wir jahrzehntelang nutzen können. Dadurch ersetzen wir andere, wesentlich energieintensivere Produkte und sparen knapper werdende Ressourcen, wie beispielsweise Holz. Hinzu kommt, dass ein vernünftig gebautes Strohballenhaus über die gesamte Lebensdauer von etwa 200 Jahren enorm viel CO2 speichern kann. Das wirkt sich natürlich positiv auf die Ökobilanz aus.
Der Bau und der Betrieb eines Strohballenhauses sind insgesamt mit einem sehr geringen Energieaufwand verbunden. Das liegt zum Beispiel daran, dass Stroh ein guter Dämmstoff ist und im Gegensatz zu den meisten anderen Baustoffen nicht weiterverarbeitet werden muss, bevor es als Baumaterial eingesetzt werden kann. Anhand eines Beispiels kann ich das verdeutlichen: Ein typisches, strohgedämmtes Einfamilienhaus kann man bauen UND über 69 Jahre beheizen, bis es die Menge an grauer Energie verbraucht hat, die allein für die Herstellung eines typischen Massivbaus erforderlich ist. Ich denke, das zeigt eindrucksvoll, dass einfach hergestellte Produkte wie Stroh effizient und langlebig eingesetzt werden müssen.
Stroh wird vor allem landwirtschaftlich und gelegentlich auch energetisch genutzt, zum Beispiel für die Produktion von Wärme oder die Herstellung von Biokraftstoffen. Aus unserer Sicht ergeben sich da Nutzungskonkurrenzen…
Ja, das stimmt, aber Stroh ist reichlich vorhanden und wächst jährlich nach. Es gibt Studien die zeigen, dass 10 bis 20 Prozent der jährlichen Strohernte zur freien Verfügung stehen. Damit könnten in etwa 350.000 Einfamilienhäuser pro Jahr gebaut werden. Die restlichen 80 bis 90 Prozent des Strohs brauchen die Landwirt*innen selbst, etwa für Einackerung, Tiereinstreu oder Raufutter.
Mittlerweile besteht Konsens darin, dass es am nachhaltigsten ist, nachwachsende Rohstoffe so lang wie möglich stofflich in der Kaskade zu nutzen, bevor sie letztendlich energetisch verwertet oder kompostiert werden. Genau das ist bei uns der Fall. Nach der stofflichen Verwertung von Stroh werden die Strohballenhäuser am Ende ihres Lebensweges quasi zu einem großen Komposthaufen oder können energetisch genutzt werden. Diesbezüglich bestünde auch die Möglichkeit, das Stroh für die Verwendung von Treibstoff zu verflüssigen.
Wie sieht es mit der Verfügbarkeit von Stroh als Baustoff aus?
Ob das Stroh wirklich verfügbar ist, ist letztlich von der jeweiligen Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs abhängig. Das kann von Jahr zu Jahr unterschiedlich sein, etwa weil es die Fruchtfolge nicht zulässt oder weil das Stroh für die Humusbildung eingeackert werden muss. Ähnlich wie die Ernte des Getreides ist und bleibt die Entnahme des Strohs vom Acker ein Eingriff in den Kreislauf der Natur. Genau genommen ist Stroh also nirgendwo übrig, aber es ist entnehmbar, wenn entsprechende Maßnahmen getroffen werden. Der Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V. hat 2004 in einer Studie herausgefunden, dass Bio-Landwirt*innen die Nährstoffentnahme zum Beispiel durch Untersaaten, Zwischenfrüchte, wie Leguminosen, oder Grünbrachen ausgleichen können. Um den Mehraufwand finanziell zu kompensieren, muss das Stroh nur etwas teurer verkauft werden.
Sie arbeiten also nur mit Bio-Landwirt*innen zusammen?
Das versuchen wir zumindest. Dann ist das Stroh, das wir beziehen, auch gleich ökologisch zertifiziert. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass vor allem die Bio-Betriebe in den neuen Bundesländern viel Stroh zur Verfügung haben. Durch die Auflösung der LPGs (Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften) nach der deutschen Wiedervereinigung sind sehr große Betriebsstrukturen entstanden, die zum Teil sogar so wirtschaften, dass sie ihr Stroh verkaufen. Die Bio-Landwirtschaft der alten Bundesländer hingegen ist relativ kleinteilig, die Landwirt*innen nutzen ihr Stroh eher selbst.
