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Keine neue Weltformel

Die Folgen der Bioökonomie für die Biosphäre

Von Peter Gerhardt

Die Menschheit wird in Zukunft stärker auf nachwachsende Rohstoffe angewiesen sein. Nur wenn alle Aspekte unseres Wirtschaftens auf den ökologischen und sozialen Prüfstand kommen, kann die biobasierte Ökonomie einen Beitrag zur Lösung der globalen Herausforderungen leisten.

Die aktuelle Debatte um die Bioökonomie trifft auf eine Öffentlichkeit, für die die natürlichen Grenzen unseres Planeten zunehmend ins politische Bewusstsein rücken. Denn nicht nur das Ende der fossilen Rohstoffe ist absehbar, auch mineralische Ressourcen sind nur begrenzt verfügbar. Themen wie Klimawandel und Artenverlust sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und mobilisieren Massenproteste sowie in Bayern 1,8 Millionen Wähler*innen beim Volksbegehren „Rettet die Bienen”. Gleichzeitig werden große Teile der Bevölkerung von enthemm- ten Märkten vor sich hergetrieben, die bis dahin ungekannte gesellschaftliche Fliehkräfte freisetzen. Wir befinden uns in einem globalen Verteilungskampf, der die internationale Ordnung zunehmend destabilisiert. Der Politik gelingt es kaum noch, die heutige Art der Profitökonomie wirksam einzuhegen.

Um so attraktiver klingt das Versprechen der Bioökonomie, auf viele dieser globalen Probleme eine angemessene Antwort geben zu können. Auch die Anfang dieses Jahres veröffentlichte Bioökonomiestrategie der Bundesregierung verklärt Bioökonomie zu so etwas wie einer neuen Weltformel, die viele Widersprüche auflösen könne: Biogene Ressourcen würden fossile und mineralische Rohstoffe ersetzen und eine erfolgreiche Wirtschaft speisen, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht und dabei unseren Globus nicht erschöpft.

Schon ein erster Blick auf die zur Verfügung stehenden Rohstoffpotenziale macht allerdings deutlich, wie kurz hier gedacht wird. Die globale Produktionsfläche für Biomasse ist begrenzt und muss neben der Nahrungsmittelproduktion weitere Ansprüche bedienen, die teilweise in Konkurrenz zueinanderstehen. Wir befinden uns in der grotesken Situation, dass die Kapazitäten der Erde in voneinander unabhängig geführten Zukunftsdebatten über Klima, Artenvielfalt und Bioökonomie zusammengenommen schon mehrfach verplant wurden: Während Klimaexpert*innen von der ETH-Zürich zusätzlich 900 Millionen Hektar Wald gegen den Klimawandel pflanzen wollen, fordert ein Forschungsteam in der Fachzeitschrift Science 1.700 Millionen Hektar Schutzgebiete für die Artenvielfalt zu etablieren. Das wiederum steht im krassen Widerspruch zu den Vorstellungen von Strateg*innen der Bioökonomie, die unseren Planeten in erster Linie zum Biomasseacker umbauen wollen. Aus diesen Szenarien ergeben sich Zielkonflikte und es braucht demokratisch legitimierte Ent- scheidungen was, wann, wo und wie mit der globalen Landfläche geschehen soll.

Realistische Bestandsaufnahme fehlt
So gesehen wäre es dringend notwendig, die Erwartungen an eine Bioökonomie auf ein realistisches Maß einzudampfen. Von dieser Haltung ist auf Branchentreffen wie dem Globalen Bioökonomie Gipfel wenig zu spüren, bei denen Autoreifen aus Löwenzahn stolz als leuchtende Beispiele für eine »Bio-Zukunft« mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten herumgezeigt werden. Dabei sind die Landflächen für eine Rohstoffproduktion für derartige Produkte schlicht begrenzt. Eine Art Inventur oder Bestandsaufnahme, wie viel Grundstoffe die natürlichen Ökosysteme nachhaltig für eine Bioökonomie liefern könnten, würde der Debatte deshalb eine dringend notwendige Bodenhaftung verleihen. Das würde auch die Augen dafür öffnen, dass eine verantwortungsvolle Bioökonomie kaum mit unserem Wirtschaftssystem kompatibel ist, das auf permanentes Wachstum programmiert ist.
Die Bioökonomie wird ihre vollmundigen Versprechen nur dann halten können, wenn Ressourcen in Zukunft wesentlich sparsamer eingesetzt werden. Die notwendige Transformation kann daher nur gelingen, wenn fossile Rohstoffe nicht einfach eins zu eins durch biogene ersetzt werden. Das wiederum setzt veränderte Konsummuster, geschlossene Kreisläufe sowie stoffliche Mehrfach- und Kaskadennutzung voraus. Im Widerspruch dazu will uns das derzeitige Wirtschaftsmodell von Amazon, Zalando und Co. mit immer mehr Fast Fashion, Fast Food und schnelllebigem Konsum beglücken. Verantwortungsvolle Bioökonomie zu Ende ge- dacht, würde daher auch an den Grundfesten unseres Wirtschaftssystems rütteln.

