Larissa Donges ist Bildungsreferentin für Umwelt und Nachhaltigkeit in der Bundesgeschäftsstelle der Naturfreundejugend Deutschlands. In Potsdam hat sie ehrenamtlich einen Gemeinschaftsgarten mitgegründet, in dem sozial-ökologische Transformation für sie beim Gärtnern und Imkern ganz praktisch erlebbar wird.
denkhausbremen: Die Umweltverbände haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte professionalisiert und feste Strukturen entwickelt. Wie ist das zu beurteilen?
Larissa Donges: Das hat Vor- und Nachteile. Je professioneller und größer Institutionen oder Verbände werden, umso starrer können sie auch werden. Festgelegte Abläufe können natürlich eine Arbeitserleichterung sein und Professionalität bringt oft größere Sichtbarkeit, dafür laufen Prozesse aber auch langsamer und weniger spontan. Man kann nicht mehr ohne große Abstimmung auf Themen reagieren.
Ein Teil der Professionalisierung besteht auch darin, dass die Umweltverbände sich auf ihr gesellschaftliches Klientel und die Medien eingespielt haben. Sie suchen pragmatisch gemeinsam mit Unternehmen nach Lösungen. Fällt so nicht grundsätzliche Systemkritik hintenüber?
Es arbeiten zwar nicht alle Umweltverbände mit Unternehmen zusammen. Aber es braucht aufgrund der vielen Erwartungshaltungen an die Umweltverbände immer mehr Mut, um unbequeme Fragen zu stellen. Das passiert dann, zumindest im nach außen sichtbaren Bild, nicht oft genug. Häufig geht z.B. das Thema Wachstumskritik eher von Einzelpersonen aus oder findet sich in inoffiziellen Statements wieder. Die Jugendverbände der großen Umweltverbände können da oft eigene Akzente setzen und der „Stachel im Fleisch“ sein, wie auch wir bei der Naturfreundejugend.
Wie sehen Sie die Diskussion um die Grenzen des Wachstums?
Ich finde den Diskurs darüber längst überfällig, in ökologischer wie sozialer Hinsicht. Beispielsweise stehen junge Menschen heutzutage unter einem extrem hohen gesellschaftlichen Druck. Einige Stichwörter sind da Beschleunigung, Lebenszeitverdichtung, lückenloser Lebenslauf, das Höher-Schneller-Weiter. Dazu kommen ökologische Probleme wie der Klimawandel oder beunruhigende politische Umbrüche. Das führt oft zu Überforderung. Manche stürzt es in eine Sinnkrise, andere hinterfragen diesen Status Quo sehr selbstbewusst: Warum soll ich dem kapitalistischen System maximal dienen? Was macht für mich eigentlich ein gutes Leben aus? Und wie kann ich selbst nachhaltiger leben? Da kommt dann das Thema Degrowth stark ins Spiel.
Es zeigt sich, dass auch ein Leben ohne grenzenloses Wachstum attraktiv sein kann. Also eine Lebensweise, die nicht Mensch und Umwelt gleichermaßen zerstört. Statt Bruttoinlandsprodukt als höchstem Maß zählen z.B. Werte wie soziale Kontakte oder auch Zeitwohlstand. Hier fällt das Thema Degrowth bei den jungen Menschen auf fruchtbaren Boden.
Können Sie als Jugendverband diese Zielgruppe gut ansprechen?
Natürlich greifen wir auch Themen auf, die im Kontext von Degrowth stehen. Seit einigen Jahren verlegen wir z. B. mit dem Format der Sozialen Wanderungen den „Seminarraum nach draußen“: Mal ein Wochenende gemeinsam in der Natur unterwegs sein und sich dort mit den Themen einer sozialen und ökologischen Transformation auseinandersetzen. Hier kommen dann auch schnell Aspekte der Wachstumskritik, wie z.B. Entschleunigung, bessere Arbeit oder gemeinschaftliches Zusammenleben auf die Agenda. Das Konzept wird gut angenommen, da hier Wandel in Bewegung greifbar und erlebbar wird.
