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Bioökonomie: Noch mehr Hunger nach Waldprodukten

Beitrag von László Maráz. Er ist u.a. Koordinator der Plattform Wald beim Forum Umwelt und Entwicklung und Mitbegründer der Organisation Pro Regenwald.

Holz, Fasern, Öle, Eiweiße, Stärke und Zucker aus dem Wald und der Landwirtschaft gelten im Rahmen der Bioökonomie als die wichtigsten Materialien, die fossile Rohstoffe ersetzen sollen. Mit der Begründung, die Wirtschaft unabhängiger von fossilen Energieträgern zu machen, werden Milliarden an Forschungsgeldern bereitgestellt, um neue Anwendungsmöglichkeiten auch für Biomasse aus Wäldern zu entwickeln. Dabei wird zuweilen der Eindruck erweckt, Wälder böten ein riesiges und noch ungenutztes Potenzial, das man mithilfe neuer Technologien nur noch in Wert setzen müsse, um den wachsenden Rohstoffhunger zu stillen. Wälder und fruchtbare Ackerflächen sind aber eine knappe Ressource. Die meisten Wald- und Agrarprodukte werden bereits heute für andere Zwecke verbraucht. Eine Ausweitung der Produktion stößt an harte ökologische, soziale und wirtschaftliche Grenzen.

Beispiel Bioraffinerie: Chemiefabrik auf Holzbasis
Bioraffinerien gelten als einer der Hoffnungsträger im Zukunftsmarkt der Bioökonomie. So wurde am ehemaligen Petrochemie-Standort Leuna eine Pilotanlage errichtet, die aus Holz verschiedene chemische Grundstoffe herstellt. Dafür wird das Holz mit Wasser und Alkohol unter hoher Temperatur und Druck gekocht und in seine Hauptbestandteile Zellulose und Lignin zerlegt. Beide Stoffe können dann zur Erzeugung anderer Materialien verwendet werden, für die man bisher fossile Grundstoffe einsetzt. Mit Hilfe einer öffentlichen Förderung in Höhe von 50 Millionen Euro wird hier erforscht, inwieweit die Produktion auch in größerem Maßstab funktioniert. Fraglich ist, ob es wirtschaftlich Sinn macht. Denn für die technisch aufwändigen Prozesse benötigen die teuren Anlagen sehr viel Energie. Für den Klimaschutz ist das nicht gut.

Die Inanspruchnahme großer Mengen an Biomasse ist nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sozialen Gründen problematisch. Zwar soll die Holzverbrauchende Bioraffinerie keine Gefahr für die Ernährungssicherung darstellen, weil man Holz ja nicht essen kann. So einfach ist es aber nicht. Bäume wachsen besonders gut auf Böden, die sich bestens für den Anbau von Nahrungsmitteln eignen. Statt Getreide oder Futtermitteln wachsen dann Plantagenhölzer. Schon heute dienen riesige Holzplantagen der Zellstoffproduktion und damit der Versorgung von Papierfabriken. Da sich das hier abgeschiedene Lignin wegen seines prozessbedingten Schwefelgehaltes aber nicht für die Chemische Industrie einsetzen lässt, würde die Bioraffinerie als zusätzlicher Holzabnehmer auf dem Markt auftreten und mit anderen Verwendern des inzwischen knappen Rohstoffes konkurrieren.

Bioraffinerien: Wagnis mit Chancen
Moderne Technologien werden uns immer wieder als Lösung vieler Probleme verkauft. Es gibt durchaus Techniken, mit denen nachwachsende Rohstoffe zu nützlichen und umweltfreundlichen Produkten verarbeitet werden können. Beispiele: kompostierbare Verpackungen aus Biokunststoffen oder die Herstellung von Werkstücken aus dem Holzstoff Lignin. Grundsätzlich ist es keine schlechte Idee, statt erdölbasierten Grundstoffen pflanzliche Materialien einzusetzen, oder so manche Reststoffe mithilfe neuer Verfahren zunächst stofflich zu nutzen, anstatt sie gleich in schnöden Heizkesseln zu verbrennen. Nicht zuletzt zählen auch die vielen Anlagen zur Erzeugung von Biokraftstoffen und Biogas zum Sektor Bioökonomie. Auch hier kann man aus Pflanzenresten, Gülle und minderwertigem Getreide Biogas und Bioethanol erzeugen und fossile Energieträger ersetzen.