Schwerwiegende Nebenwirkungen
Da das fossile Zeitalter aus uns Energiejunkies gemacht hat, wäre die Bioökonomie auch eine Zäsur für den exorbitant hohen Energieverbrauch in den Industriestaaten. Die industrielle Erschließung von Öl, Gas und Kohle hat der Menschheit zwar einen bis dahin nicht gekannten Entwicklungsschub ermöglicht. Zur Wahrheit dieses Erfolgs gehört aber auch, dass dafür Sonnenenergie, die von der Natur vor Millionen von Jahren in der Erdkruste gespeichert wurde, in nicht einmal zwei Jahr- hunderten durch die Schornsteine gepustet wurde. Der scheinbare Überfluss an fossiler Energie hat auch dazu geführt, dass ineffiziente (Auto-)Verbrennungsmotoren und Kraftwerke, die wenig Vortrieb und viel ungenutzte Abwärme produzieren, zum Sinnbild des Erdölzeitalters werden konnten. Das diese fossile Verschwendungs- wirtschaft wenig zukunftsfähig ist, hat sich auch bei den ersten Gehversuchen der modernen Bioökonomie gezeigt, der Bioenergie: Ob US-amerikanische Holzpellets für europäische Kohlekraftwerke, Biogas aus Maismonokulturen oder Palmöl-Kerosin aus Indonesien: Diese nachwachsenden Alternativen haben schwerwiegende Nebenwirkungen auf Klima, Artenvielfalt und Menschenrechte und stehen nicht mal ansatzweise ausreichend zur Verfügung, um mit business as usual einfach weiterzumachen. Die gleiche Kritik trifft auch auf die Bioökonomie der nächsten Generation zu. Bioreaktoren, in denen zum Beispiel Tenside für Waschmittel und die Chemieindustrie produziert werden sollen, laufen nicht nur mit Luft und Liebe, sondern benötigen ebenfalls Landfläche, Rohstoffe und Energie.

Land- und Forstwirtschaft neu denken
Die Debatte um die Bioökonomie wäre auch ein guter Anlass, um die bisherige Produktion von nachwachsenden Rohstoffen wie Fasern, Ölen, Stärke und Holz kritisch zu hinterfragen und zu reformieren. Davon ist bei den offiziellen Strategien bislang herzlich wenig zu spüren, weder in Deutschland noch in Europa. In der Land- und Forstwirtschaft sollen uns nun ausgerechnet jene Landnutzungsverfahren retten, die uns in die Krise geritten haben: Die Bioökonomiestrategie der Bundesregierung vertraut im Wesentlichen weiter auf die industrielle Agrar- und Forstwirtschaft, die aufgrund von Insekten- und Fichtensterben sowie Nitratbelastung des Grundwassers zu Recht in der Kritik steht. Die fortschreitende Ökonomisierung der Natur wür- de somit festgeschrieben – ganz im Interesse einer gut geölten Lobby aus Industrie und Großagrariern.