Wir haben aber auch schon mit konventionellen Landwirt*innen zusammengearbeitet und verhandelt, dass sie auf die für uns relevanten, unangenehmen letzten Spritzungen verzichten. Falls für sie dadurch wirtschaftliche Nachteile entstehen, gleichen wir ihnen das finanziell aus.
Kommt die Biomasse, die Sie für den Bau eines Strohballenhauses nutzen, eigentlich vom Acker nebenan oder müssen Sie lange Transportwege in Kauf nehmen?
Das Stroh beziehen wir aus einem Umkreis von ca. 20 bis 100 Kilometern vom Haus. Im Vergleich zu den sonst üblichen Transportdistanzen im Baustoffsektor ist das quasi vom Acker nebenan. Beim Holz sind die Distanzen deutlich länger, die liegen eher bei 200 Kilometern. Das hat vor allem damit zu tun, dass sich die Holzindustrie über die letzten Jahrzehnte massiv zentralisiert hat, es gibt nur noch sehr wenige Sägewerke.
Wir haben aber auch schon Strohballenhäuser gebaut, bei denen das Stroh wirklich vom benachbarten Acker, das Holz aus dem angrenzenden Waldstück und der Lehm aus dem Boden vor Ort kamen. Das ist möglich, aber dafür braucht es etwas mehr Vorlauf und eine darauf ausgerichtete Organisation der Materialbeschaffung oder entsprechende Partner*innen vor Ort, die das übernehmen. Die findet man aber gerade in ländlichen, strukturschwachen Regionen nicht immer so leicht.
Haben Strohballenhäuser aus Ihrer Sicht auch Nachteile?
Ich würde sagen, das kommt drauf an, aus welchem Blickwinkel man Strohballenhäuser betrachtet. Jemand, der aus dem herkömmlichen Bausektor kommt, der denkt an Beton- und Mauerwerksbauten oder Dämmung aus geschäumten Erdöl, einschließlich der damit verbundenen Qualitäten. Diese Person kriegt bei Strohballenhäusern sicher Ohrensausen, weil die zunächst vielleicht aus brennbaren, verrottbaren Baustoffen bestehen, die ungeschützt auch dafür bekannt sind, dass Schädlinge hineingehen. Die Bauindustrie ist im Hinblick auf ihre Baustoffe vor allem auf Brandschutz und Festigkeit ausgerichtet. Das hat viel mit den Erfahrungen zu tun, die während des zweiten Weltkrieges gemacht wurden und bei denen ganze Großstädte durch Bombardierungen und Flammenmeere zerstört wurden.
Ich denke aber, diese Schwerpunkte sind in unserer heutigen Zeit nicht mehr angemessen. Wir müssen beim Bauen mehr Wert auf Nachhaltigkeit und den Kreislaufgedanken legen. Aus unserer Perspektive betrachtet sind Feuer, Schimmel und Schädlinge also drei Vorteile, denn sie sorgen dafür, dass das Strohballenhaus am Ende des Lebensweges in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden kann und es keine besondere Entsorgungsindustrie braucht.
Selbstverständlich achten wir beim Bau der Häuser darauf, dass diese Faktoren erstmal nicht greifen. Strohballenhäuser können daher beispielsweise nicht im Regen gebaut werden. Das könnte auch als Nachteil gewertet werden. Ein Massivbau aus Beton, Kalksandstein oder Ziegeln steht während seiner Bauzeit üblicherweise komplett im Regen und muss durch die Bewohner*innen dann erstmal zwei Jahre lang trocken gewohnt werden. Mit was für gesundheitlichen Auswirkungen das verbunden ist, darüber redet allerdings niemand.
Glauben Sie, Strohballenhäuser könnten in Zukunft im großen Maßstab gebaut werden, auch im Sinne einer Bioökonomie?
