Der vollständige Ersatz fossiler durch nachwachsende Rohstoffe ist quantitativ nicht möglich. Soll die Bioökonomie nachhaltig ausgerichtet werden, erfordert das die Transformation des derzeit auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystems.
Die erste Tagung des vom Bundesamt für Naturschutz geförderten und von denkhausbremen in Zusammenarbeit mit dem BUND durchgeführten Projekts “Bioökonomie im Lichte der Nachhaltigkeit” fand am 7. und 10. September 2020 statt. Neben VertreterInnen der relevanten Umwelt- und Entwickungsverbände nahmen auch ExpertInnen aus Wissenschaft, Fachbehörden und Politik teil. Sie diskutierten den Status Quo von Land- und Forstwirtschaft im Hinblick auf den Erhalt von Biodiversität und mögliche Rohstoffpotenziale für eine zukünftige Bioökonomie.
Ute Feit vom Bundesamt für Naturschutz machte deutlich, dass Artenvielfalt in den Diskussionen um die Bioökonomie bislang nur unzureichend adressiert wird. Zugleich wurden auch Zielkonflikte thematisiert und erörtert, die sich aus unterschiedlichen Nutzungsansprüchen an die zur Verfügung stehenden Flächen – wie Biomasseproduktion, Klima- und Biodiversitätsschutz – ergeben.
Im ersten Vortrag stellen Joachim Spangenberg (BUND) und Wolfgang Kuhlmann (denkhausbremen) die Ergebnisse ihrer Studie dar, dass wenn wir die biologische Vielfalt in Deutschland verbessern wollen, dies auch im Rahmen einer zukünftigen Bioökonomie berücksichtigt werden muss.
Die Rohstoffpotenziale von Ökosystemen für die Umsetzung der Bioökonomie in Deutschland seien stark beschränkt und eine Ausweitung der Biomasseproduktion unter ökologischen Gesichtspunkten nicht möglich, sowohl in der Landwirtschaft als auch im Wald. Im Bereich der Landwirtschaft müssten Flächen, die jetzt für Futtermittel oder Energiepflanzen genutzt werden, für den Anbau von Industrierohstoffen umgewidmet werden. In der Forstwirtschaft bestünden nur dann Rohstoffpotenziale für die Bioökonomie, wenn die energetische Verwendung von Holz zukünftig stark eingeschränkt wird.
Louisa Prause (HU Berlin) verdeutlicht im zweiten Vortrag, dass mit der Verstärkung der Biomasseimporte aus Ländern des globalen Südens lediglich das Flächenproblem in andere Weltregionen verschoben wird – und das mit gravierenden sozialen und ökologischen Auswirkungen. Als Beispiele nennt sie Landnutzungskonflikte in Senegal und Brasilien: Für agrarindustrielle Monokulturen würden dort Kleinbauern und Kleinbäuerinnen verdrängt, Wälder zerstört oder Trinkwasser durch Pestizideinsatz verschmutzt.
In der Diskussion wird ergänzt, dass es weder funktionierende Politikinstrumente noch wirkungsvolle Nachhaltigkeitszertifikate gibt, die diese Konflikte auflösen können. Das Lieferkettengesetz sei hier ein möglicher Anfang, um die globalen Transport- und Lieferketten fair und ökologisch zu gestalten. Es wird deutlich, dass der Bioökonomie-Diskurs über die Biomassepotenziale hinaus geführt werden sollte: Es gehe auch um zu verändernde Konsummuster in den wohlhabenden Ländern und im Grundsatz um unser Wirtschaftsmodell, dass ein „mehr“ und „weiter so“ ohne Grenzen verspricht.
Die Frage, welche Landfläche angesichts konkurrierender Nutzungsansprüche zukünftig wie genutzt werden sollte, sei bislang nicht beantwortet. Letztendlich komme auch die Bioökonomie nicht aus dem Dilemma heraus, dass die begrenzte Landfläche nicht mehrfach verplant werden kann.