Welches Problem ist eigentlich zu lösen?
Diejenigen, die uns den Wechsel von fossilen zu biogenen Rohstoffen schmackhaft machen wollen, bieten plausibel erscheinende Lösungen an. Die Frage ist: für welches Problem? Reicht es, Erdöl und Kohle einfach durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen? Es wird so getan, als ob der Verbrauch von Energieträgern und Rohstoffen nur ein Beschaffungs- und Klimaschutzproblem wäre. Auch die soeben verabschiedete Bioökonomiestrategie der Europäischen Union scheitert schon bei der Problemanalyse: Als ob Autos, die mit erneuerbarem Strom fahren, keine Straßen bräuchten und keine Unfälle verursachen würden. Wegwerftüten aus Biokunststoffen vermüllen die Umwelt ebenso und auch andere Einwegprodukte wie Paletten und Kisten müssten nicht in den heute üblichen Mengen hergestellt werden, wenn es nur noch Mehrwegsysteme gäbe.

Es reicht nicht aus, die Unmengen an Energie und Rohstoffe, die wir verbrauchen, auf andere, alternative und angeblich umweltfreundliche Weise zu beschaffen oder herzustellen. Es wäre viel umweltfreundlicher, wenn wir auf viele Produkte und Dienstleistungen entweder komplett verzichten würden (v.a. Einwegprodukte), den Energie- und Materialumsatz drastisch verringern und viele Bedürfnisse auf intelligentere Weise stillen würden (z.B. Mobilität). Wir können uns viele Dinge nur leisten, indem wir das große Sparbuch plündern, das die Erde in Form kohlenstoffreicher Lagerstätten über Hunderte Millionen Jahren aufgefüllt hat. Biogene Rohstoffe können diese Fehlentwicklung nicht umlenken, weil die jährlich verfügbaren Mengen für unseren aktuellen Lebensstil viel zu gering sind. Zur Veranschaulichung: Wollte man alleine die Energiemenge aus Braunkohle, die jährlich im Tagebau Hambach aus der Tiefe gebaggert wird (40 Mio. t), durch Brennholz ersetzen, müsste mehr als der gesamte jährliche Holzeinschlag Deutschlands verheizt werden (84 Mio. m3).

Narrative oder Märchen?
Rückblickend muss man sagen, dass die Motivation für die Entwicklung neuer Verfahren so gut wie immer in der Schaffung neuer Märkte, Produkte und Einkommen begründet ist. Die Ursache und Folgen vieler Probleme spielen natürlich eine Rolle, denn es muss ja dafür eine Nachfrage vorhanden sein. Die Narrative sind bekannt: Agrarkonzerne geben vor, den „Hunger“ besiegen zu wollen, Agrosprithersteller und Brennholzverkäufer retten „das Klima“, Bioökonomiefirmen engagieren sich für die „Abkehr vom fossilen Zeitalter“. Dabei haben ihre Investoren, Eigentümer und Beschäftigten zuallererst ein Interesse daran, ihr Auskommen und darüber hinaus möglichst hohe Gewinne zu sichern. Das ist zwar nachvollziehbar und teilweise legitim. Es darf aber nicht die Frage verdrängen, inwieweit sie für die genannten Probleme eine wirkliche Lösung darstellen.