Ja, rein technisch gesehen, wäre das möglich. Ich denke aber, dass eine notwendige Bedingung dafür auch ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft ist, vor allem, was den Blick auf die vermeintlichen Nachteile von Strohballenhäusern angeht. Da ist noch viel Spielraum für Aufklärung. Die Kunden, die von sich aus zu mir kommen, sind ja bereits von der Qualität und den ökologischen Vorteilen von Strohballenhäusern überzeugt.
Aber allein von der Biomasseverfügbarkeit her ergeben sich doch Grenzen?
Nein, ganz im Gegenteil. Derzeit werden in Deutschland rund 1000 Strohballenhäuser pro Jahr gebaut. Wir sind also sehr weit von den vorhin erwähnten 350.000 Wohneinheiten entfernt, die sich mit der frei verfügbaren Menge an Stroh bauen ließen. Sowohl auf der Angebots- als auch Nachfrageseite besteht ein enormes Potenzial – auch für Bioökonomie.
Selbst wenn ein Bewusstseinswandel innerhalb der Gesellschaft stattfinden würde, muss man sich ein Strohballenhaus auch leisten können. Wieviel teurer ist denn eigentlich so ein Strohballenhaus gegenüber einem herkömmlichen Haus?
Strohballenhäuser sind nur deswegen teurer, weil es im Ökobau weniger industriell und globalisiert zugeht und wir den Anspruch haben, unseren Leuten eine faire Bezahlung zu garantieren. Bei uns wird also auch gleichzeitig ein sozialer Aspekt mit abgedeckt. Im herkömmlichen Bausektor ist das oft nicht der Fall. Da arbeiten auch viele billige Arbeitskräfte aus dem Ausland, der Stundenlohn ist da meiner Meinung nach viel zu gering. Also insofern ist ein Vergleich schwierig, man vergleicht da im Grunde Äpfel mit Birnen. Ganz grundlegend kann man aber sagen: Wenn wir wirklich nur die Außenwände an einem Haus austauschen würden, dann wären wir, verglichen mit der billigsten Bauweise, bis zu 8 Prozent teurer. Ein ganzes Einfamilienhaus aus Stroh mit Holzfenstern, Holzfußböden, einer Solaranlage auf dem Dach oder sogar einer installierten Pelletheizung kann bis zu 20 Prozent teurer sein als ein herkömmliches Haus.
Mich wundert, dass die einkommensstarke Öko-Elite der Bundesrepublik Ihnen nicht die Tür einläuft. 1000 Strohballenhäuser pro Jahr sind nicht viel. Wo liegt der Haken?
Das habe ich mich auch schon oft gefragt. In einem Neubaugebiet in Lüneburg, in dem 400 neue Häuser gebaut wurden, war genau ein Haus ein Strohballenhaus – und das, obwohl dort ca. 30 Prozent der Menschen die Grünen wählen. Man müsste sich das Konsumverhalten im Baubereich mal näher angucken. Denn es ist ja so: Ein Haus ist kein Produkt des täglichen Bedarfs, so wie bei Bio-Essen. Die Entscheidung ein Haus zu bauen, kommt normalerweise ein bis zweimal im Leben vor und ist mit riesigen Summen verbunden. Ein Einfamilienhaus beispielsweise kostet mindestens 150.000, eher 400.000 Euro. Da besteht im Grunde ein großer Hebel, um Gutes zu tun.
Ich glaube außerdem, dass wir alle gewohnt sind, in einer beworbenen Konsumgesellschaft zu leben. Durch Werbung werden Produkte greifbarer. Vielleicht ist das eine Schwäche der Strohballenhaus-Szene: Wir bewerben unsere Produkte nicht systemkonform der Konsumgesellschaft. Und ich zumindest müsste vielleicht mehr dafür tun, dass meine Strohballenhäuser nicht mehr so Öko aussehen (lacht). Dann würden sich bestimmt mehr Menschen dafür begeistern. Die Produktqualität an sich hat meiner Meinung nach aber keinen Haken.
Das Gepräch führten Jana Otten und Peter Gerhardt.