Teja Tscharntke von der Georg-August-Universität Göttingen geht in seinem Vortrag zu Agrarökosystemen und Biodiversität auf die Zielkonflikte ein, vor deren Hintergrund Bioökonomie gedacht werden muss: Bevölkerungswachstum, Lebensmittelnachfrage, globale Wachstumsgrenzen und die dramatischen Verluste der Biodiversität. Die Qualität der Lebensmittel und die Produktivität hätten sich zwar positiv entwickelt, allerdings mit ökologischen Kollateralschäden durch Agrochemikalien und synthetische Düngemittel. Zum Beispiel liegen die Kosten für Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung sowie deren gesundheitliche Folgen inzwischen sogar über den direkten ökonomischen Vorteilen aus dem Einsatz von Stickstoffdüngern in der Landwirtschaft.
Tscharntke betont vor allem die Struktur und Vielfalt der Landschaft in ihrer wichtigen Rolle für den Erhalt der Biodiversität. Mit einer Landwirtschaftspolitik, die Agrarumweltmaßnahmen fördert und nicht den Besitz von Ackerfläche, könnten Biodiversitätsschutz und -regeneration stattfinden. Naturschutzinseln seien hingegen keine Lösung, stattdessen brauche es Auflagen, die einen Rahmen für den Biodiversitätserhalt in der Fläche setzen. Letztendlich müssten Bioökonomie- und Landwirtschaftspolitik kohärent gestaltet werden, um Artenschutz zu ermöglichen.
Im Wald sieht es da nicht anders aus. Susanne Winter, Waldexpertin vom WWF, veranschaulicht das Spannungsfeld von Biomasseproduktion und Biodiversität in Wäldern anhand der aktuellen Situation weltweiter Waldökosysteme. Aus sechs Milliarden Hektar Wald seien vier Milliarden geworden, und seit 1970 sei die Zahl der Waldwirbeltiere weltweit um 53 Prozent zurückgegangen. Als Ursachen benennt die Referentin u.a. den Fleischkonsum in Europa und den Papierverbrauch in Deutschland.
In der Diskussion wird herausgestellt, dass die Nutzung von Holz in Kaskaden gestärkt werden müsse, da aktuell über 50 Prozent des entnommenen Holzes direkt in die Verbrennung gehen, ohne zuvor stofflich genutzt zu werden. Hier sollte zeitnah mit konkreten Instrumenten und Ansätzen gegengesteuert werden – im Wesentlichen auf EU-Ebene. Darüber hinaus sollten die Europäische Holzhandelsverordnung sowie deren Umsetzung in Deutschland dringend verbessert werden. Dies könnte mit ausreichenden Kontrollen, angemessenen Standards und Strafen bei Zuwiderhandlung erreicht werden.
Der Ressourcenverbrauch für die Bioökonomie sollte einer strikten Priorisierung folgen, in der die Ernährungssicherung an erster Stelle steht. Der Biomasseanbau sollte in eine ökologisierte Landwirtschaft integriert werden. Der Fokus sollte auf der Nutzung von Biomasse aus Rest- und Abfallstoffen liegen, wobei allerdings bedacht werden muss, dass diese nur im ökologisch vertretbaren Ausmaß für die weitere Nutzung entnommen werden sollten.
Damit die Biomasseproduktion für eine Bioökonomie den ohnehin massiven weltweiten Verlust der Biodiversität nicht weiter verschärft, ist eine ordnungspolitische Rahmensetzung und Steuerung unerlässlich. Damit die planetaren Grenzen auch in einer Bioökonomie gewahrt werden, darf deren Entwicklung nicht allein den Mechanismen des Marktes überlassen werden, weil diese ökologische und soziale Kriterien bei der Rohstoffnutzung nicht abbilden und einbeziehen können.
Das Projekt „Bioökonomie im Lichte der Nachhaltigkeit“ wird gefördert von: