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Sechs Gründe warum Öko-Siegel keine gute Idee für die Bioökonomie sind

Von Peter Gerhardt 

Es gibt sie für Holz, Papier, Palmöl oder Kabeljau: Nachhaltigkeits-Siegel.
Allzu oft sind diese mit großem Tamtam für eine bessere Welt gestartet worden, um hinterher ernüchtert festzustellen, dass Raubbau und Umweltzerstörung einfach weitergehen. Das könnte daran liegen, dass viele dieser freiwilligen Zertifzierungsinitiativen ein paar grundsätzliche Webfehler eingebaut haben. Bleibt zu hoffen, dass Politik, Wirtschaft und Verbände aus Fehlern der Vergangenheit lernen und Öko-Siegel skeptisch hinterfragen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Bioökonomie-Debatte bei der es darum geht, unsere Wirtschaft von fossil auf biogen umzustellen. Auch hier wird der Ruf nach Öko-Zertifikaten lauter.

Schon heute ist der Globus erschöpft von der Biomasse, die wir im abverlangen: Das führt zu überfischten Meeren für Käpt’n Iglo und zerstörten Regenwäldern für drei-Euro-Hähnchen. Wenn nun in Zukunft fossile Rohstoffe auch noch komplett durch Biomasse ersetzt werden sollen, dann stellt sich mit Recht die Frage, auf welcher Erde das wachsen soll oder welche Umweltverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen wir dafür möglicherweise in Kauf nehmen wollen. Auch die globale Ressourcenverteilung könnte in eine noch größere Schieflage geraten. Weil in Industrienationen der nördlichen Hemisphäre nicht genug wächst um den Turbokonsum stabil zu halten, werden große Mengen Biomasse importiert werden müssen.

Das war auch Tenor auf dem Global Bioeconomy Summit 2018 in Berlin, eine Art Klassentreffen der Bioökonomie-Branche. Der Bedarf wird auch aus Ländern kommen, in denen korrupte Eliten am Steuerrad sitzen oder ein Menschenleben nur 1000 Dollar kostet. So wie in Brasilien, wo die Aktivistin Rosane Santiago Silveira aus Sicht von vielen Umweltschutzgruppen deswegen ermordet wurde, weil sie sich gegen industrielle Eukalyptusplantagen des Konzerns Suzano engagiert hat.

Es gibt natürlich positive Beispiele, bei der die Substitution fossiler Rohstoffen durch verantwortungsvoll produzierte Biomasse sinnvoll ist. Wenn Plastik-Gartenstühle durch langlebige Alternativen aus nachhaltigem Holz ersetzt werden, wird niemand etwas dagegen haben. Ebenfalls positiv ist es, wenn sogenannte Schwarzlauge bei der Papierproduktion nicht einfach verbrannt wird, sondern durch bioökonomische Verfahren in Zukunft Ausgangsstoff für Baumaterialien werden kann.

Was liegt also näher, als mit einer Art Öko-TÜV nachhaltig produzierte Bioökonomie-Produkte positiv zu kennzeichnen, damit Ware, an der Blut oder Raubbau klebt, gar nicht erst in den Einkaufskorb wandert. Das Praktische daran wäre, es gibt Öko-Siegel bereits für Biomasse aus Ackerpflanzen oder Holz.. Da liegt der Gedanke nahe, diese existierenden Zertifikate lediglich ein wenig aufbohren, damit sie auch in einer Bioökonomie funktionieren. Das wäre allerdings keine gute Idee, denn viele dieser Öko-Siegel haben grundsätzliche Webfehler.

1. Nachhaltigkeits-Siegel stoppen nicht die Expansion

Einen entscheidenden Gesichtspunkt können Öko-Siegel nicht stoppen: Palmöl oder Zellstoffplantagen fressen sich immer weiter in die natürlichen Ökosysteme hinein. Die stetige Expansion ist in die DNA der Agrar- und Plantagenkonzerne eingebacken und die dahinter steckenden Kapitalinteressen sorgen für extra Dampf im Kessel. Nachhaltigkeits- Zertifikate sind lediglich dazu in der Lage, die Anbaubedingungen auf einer definierten Fläche zu verbessern. Obergrenzen für Flächenverbrauch und Anbaumengen steuern sie hingegen nicht. Vielleicht stimmt sogar das Gegenteil. Öko-Siegel steigern möglicherweise die Nachfrage beim Endverbraucher und sorgen dafür, dass die Plantagenkonzerne weiter auf Kosten von Landlosen und Kleinbauern wachsen.

Die Siegel können außerdem nicht verhindern, dass möglicherweise ein Effekt auftritt, der in der Fachdebatte ILUC (indirect land use change) genannt wird. Dahinter steckt die Tatsache, dass die globalen Märkte miteinander verbunden sind. Selbst wenn es gelänge, ein Stück Regenwald im indonesischen Borneo mit einem Öko-Siegel vor dem Kahlschlag durch Palmöl zu schützen, dann fressen sich die Plantagen dann vielleicht in Uganda weiter in die Natur.

2. Am Runden Tisch gewinnt der Stärkere – also fast immer die Konzerne

Viele Zertifikate verfolgen einen sogenannten Multistakeholder-Ansatz, d.h. Gruppen mit einem berechtigten Interesse (engl. Stakeholder) wie Sozialverbände, Betroffene vor Ort, Umweltorganisationen und Unternehmen setzen sich an einen Runden Tisch und einigen sich am Ende auf Prüfkriterien, mit denen alle leben können. In der Theorie ist das ein Kompromiss, bei dem alle Beteiligten ein paar Kröten schlucken müssten. Das klingt erst mal nach gelebter Demokratie, Partizipation und Fairness.

Die Realität sieht dagegen anders aus. Tatsächlich erfordern solche Prozesse enorme Ressourcen wie Personal, Zeit und Zugang zu Informationen. Davon haben vor allem große Konzerne mehr als genug, die am Ende des Tages ihre Interessen z. B. gegen lokale Dorfgemeinschaft aus dem globalen Süden durchdrücken können. Selbst große Umweltorganisationen reiben sich am Verhandlungstisch mit den Multis auf. Wie zum Beispiel beim Holz-Ökosiegel FSC (Forest Stewardship Council), das 1993 mit Hilfe von Umweltverbänden ambitioniert gestartet wurde und mit der Zeit immer industriefreundlicher geworden ist. Entnervt von der Salamitaktik der Industrie, die Standards immer weiter zu verwässern, haben viele große Umweltorganisationen wie Greenpeace mittlerweile den FSC verlassen. In Brasilien gilt der FSC bei progressiven Aktivisten mittlerweile gar als grüner Handlanger der verhassten Plantagenkonzerne.

3. Stakeholder ≠ Rightholder

Ganz gleich ob globaler Palmölkonzern, Umweltorganisation mit Hauptsitz in London oder Bauern-Familie am Rande eines Palmölfeldes: Folgt man der Logik vieler Öko-Siegel handelt es sich bei allen dieser Beteiligten um Stakeholder mit einem berechtigtem Interesse, die gehört und beachtet werden müssen. Durch diesen begrifflichen Taschenspielertrick, aus allen Beteiligten Stakeholder zu machen, sind die unveräußerlichen Landrechte von lokalen Bauern auf einmal verhandelbar: Rightholdern werden zu Stakeholdern degradiert.

4. Starke Prüfkonzerne – schwache Kontrollen

In der Regel übernimmt eine Zertifizierungsinitiative wie z.B. der FSC nicht selbst die Kontrollen vor Ort, sondern übergibt diese Aufgaben an professionelle Zertifizierer. Das sind dann oftmals globale Prüfkonzerne wie der TÜV oder der weltweite Branchenführer SGS Group mit über 90.000 Mitarbeiter*innen und einem Milliardenumsatz. Dies führt in der Praxis zu der fast unlösbaren Aufgabe, dass eine Initiative wie der FSC mit nur wenigen Mitarbeiter*innen die globalen Aktivitäten großer internationaler Prüfkonzerne überwachen soll.

5. „Race to the bottom“ – das Prüfniveau sinkt stetig

Die Prüfkonzerne stehen in Konkurrenz zueinander und werden außerdem unmittelbar von den Konzernen bezahlt. Dies führt in der Praxis dazu, dass sich solche Prüfer und Prüffirmen durchsetzen, die nicht besonders streng hinschauen und die Regeln im Sinne ihrer Kunden möglichst lax auslegen. Langfristig besteht so die Gefahr, dass die Standards eines Öko-Siegels immer weiter nach unten verwässert werden.

6. Funktioniert nur unter Idealbedingungen zufriedenstellend 

Die Siegel haben auch einige Erfolge vorzuweisen. Sogar kritische Umweltgruppen würden einräumen, dass zum Beispiel ökologische Mindeststandarts bei FSC-Zertifizierungen in Deutschland in die richtige Richtung zeigen. Allerdings kann man hier auch fast von Laborbedingungen sprechen. Deutschland hat eine etablierte Demokratie mit Gewaltenteilung und Kritik an der Forstwirtschaft kann ohne Gefahr für Leib und Leben geäußert werden. So können die unterschiedlichen Interessen zumindest eingeschränkt bei der Siegelvergabe berücksichtigt werden.

Das gilt aber aber längst nicht überall. Ein großer Teil der Biomasse kommt aus dem globalen Süden, häufig aus Ländern mit korrupten Regimen und schlecht funktionierenden staatlichen Strukturen. Gerade hier scheitern Öko-Siegel oftmals damit, Raubbau und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. In Ländern wie Brasilien kann es lebensgefährlich werden, bei einer Zertifizierung Kritik an Konzernen zu üben oder seine Rechte einzufordern. Darüber hinaus sind die Menschen vor Ort weder mit dem Konzept einer Zertifizierung vertraut und werden auch nicht hinreichend über die möglichen Folgen aufgeklärt. Außerdem halten sich die Nachhaltigkeitszertifikate in der Praxis fast immer nicht an die von der UNO entwickelten FPIC-Standards (Free, prior and informed consent/ Recht auf freie, vorherige und informierte Zustimmung). Daher sollten lokale Gemeinschaften vor einer möglichen Zertifizierung umfassend informiert werden und auf dieser Basis selbst entscheiden, ob sie dem Prozess zustimmen oder ablehnen.

Nachhaltigkeits-Zertifikate sind in vielen Fällen grüne Beruhigungspillen. Häufig adressieren sie nicht den unverantwortlich hohe Ressourcenverbrauch der Wohlhabenden und ändern nichts an strukturellen Machtverhältnissen mit deren Hilfe globale Konzerne auf Kosten von Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen sich die Taschen voll machen.