Wälder roden für den Klimaschutz?
Für die Entwicklung und Erzeugung von Agrarkraftstoffen wurden riesige Summen ausgegeben. Doch es hat dem Klimaschutz wenig geholfen: Hunderttausende Hektar Waldflächen wurden für Anbau von Ölpalmen und Sojabohnen gerodet, während die Treibhausgasemissionen des Verkehrs weiter gestiegen sind. Denn es wurde viel mehr geflogen und gefahren, als man durch klimaschonendere Treibstoffe je hätte wettmachen können. Wir verheizen in Deutschland inzwischen die Hälfte des gesamten Holzaufkommens, können damit aber nur knappe zwei Prozent unseres gigantischen Primärenergiebedarfes decken. Die Gesamtemissionen steigen trotzdem, denn die klimaschädliche Braunkohle wird weiter gefördert und auch die Erkundung neuer Lagerstätten (Erdöl, Erdgas) wurde nicht etwa eingestellt. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Nutzung von Millionen Kubikmetern Holz in Bioraffinerien die Situation verbessern wird. Im Gegenteil: Mehr verfügbare Rohstoffe haben bisher unweigerlich zu höherem Verbrauch geführt. Und die weiteren Folgen des gestiegenen Verbrauches sind geblieben: Rohstoff- und Flächenverbrauch, Lärm, Abfall etc. Nur mit einer Wende des Verbraucherverhaltens könnten nachwachsende Rohstoffe für eine Wende (nicht nur) bei den Emissionen sorgen.

Bioökonomie: Wiederholung derselben Fehler
Dasselbe Schicksal droht uns mit der Bioökonomie, falls es bei der reinen Förderung, Entwicklung und Umsetzung neuer Technologien bleiben sollte. Mithilfe aufwändiger Techniken werden nun auch solche Wald- und Agrarprodukte „in Wert gesetzt“, die bisher profaneren Zwecken dienten. Dabei ist die heute abfällig als „Restholz“ bezeichnete Biomasse wichtig für die Humusbildung und die Entwicklung gesunder Böden mit all ihren Billionen von Lebewesen. Stroh und andere Ernterückstände erfüllen ähnliche Funktionen. Früher nur gelegentlich genutzte Böden werden dank neuer Pflanzenzüchtungen für die Produktion von Zellulose und anderen Stoffen beansprucht, das ebenfalls abfällig bezeichnete „Ödland“ verliert seine Funktion sowohl als Hort der natürlichen biologischen Vielfalt, als auch als Ressource für die gelegentliche Nutzung durch die Bevölkerung als Sammelgebiet und Weideland.

Trojanisches Pferd
Viele Produktionsweisen, die heute unter dem Begriff Bioökonomie zusammengefasst werden, sind althergebrachte Technologien mit bekannten Vorteilen und Risiken. Die größte Beachtung finden heute aber die neuen Verfahren, die Biotechnologie und auch Gentechnische Prozesse beinhalten. Unter dem wohlklingenden Begriff Bio-Ökonomie versammeln sich also auch Risikotechnologien, die nicht nur Gefahren für Mensch und Umwelt bergen. Sondern auch technische Prozesse, die nur in Großanlagen wirtschaftlich sind und daher riesige Mengen an Biomasse benötigen. Da aber viele Hölzer, die für solche Anlagen gebraucht werden, möglichst billig sein sollen und ihr Transport über weite Strecken zu teuer ist, würden solche Anlagen ähnliche Folgen für Umwelt und die Bevölkerung haben, wie wir sie heute schon beispielsweise in Südafrika oder Brasilien im Einzugsgebiet riesiger Zellstofffabriken beobachten müssen. Konkurrenz um Flächen, um Wasser, um Fördergelder und um den Rohstoff selbst haben nach bisherigen Erfahrungen zu ökologischen und sozialen Missständen geführt. Der angebliche Nutzen solcher Projekte für Klima und Menschen ist im Vergleich dazu sehr gering. Die Probleme für die Wälder dürften daher mit jeder neuen Technologie zunehmen, die den Nutzungsdruck auf diese Ökosysteme erhöhen. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn wir weniger Energie, Produkte und Dienstleistungen verbrauchen würden. Dazu brauchen wir aber den Willen.