Kirsten Tackmann im Gespräch mit denkhausbremen. Kirsten Tackmann sitzt seit 2005 für DIE LINKE im Deutschen Bundestag und ist als agrarpolitische Sprecherin ihrer Fraktion zuständig für Bioökonomie.
denkhausbremen: Frau Tackmann, was verbinden Sie mit dem Begriff Bioökonomie?
Kirsten Tackmann: In der aktuellen Diskussion bedeutet er schlicht den Ersatz fossiler Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe, um das fossile Zeitalter hinter sich zu lassen. Durch die Ansiedlung des Themas beim Bundesforschungsministerium wird die Diskussion gleich sehr theoretisch und technologische Fragen stehen im Vordergrund. Das ist schade. Denn aus meiner Sicht geht es hier um viel mehr.
Worum geht es Ihnen?
Wir sollten dringend eine gesellschaftspolitische Debatte führen, an deren erster Stelle die Frage steht: Was brauchen wir eigentlich? Die Wachstumsdiskussion ist hier von zentraler Bedeutung. Mein Eindruck ist, dass wir gerade über den Ersatz fossiler Materialien diskutieren, die man eigentlich streichen sollte statt sie durch Biomasse zu ersetzen. Andernfalls würden wir die Natursysteme völlig überfordern.
Wir sollten also nicht nur fragen, von welchen Rohstoffen sich das Wirtschaftssystem ernährt, sondern auch das System an sich in Frage stellen.
Die Landwirtschaft müsste im Zentrum der Diskussion stehen, da sie ja zusammen mit der Forstwirtschaft die Rohstoffe für die Bioökonomie liefern soll. Dabei produziert die Landwirtschaft schon heute in erster Linie Waren, im Zweifelsfall für den Weltmarkt – statt die Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen.
Die Bioökonomie scheint gerade nicht dazu geeignet, daran etwas zu ändern…
Im Gegenteil, sie potenziert das Problem. Der Nachfragedruck wird noch einmal erhöht, wenn Landwirte in Zukunft nicht nur Lebens- und Futtermittel, sondern auch noch Biomasse für neue industrielle Anwendungen produzieren sollen. Mit der Bioökonomie kommen wir da in eine strategische Sackgasse. Erst haben wir das fremde Öl unter dem fremden Sand ausgebeutet, indem wir es uns angeeignet haben. Und jetzt eignen wir uns die Fruchtbarkeit des Bodens hier bei uns über die Maße an und übernutzen sie. Auch die Bodenfruchtbarkeit ist aber eine begrenzte Ressource. Wenn wir die übernutzen, müssen wir uns bald wieder etwas Anderes überlegen, weil das auf Dauer nicht funktioniert.
Zudem ist das verfügbare Land in Deutschland begrenzt und bis auf Grenzertragsstandorte und Naturschutzgebiete vollständig genutzt. Ein guter Teil der Biomasse als Grundstoff einer hiesigen Bioökonomie müsste also aus anderen Ländern importiert werden.
Wir könnten auch vieles von dem hinterfragen, was hierzulande produziert wird. Das geht ja weit über die Eigenversorgung hinaus. Wir müssten uns fragen: Was können und wollen wir mit der begrenzten Ressource Boden anfangen, wo liegen unsere Prioritäten? Und wie viel Fläche ist noch übrig, nachdem die Lebensmittelversorgung sichergestellt ist? Beim Anbau von Biomasse spielt aus meiner Sicht auch eine Rolle, was sich sinnvoll in eine gute Fruchtfolge bzw. in eine nachhaltige Landwirtschaft einbinden lässt. Wir diskutieren gerade zum Beispiel über Hanf – eine trockenresistente Pflanze, deren Fasern sich für viele verschiedene Anwendungen eignen.
Angesichts der Klimakrise und den Problemen mit Mikroplastik ist es nur logisch, von fossilen Rohstoffen Abschied zu nehmen.
Wir müssen raus aus dem fossilen Zeitalter, klar. Und zwar noch deutlich schneller, als wir es bislang auf dem Zettel haben. Die Frage ist aber: Was brauchen wir dann?
Nachdem es Mitte der 2000er einen großen Hype um Biokraftstoffe und entsprechende Subventionen gab, wurde die Förderung zurückgefahren und der Markt sollte übernehmen. Daraufhin sind ganz viele Ölmühlen sehr schnell pleite gewesen. Ich bin sicher keine glühende Anhängerin von Biokraftstoffen, aber wenn Betriebe ihre eigene Biomasse nutzen oder solche Kraftstoffe regional verwendet werden, macht das ja durchaus Sinn.
Bioökonomie als regionale Kreislaufwirtschaft lehne ich überhaupt nicht grundsätzlich ab. Ich finde nur, dass die Prioritäten und die Blickrichtung sich ändern müssen. Wenn regionale Wertschöpfung aufgrund des kapitalistischen Verwertungsprinzips plötzlich wegbricht und eigentlich sinnvolle Dinge am Markt nicht wettbewerbsfähig sind, dann steht das der Sinnhaftigkeit der Bioökonomie schon im Wege.
Bioökonomie ließe sich auch als nächste Stufe des Zugriffs auf die Natur beschreiben, mit dem Zusammenspiel aus neuer Gentechnik und Digitalisierung – Stichwort synthetische Biologie…
Ich hadere auch mit dem Begriff Bioökonomie. Früher war die Rede von nachwachsenden Rohstoffen, die Diskussion hatte einen stärkeren Fokus auf Landwirtschaft. Die Gefahr ist nun erneut, dass die Landwirtschaft bloß Rohstoffe liefern soll – unabhängig davon, ob sie das überhaupt kann, ob es in die Fruchtfolge passt und die Bodenfruchtbarkeit erhalten werden kann.
Statt das biologische System etwa des Bodens zu beachten gibt es mit der Bioökonomie-Diskussion eine Tendenz zur Technisierung und Ökonomisierung. Als es um nachwachsende Rohstoffe ging war noch klarer, dass etwas nachwachsen soll und wir uns darum kümmern müssen, dass es auch wachsen kann. Dagegen geht mit der Bioökonomie eine technische Überformung und Entfremdung von Natur einher. Hier ist der Hunger nach Rohware das dominierende Motiv.
Würden Sie sagen, dass der diffuse Bioökonomie-Begriff auch eine Ablenkung sein kann von konkreteren Themen, um die es eigentlich geht? Schließlich wurde der Begriff in den 1970er Jahren vom Ökonomen Nicholas Georgescu-Roegen mit einer ganz anderen Bedeutung eingeführt, um auf die Begrenztheit biologischer Systeme hinzuweisen.
Richtig. Es ist doch faszinierend, wie mit einem neoliberalen Verständnis Begriffe aus ganz anderen Kontexten angeeignet und mit eigenen Ideen überformt und anders interpretiert werden. Da versuchen wir gegenzuhalten, indem wir fragen: Was wollt ihr denn eigentlich, wo wollt ihr hin? Statt eine gesellschaftspolitische Debatte mit wesentlichen Themen wie Grenzen des Wachstums und Kreislaufwirtschaft zu führen, wird die ganze Diskussion schnell auf eine rein technologische Ebene gebracht.
Haben Sie denn konkrete Vorschläge für die weitere Diskussion um Bioökonomie?
Die Perspektive für eine sozial-ökologische Transformation, wie sie der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung zu Globalen Umweltveränderungen (WBGU) bereits 2012 aufgemacht hat, fehlt mir in der Bioökonomie-Diskussion bislang völlig. Dass wir uns zunächst fragen, welche von den bislang fossil produzierten Dingen wir wirklich brauchen. Wir müssen sehen, was wir in einem sicheren ökologischen Rahmen überhaupt herstellen können.
Etwa im Energiebereich: Die Kohlekraft einfach durch Erneuerbare Energien zu ersetzen wird nicht funktionieren. Für diese neuen Formen der Energiegewinnung brauchen wir ein völlig neues System, mit neuen Infrastrukturen usw. Was sich strukturell und auch mit Blick auf die beteiligten wirtschaftlichen Akteure ändert und ändern muss, fällt mit Blick auf die technischen Möglichkeiten aber schnell hinten rüber, auch bei der Bioökonomie.
Also den Begriff verwerfen und sich den eigentlichen Themen widmen?
Uns bleibt wohl nichts Anderes übrig, als den Begriff umzudeuten und in unserem kritischen Sinne zu verwenden. In einer aktuellen Debatte wie dieser die Begriffe ersetzen zu wollen, das versteht glaube ich kein Mensch. Wir brauchen eine kritische Debatte zu den Grundlagen, zu den Rohstoffen einer zukünftigen Wirtschaft.
Nicht zuletzt geht es doch auch darum, die Bioökonomie-Diskussion für die Öffentlichkeit transparenter zu machen. Schließlich gehen Milliarden Euro an Steuergeldern in Forschung und Entwicklung zur Bioökonomie, neuartige biotechnologische Verfahren eingeschlossen.
Nicht nur über die Ziele, auch über die Methoden der Bioökonomie sollte natürlich kritisch diskutiert werden. Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten von Verfahren wie CRISPR/Cas sind nur das nächste einer ganzen Reihe von Heilsversprechen, die ich im Laufe meiner politischen Karriere gehört habe. Dabei ist etwas noch lange nicht vernünftig, bloß weil es leicht machbar ist. Bei der Agrogentechnik wissen wir häufig nicht, was wir da eigentlich tun. Und wir müssen uns nur anschauen, wer diese Versprechungen macht – das sind Konzerne wie Bayer, Monsanto und Co. Dabei finde ich es gar nicht problematisch, dass die so sind wie sie sind. Ich erwarte von einem Konzern wie Bayer nicht, dass er plötzlich zu einem gemeinnützigen Verein wird. Das Problem ist aber, dass man sie einfach machen lässt.
Wer nicht gerade der Gesetzgeber zuständig, um hier regulatorisch einzugreifen?
Bundestag und Europaparlament müssten Regeln einziehen und einen klaren Rahmen setzen, damit sich die Vernünftigen durchsetzen und nicht im sogenannten Wettbewerb niedergemacht werden. So lassen sich die Risiken und Chancen für das Gemeinwohl verbessern, statt nur wirtschaftliche Interessen zu fördern. Die Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit kann nicht einfach auf die VerbraucherInnen abgeschoben werden.
Die richtigen Strukturen und Regeln könnten dazu beitragen, dass ressourcenschonendes Verhalten einfacher wird.
Genau. Natürlich sollen die Menschen privat möglichst große Entscheidungsfreiheiten haben. Aber wesentliche Dinge müssen eben gesellschaftlich entschieden werden und sich in entsprechenden Rahmenbedingungen widerspiegeln. Ein Dokumentarfilmer hat einst zu mir gesagt, der Supermarkt sei der denkbar schlechteste Ort, um die Welt zu verändern. Das trifft es ganz gut. Es ist einfach unfair, die großen gesellschaftlichen Fragen einfach auf die persönliche Ebene zu ziehen und den VerbraucherInnen anzuhängen. Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass die Menschen so viel Intelligenz und Vernunft besitzen, dass sie sich mit den richtigen Rahmenbedingungen auch anders verhalten. Da bin ich ganz optimistisch.