Angelika Zahrnt im Gespräch mit Denkhaus Bremen. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und war langjährige Vorsitzende und ist heutige Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Denkhaus Bremen: Die wachstumskritische Debatte gewinnt an Fahrt. Wie beurteilen Sie die aktuelle Diskussion zu diesem Thema?
Angelika Zahrnt: Ich beurteile sie vor dem Hintergrund, dass mich die wachstumskritische Debatte seit meinem Studium in den 60iger Jahren beschäftigt. Wie man dort weiterkommt, ist für mich deshalb auch eine persönliche Frage. Meine Schlussfolgerung ist, dass es nicht mehr ausreicht, die alten Debatten weiterzuführen. Anstatt über alternative Indikatoren zur Wohlstandsmessung und grundsätzliche Fehler am Wachstumskurs zu diskutieren, ist aus meiner Sicht eine Debatte über eine größere Unabhängigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft vom Wachstum notwendig.
Zu dieser Frage, wie eine Wirtschaft und Gesellschaft in einer Postwachstumszeit aussehen könnte, habe ich 2010 zusammen mit Irmi Seidl das Buch „Postwachstumsgesellschaft – Konzepte für die Zukunft“ herausgegeben. Wir und andere AutorInnen haben darin u.a. überlegt, wie z.B. unsere sozialen Sicherungssysteme für Gesundheit und Alter verändert werden müssten. Solche Wachstumstreiber machen es so schwierig, vom Wachstumskurs wegzukommen. Für den Bereich Konsum – der ja ein Motor des Wirtschaftswachstums ist – habe ich gemeinsam mit Uwe Schneidewind in unserem Buch “Damit gutes Leben einfacher wird” 2013 aufgezeigt, dass die Politik geeignete Rahmenbedingungen bereitstellen muss, damit ein Leben mit weniger Konsum, das sich am „Genug“ und nicht am „Immer mehr“ orientiert, in die Praxis gebracht werden kann. Diese Suffizienzpolitik habe ich dann – diesmal zusammen mit meinem Sohn Dominik – in der digitalen ”Strategielandkarte Suffizienzpolitik” visualisiert. Hier wird besonders gut deutlich, wie viele Politikfelder eine Suffizienzpolitik umfasst und wie wichtig die Verknüpfungen von kleinen Initiativen in die Politik – von der kommunalen Ebene bis zur Bundespolitik – sind.
Denkhaus Bremen: Welche Konsequenzen hatte die Postwachstums-Debatte für die Umweltverbände?
Angelika Zahrnt: Das ist auch für die Umweltverbände ein schwieriges Terrain. Denn die Umweltverbände kennen sich ja nicht aus in Themen wie sozialen Sicherungssystemen oder Unternehmensverfassungen. Aber gerade basisorientierte Umweltverbände können Initiativen vor Ort auf den Weg bringen und unterstützen, die den eigenen Lebensstil unabhängiger vom Wachstum machen – und gleichzeitig auf politischer Ebene sich für andere Rahmenbedingungen einsetzen. Z.B. im Bereich der Ressourcenschonung: Repair-Cafes brauchen oft kommunale Unterstützung, um Räume zu erhalten – aber gleichzeitig geht es darum, durch gesetzliche Änderungen, dass Produkte länger halten sollen und reparaturfähig sind und man das beim Kauf auch erkennen kann. In Schweden wird jetzt eine verringerte Mehrwertsteuer für Reparaturen erhoben, die auch eine andere Produktionsweise voranbringen könnte.
In der Politik wird die Postwachstumsdebatte kaum aufgegriffen, auch nur sehr begrenzt bei den Grünen. Auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags zu Wachstum, Wohlstand Lebensqualität hat daran wenig geändert. Im Bundestagswahlkampf setzten alle Parteien weiterhin unbeirrt auf Wachstum.
Denkhaus Bremen: Würde es sich für die Verbände eigentlich lohnen, auch mal in ihr eigenes Archiv nach wachstumskritischen Positionen zu durchforsten, wie es sie vielleicht in den 70er und 80er Jahren gegeben haben könnte? Können Sie damit etwas für den BUND anfangen?
Angelika Zahrnt: Die Debatte im BUND verfolge ich lange und ich denke nicht, dass solch ein Rückgriff viel hilft. Grundsätzlich finde ich es wichtig, sich mit seiner Verbandsgeschichte zu befassen, aber ich glaube nicht, dass da viel zu holen ist. Wir waren damals in einer anderen gesellschaftlichen Situation.
Denkhaus Bremen: Haben die Umweltverbände denn nicht viele Zielkonflikte, die sie bei der wachstumskritischen Debatte aushalten müssen?
Angelika Zahrnt: Das denke ich schon. Dieser Konflikt ist auch in unserem Verband. Wir haben viele UnterstützerInnen, die gute Jobs haben und am weiteren Wachstum verdienen und sich trotzdem an dieser Debatte beteiligen. Denn das tatsächliche Postwachstum ist ja noch so weit weg, dass man erst mal ohne Gefährdung seiner eigenen Position gegen Wachstum sein kann. Kritischer ist da schon die Frage, wie es mit dem eigenen Verhalten aussieht. Da tritt man den eigenen Mitgliedern kräftig auf die Füße, wenn man Steuern auf Flugbenzin fordert. Den Konflikt können Mitglieder aber offenbar aushalten, bleiben Mitglied und haben weiterhin ihr hohes Flugbudget. Da gibt es ja die unterschiedlichsten Studien, dass z.B. Grünwähler oder Ökos oft Toskana-Liebhaber sind, nach Südfrankreich fahren oder ihre Exkursionen nach Costa Rica machen. Aber solche Inkonsequenzen zwischen politischer Überzeugung und eigenem Handeln kennt ja jeder selbst – und deshalb ist es ja auch so wichtig, dass die Rahmenbedingungen stimmen und Fliegen eben teurer wird.