Zu industrienah und technikgläubig
Das spiegelt sich auch in der Forschungslandschaft wider. Auf nationaler und euro- päischer Ebene haben Politik und Wirtschaft bereits finanziell großzügig ausgestat- tete Förderprogramme aufs Gleis gesetzt, die eher in Richtung Biotech als Bioland- bau zeigen. Begriffe wie Agrarökologie, naturnahe Forstwirtschaft und globale Verteilungsgerechtigkeit finden sich jedenfalls kaum im offiziellen Forschungskatalog der Bundesregierung. Da passt es ins Bild, dass der industrienahe Bioökonomierat das Gentechnikgesetz unter Beschuss nahm und lautstark dessen Aufweichung forderte. Das ehemalige Beratergremium der Bundesregierung wünschte sich mehr Beinfreiheit in den Genlaboren: Bei der Erforschung neuer genchirurgischer Verfahren wie CRISPR/Cas sollte das Vorsorgeprinzip über Bord geworfen werden. Zudem bringt auch die industrielle Forstwirtschaft Genbäume als Rohstoffquelle für eine Bioökonomie in Stellung.
Wichtige Weichenstellungen für Politik und Forschung wurden bislang weitgehend exklusiv in industrienahen Fachkreisen entschieden. Doch das ändert sich zunehmend und es wird für die Industrie nicht einfacher, problemlos »durchzuregieren«. Das ist sicher auch den im Aktionsforum Bioökonomie organisierten Umwelt- und Entwicklungsverbänden zu verdanken, deren Engagement frischen Wind und öffentliche Aufmerksamkeit in die Bioökonomiedebatte gebracht hat. Aber auch innerhalb der Bundesregierung werden die politischen Kräfte lauter, die eine ökologische Rahmensetzung bei der Bioökonomie einfordern. Da ist es ausgesprochen bedauerlich, dass sich die großen Wohlfahrts- und Sozialverbände bislang im Abseits bei dieser wichtigen Zukunftsdebatte befinden. Dabei sind es vor allem die Bürger(innen) mit wenig Geld, die sich keine günstige Ausgangsposition für eine Zukunft ohne Öl, Gas und Kohle erkaufen können. Eine breitere gesellschaftliche Mehrheit wird nur dann einen Wandel akzeptieren, wenn es dabei gerecht zugeht.

Gefahr für den globalen Süden
Außerdem ist zu befürchten, dass vor allem die Armen des Globalen Südens die Zeche für eine verstärkte Nachfrage nach Biomasse bezahlen müssen. Denn eine Bioökonomie kann in Industrienationen mit begrenzter Landfläche wie Deutschland nur dann im großen Maßstab funktionieren, wenn die Biomasse dafür aus aller Welt importiert wird. Schon heute reicht der Fußabdruck der deutschen Bevölkerung nach Brasilien oder Indonesien, wo globale Konsumgüterriesen für Klopapier oder Schokoriegel Menschen ohne verbriefte Landrechte vertreiben und deren Lebensgrundlage zerstören. Die Bioökonomie könnte als Brandbeschleuniger den Druck auf Menschenrechte und Ökosysteme im Globalen Süden dramatisch erhöhen, würde zum Beispiel allein die Chemieindustrie in Zukunft Erdöl durch biogene Rohstoffe ersetzen.

Raus aus den industriefreundlichen Hinterzimmern!
Dringend notwendig ist daher eine breite gesellschaftliche Debatte, unter welchen Rahmenbedingungen sich die Bioökonomie in Zukunft entwickeln soll. Ein solcher Dialog ist aber nicht zum Nulltarif zu haben, denn ernst gemeinte Partizipation kostet Zeit und Geld. Die Politik sollte daher ausreichend Ressourcen und Beteiligungsmöglichkeiten bereitstellen – auch für kritische Stimmen.

Die Öko-Siegel-Falle
Wie schon in der Vergangenheit wird die Industrie mögliche Kritik auch im Bereich der Bioökonomie mit freiwilligen Zertifizierungsinitiativen beantworten. Schon heute tummeln sich im Bereich der Bioenergie wenig glaubwürdige Ökosiegel wie das „Sustainable Biomass Program”. Die Vergangenheit zeigt ebenfalls, dass auch Nachhaltigkeitszertifkate für Holz, Papier, Palmöl oder Soja die Expansion von Industrieplantagen auf Kosten natürlicher Ökosysteme nicht verhindern konnten. Diese Siegel funktionieren fast alle nach dem gleichen Strickmuster und geben vor, Betroffene und NGOs in einem Multistakeholder-Verfahren angemessen zu beteiligen. De facto setzt in den meisten Fällen die Industrie ihre ökonomischen Interessen durch. Die Entwicklungs- und Umweltverbände sind deshalb gut beraten, diesen grünen Beruhigungspillen bei der Bioökonomie nicht auf den Leim zu gehen.

Ausblick
Die Wirtschaftsordnung der Zukunft sollte zu einer gerechten Gesellschaft innerhalb der planetaren Grenzen beitragen. Daran wird sich auch die Bioökonomie messen lassen müssen. Es wird deshalb darauf ankommen, dass wichtige Weichenstellungen für Politik und Forschung nicht in industriefreundlichen Hinterzimmern ausgekungelt werden. Hier können Umwelt- und Entwicklungsverbände helfen, die Debatte in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Letztendlich gebührt es dem Primat der Politik, die heutige, auf exorbitante Profite ausgerichtete Ökonomie wirksam einzuhegen, auch wenn sie in Zukunft vielleicht immer öfter im Gewand der Bioökonomie daherkommt

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift politsche ökologie.