Nene Opoku im Gespräch mit denkhausbremen über die Zusammenhänge von Klimagerechtigkeit, Kolonialismus und Rassismus. Nene Opoku studiert Interdisziplinäre Antisemitismusforschung in Berlin und ist Gründungsmitglied des Black Earth Kollektivs, das die Perspektive von Menschen mit Rassismuserfahrung in der Klimabewegung stärken will.
denkhausbremen: Wenn du an Klimagerechtigkeit denkst, was kommt dir persönlich als erstes in den Kopf?
Nene Opoku: Ich muss vor allem daran denken, dass der Begriff Klimagerechtigkeit von der weißen Klimabewegung im Globalen Norden vereinnahmt wurde. Aus meiner Sicht ist den meisten Menschen, die diesen Begriff verwenden, dabei nicht wirklich bewusst, dass Klimagerechtigkeit ein bestehendes Konzept mit spezifischen Inhalten ist, das von Menschen im Globalen Süden geprägt wurde, die zunächst für Menschenrechte und gegen Rassismus und neokoloniale Ausbeutung im Kontext von Umweltzerstörung kämpften.
Die Kritik richtete sich darauf, dass soziale Aspekte in den überwiegend marktbasierten Instrumenten um Klimaschutz kaum eine Rolle spielten. Der Begriff Klimagerechtigkeit ist also nicht irgendeine Erfindung aus dem Globalen Norden und eine bloße Zusammensetzung von “Klima” und “Gerechtigkeit”. Uns als Black Earth Kollektiv ist es sehr wichtig, darauf aufmerksam zu machen.
Lass uns über das Black Earth Kollektiv reden. Wer seid ihr, warum habt ihr euch gegründet?
Das Black Earth Kollektiv wurde 2018 in Berlin von einer Gruppe von Freund*innen gegründet. Wir machen alle Rassismuserfahrungen und sind mehrheitlich FLINTA positioniert. Die meisten von uns waren vorher schon politisch aktiv, haben Antirassismusarbeit gemacht oder waren Teil von Geflüchteten-Bewegungen. Einige waren auch in der Klimabewegung aktiv, haben dann aber Erfahrungen von Ausschlüssen gemacht und sich daraus wieder zurückgezogen.
Zu Beginn haben wir erstmal unsere Fühler in unsere Communities ausgestreckt. Wir haben uns zum Beispiel mit Menschen aus der antirassistischen Bewegung getroffen und mit Menschen, die selbst Fluchterfahrung haben oder aus queer-feministischen Kontexten kommen. So konnten wir Leute für das Black Earth Kollektiv gewinnen, aber auch aufklären und ein Bewusstsein schaffen, für die Zusammenhänge von Klima, Rassismus, Kolonialismus und Sexismus. Viele Menschen haben diese Themen bis dahin einfach nicht zusammengebracht. Wir wollten ihnen klar machen, dass ihre Kämpfe, die sie bereits führten, sehr viel mit Klimagerechtigkeit zu tun haben.
Wenn man auf die Klimabewegung in Deutschland blickt, hat man den Eindruck, dass sie überwiegend weiß, gebildet und sehr jung ist. Wie lässt sich deiner Meinung nach mehr Diversität fördern?
Diversität ist natürlich sehr wichtig. Aber was meinen wir damit? Meiner Ansicht nach kann Diversität nicht bedeuten, dass beispielsweise bei Fridays for Future so und so viele spezifische Identitäten repräsentiert sind, denn das sagt ja noch gar nichts über den politischen Output aus. Wenn die Klimabewegung eine durchschlagende Kraft haben will, dann sollte sie meiner Meinung nach ein Stück weit die Gesellschaft abbilden. Wenn wir über Diversität sprechen, dann ist mir persönlich wichtig, dass auch der politische Output diverser ist. Denn Vielfalt ist für mich zum einen: Wer macht hier eigentlich mit? Und die andere Frage ist: Was machen wir eigentlich?
Ich glaube, dass die Klimabewegung sich überlegen muss, wie sie eigentlich ihre Kämpfe gestaltet. Wir können nicht isoliert als akademische, junge Menschen eine politische Veränderung einfach so herbeiführen. Die Klimabewegung in Deutschland, darunter vor allem Fridays for Future als größter Akteur, hatte ursprünglich den etwas naiven Glauben, dass sich allein dadurch was verändert, wenn viele Menschen auf die Straße gehen und politische Veränderungen fordern.
Ich glaube, wenn Klimagruppen sich viel mehr auf soziale Aspekte fokussieren würden, die an den Lebensrealitäten von Menschen anknüpfen, dann würden sich automatisch auch andere Personengruppen angesprochen fühlen, in der Bewegung mitzuwirken. Denn wenn ich mich nicht vertreten sehe, dann habe ich natürlich auch keine Lust, da mitzumachen. Erfreulicherweise stellen sich immer mehr Klimagruppen diese Frage – wie sie sich solidarisieren können und wie man unterschiedliche soziale Kämpfe wie beispielsweise die im Care-Bereich und Kämpfe von Geflüchteten zusammendenken kann.
Ihr habt 2019 auf einer Klima-Demonstration vor dem Brandenburger Tor verkündet: „Für uns heißt diese Veranstaltung Fridays for Past, Present and Future, weil der globale Norden uns und unseren Familien die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft klaut”. Was meint ihr damit?
In öffentlichen Klima-Debatten heißt es immer wieder, dass die Klimakrise ihren Ursprung in der Industrialisierung hat, weil seitdem die Treibhausgasemissionen massiv zunehmen. In diesem Zusammenhang ist oft die Rede vom sogenannten Anthropozän, als ein neues Erdzeitalter, in dem die natürlichen Prozesse auf unserem Planeten durch den Menschen entscheidend verändert werden. Als Black Earth Kollektiv stehen wir dieser Sicht auf die Klimakrise sehr kritisch gegenüber, wir finden, es ist das falsche Framing.