Denkhaus Bremen: Würden Sie denn sagen, dass die wachstumskritische Debatte eine Chance für die Umweltverbände ist, Fragen zur sozialen Gerechtigkeit zu adressieren? Kampagnen, wie gegen Billigflieger, versuchen die ökologische Frage über den Geldbeutel regeln. In der Konsequenz bedeutet das dann, dass nur noch Besserverdienende zum Shoppen nach London fliegen dürfen…
Angelika Zahrnt: Das ist eine Diskussion, die wir führen müssen. Es wäre gut, wenn die Umweltverbände tatsächlich die Verbindung zwischen Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit noch stärker als bislang betonen würden. Im BUND war im Zusammenhang mit der Studie “Zukunftsfähiges Deutschland” klar, dass wir uns nicht allein auf die ökologischen Argumente stützen dürfen, sondern auch die sozialen Aspekte mit zur Nachhaltigkeit gehören. Trotzdem kann es natürlich immer sein, dass dies in einzelnen Kampagnen nicht gesehen wird. Dieser Punkt ist in der gegenwärtigen populistischen Atmosphäre sicherlich noch ein Stück wichtiger geworden.
Denkhaus Bremen: Aus unserer Sicht vermeiden einige Umweltverbände z.B. das Thema Tempolimit auf Autobahnen bewusst, weil die eigene Klientel davon betroffen wäre. Wie laufen diese Diskussionen beim BUND?
Angelika Zahrnt: Ja, ein Tempolimit haben wir immer tapfer gefordert. Aber es gab eben gesellschaftlich keine große Resonanz für das Thema, auch politisch war eine Umsetzung überhaupt nicht abzusehen. Aber gerade das Tempolimit fände ich ein Thema, das unter dem Gesichtspunkt Suffizienz und Entschleunigung bearbeitet werden sollte. Die andere Frage ist eben, ob man solche Kampagnen nicht mal grundsätzlicher aufzieht und z.B. am Thema Entschleunigung festmacht: Dann könnte man eine Kampagne machen, die Aspekte wie Fast Food, Fliegen und Tempolimit umfassen würde.
Denkhaus Bremen: Dann wären die Ökos wieder einmal die Spaßbremsen der Nation. Wir sehen heute, wie Populisten die politische Bühne erobern, weil die Trumpsche Mauer nach Mexiko von so großer Symbolkraft ist. Vielleicht ist die wachstumskritische Debatte eine Möglichkeit für die Linke, eine andere Erzählung auf die politische Bühne zu bringen. Wie sehen Sie das?
Angelika Zahrnt: Ich vermute, dass unter den Rechtspopulisten eine Reihe Menschen sind, die auch wachstumskritisch sind, gegen große Konzerne, gegen Globalisierung und Moderne. Die Gemengelage ist sehr gemischt. Trump wiederum tut alles, um das Wachstum wieder anzukurbeln, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich sehe da keine einheitliche Linie. Wir müssen aber vorsichtig sein, dass wir keinen Schulterschluss mit wachstumskritischen Stimmen auf dieser rechten Seite eingehen. In der Wachstumskritik kann sich einiges sammeln, was an gegenwärtiger Unzufriedenheit vorhanden ist. Es ist ja nicht so, auch wenn die Politik total wachstumsfixiert ist, dass dies in der Bevölkerung als Glaubensbekenntnis oder als Hoffnung weiter unkritisch verankert ist. Von daher gibt es eine wachstumskritische Grundstimmung, das stimmt. Zumindest in der breiten Bevölkerung sagen viele, dass wir eben nicht noch mehr Wolkenkratzer in Frankfurt brauchen oder noch breitere Autobahnen.
Denkhaus Bremen: Können die Umweltverbände konkrete Anschlussmöglichkeiten bereitstellen, um aus dem Hamsterrad Wachstum auszusteigen?
Angelika Zahrnt: Die Stärke der Umweltverbände – zumindest von NABU und BUND – liegt ganz klar auf der lokalen Ebene. Dort kann man einiges tun, was in Richtung Postwachstum geht, ohne dass man das alles unter diesem Stichwort segeln lässt. Auf der lokalen Ebene gibt es aufgeschlossene Politiker, die offen für konkrete Projekte sind. Die Idee der öffentlichen Bücherschränke hat sich zum Beispiel unglaublich schnell verbreitet. Das kratzt an dem Gedanken, dass ein Buch noch niemand sonst in der Hand gehabt haben darf, dass man es besitzen muss. Es ist nicht peinlich, wenn man zu diesem Bücherschrank geht. Auf diese Weise werden Verhaltensweisen konkret und langfristig verändert. Car-Sharing ist ein erfolgreiches Beispiel dafür.
Lokal lässt sich zeigen, wie wichtig öffentliche Infrastrukturen sind, dass es lohnt, sie zu erhalten und auch neue zu schaffen – wie der öffentliche Verkehr, gemeinsam genutzte Räume und Grün. Dass Lebensqualität nicht allein vom Einkommen abhängig ist. Es lässt sich eine Idee von einer Gesellschaft vermitteln, in der es sich ohne den Wettlauf des „Weiter, schneller, mehr“ besser und entspannter und gesünder leben lässt. Gute Beispiele dafür haben wir im BUND auf unsere Internetseite: Stadt, Land, Glück gesammelt.