Stattdessen sprechen wir von einem rassistischen Kapitalozän, denn nach unserer Auffassung hat die Klimakrise ihren Ursprung im Kolonialismus. Dieser markierte den Beginn kapitalistischer Produktionsweisen und es wurden globale Machtstrukturen geschaffen, die bis heute existieren. Ohne die extreme Ausbeutung von Natur und Mensch in den Amerikas und Afrika wäre die europäische Industrialisierung Mitte des 18. Jahrhunderts gar nicht möglich gewesen. Zu sagen, dass die Klimakrise ihren Ursprung in der Industrialisierung hat, ist also eine sehr eurozentrische Perspektive. Dadurch wird die ganze koloniale Gewaltgeschichte ausgeblendet, die sich auf Generationen von Menschen im Globalen Süden ausgewirkt hat und dies auch heute noch tut. Deswegen haben wir auf der Klima-Demonstration von “Fridays for Past, Present and Future” gesprochen.
Was meinst du, lässt sich globale Klimagerechtigkeit auch von Bremen aus umsetzen?
Auf jeden Fall. Ein erster wichtiger Schritt wäre, dass man sich stärker sozialen Themen widmet und diese auch im Narrativ von Klimagerechtigkeit betrachtet und diskutiert. Wie gesagt, der Begriff Klimagerechtigkeit wurde in einem antirassistischen, neokolonialen Ausbeutungszusammenhang geprägt. Es geht nicht nur darum, irgendeinen Kampf von Menschen im Globalen Süden von Bremen aus zu unterstützen, sondern es geht zum Beispiel auch um die Frage, wie Geflüchtete hier vor Ort behandelt werden. Die Verbesserung der Situation von Geflüchteten hat sehr viel mit Klimagerechtigkeit zu tun. Auf lokaler Ebene gibt es da viele Handlungsspielräume, etwa bei der Verbesserung der Wohnbedingungen.
Dass wir Menschen bei uns aufnehmen, die aufgrund von Kriegen, Armut oder Naturkatastrophen bei uns Schutz suchen in Deutschland, hat auch etwas mit historischer Verantwortung zu tun. Im Grunde ist die Klimakrise sowas wie ein Risiko-Multiplikator. Die meisten Konflikte, die Menschen dazu veranlassen zu flüchten, stehen zumindest indirekt mit ihr in Zusammenhang. Deswegen fordern wir als Black Earth Kollektiv, dass die Klimakrise endlich von internationalen Gerichten als Fluchtgrund anerkannt wird.
Fallen dir noch Dinge ein, die Bremer Politiker*innen konkret tun könnten?
Natürlich gibt es auch die bekannten Forderungen nach einer klimagerechten Stadt, denen wir uns als Black Earth Kollektiv anschließen würden. Damit sind konkret zum Beispiel autofreie Innenstädte, der Ausbau von Radwegen oder mehr Dachbegrünung und städtische Grünflächen als Naherholungsorte gemeint. Ich meine, alle Menschen in der Stadt haben das Recht auf ein gutes Leben. Da frage ich mich schon manchmal, ob wir wirklich einen Individualverkehr brauchen, in dem Leute allein in ihrem SUV sitzen und durch die Gegend fahren. Ich finde das einfach unverhältnismäßig. Da sind wir auch schnell wieder bei Themen wie Klassismus und Rassismus. Denn in den Stadtteilen, in denen vor allem Menschen leben, die von Rassismuserfahrungen betroffen sind, wird tendenziell weniger städtebaulich aufgewertet, gibt es weniger Grünflächen und eine höhere Luft- und Lärmverschmutzung.
Eine wichtige Forderung für mehr Klimagerechtigkeit ist außerdem, dass die finanziellen Schulden der Länder des Globalen Südens gestrichen werden. Bisher ist es so, dass der Globale Norden Kredite für Maßnahmen zur Klimawandelanpassung vergibt. Die internationale Initiative Debt for Climate setzt sich dafür ein, die Schulden des Globalen Südens zu streichen, um dort den Ausstieg aus fossilen Energieträgern und einen damit einhergehenden sozial gerechten Übergang zu finanzieren. Damit können sich kommunale Politiker*innen solidarisieren.
Und was kann jeder einzelne Mensch tun?
Grundsätzlich kann jeder Mensch etwas tun. Man kann sich solidarisch mit den Kämpfen im Globalen Süden zeigen. Je nachdem, in welcher Lebenssituation man steht und welche Ressourcen man zur Verfügung hat, ist auch eine gewisse Konsumkritik notwendig. Es ist nicht der ärmere Teil der Gesellschaft, der zum Handeln aufgefordert werden muss, sondern es geht um die Menschen, die in einer privilegierten Lebenssituation sind. Die gleich mehrere Autos in der Garage haben oder es sich leisten können, ständig mit dem Flugzeug zu verreisen. Sie sollten die Art und Weise hinterfragen, wie sie konsumieren.
Die größte Verantwortung zum Handeln tragen aber nicht die Individuen, wie es nach meinem Eindruck oft von der Politik vermittelt wird. Es braucht vor allem strukturelle Veränderungen auf politischer Ebene. Bei den Politiker*innen liegt der größte Hebel, um schnell und gezielt was zu bewegen und dadurch auch auf individueller Ebene Dinge zu verändern.
Das Gespräch führten Jana Otten und Jonas Daldrup.