Die Fragestellungen rund um Degrowth interessieren vor allem junge Menschen. Gibt es denn auch Ideen in den Jugend-Umweltverbänden, die durch die „erwachsenen“ Umweltverbände stärker aufgegriffen werden könnten?
Hier ist schon eine Bewegung in den letzten Jahren zu merken. Einige Verbände, die aus dem klassischen Naturschutz kommen, haben da etwas länger gebraucht, da beispielsweise die Befürchtung besteht, dass die Themen bei den Mitgliedern keinen Anschluss finden. Bei den Naturfreunden waren Kapitalismuskritik und Gerechtigkeitsfragen von jeher ein Beweggrund, da der Verband aus der Arbeiterbewegung entstanden ist. Sozial und ökologisch gehört hier schon lange zusammen.
Konkret können die Umweltverbände für ihre Mitglieder eine Eintrittspforte in das Thema Degrowth z.B. über die Suffizienz-Debatte schaffen. Dabei soll es nicht um Verzicht gehen. Vielmehr soll es um Fragen gehen wie: „Was brauchen wir wirklich für ein gutes Leben?“ oder „Wie schaffen wir es, nicht über die Verhältnisse anderer zu leben?“ Hier kann man dann viele Bereiche öffnen, wie z.B. Verkehr, Konsum oder Landwirtschaft. Da tut sich was bei den großen Umweltverbänden, aber es gibt noch viel Luft nach oben.
Bei den Naturfreunden ist es aufgrund der Geschichte recht einfach, das Thema Wachstumskritik mitzudenken. Wie sieht es da bei den anderen großen Umweltverbänden aus?
Suffizienz-Fragen sind immer schnell mit Verzicht und erhobenem Zeigefinger verbunden. Wichtig sind deshalb die positiven Erfolgsgeschichten, mit denen man Mitglieder abholen und mitnehmen kann. In unserer Gesellschaft sitzt jedoch die Einstellung sehr tief, dass sich Probleme mit Wachstum und Effizienz lösen lassen. Hier braucht es Mut und gute Argumente. Da haben wir als Jugendverband einen Bildungsauftrag, Bewusstsein zu schaffen und Menschen zu befähigen, Wandel mitzugestalten. Wir bieten z.B. zusammen mit anderen Jugendumweltverbänden regelmäßig eine Transformationsakademie an, in der auch die Utopie einer anderen Gesellschaft gedacht werden kann.
Klar ist aber auch, dass in (Jugend)Umweltverbänden ganz verschiedene Lebenswelten von Mitgliedern zusammenkommen, was auch entscheidend für die Themen ist. Die Arbeit sollte nicht „top down“ funktionieren, sondern die Themen sollten von den Aktiven von unten gesetzt werden.
Bei der Naturfreundejugend gibt es z.B. ein großes Spektrum an Interessen: Ein 17-jähriger angehender Schreiner aus Süddeutschland hat natürlich andere Themen als eine 23-jährige Studentin aus Berlin. Manchmal fällt das Verständnis der Lebenswelten des anderen da schwer. Das gilt auch für die anderen Umweltverbände, daher kann auch nicht ein großes Thema wie Degrowth von oben vorgegeben werden – so funktioniert der Beteiligungsprozess nicht.
Wie können die Umweltverbände auch in Zukunft wirkmächtig bleiben? Was ist neben der Beteiligung der Aktiven an den Themen noch wichtig?
Ein wichtiger Aspekt ist, dass man soziale und ökologische Themen grundsätzlich nicht trennen kann. So können auch wichtige Kooperationen und Bündnisse mit Sozialverbänden oder anderen Akteuren realisiert werden. Die Stärkung von Teilhabe und Partizipation aller Bevölkerungsschichten sollte ein wichtiges Ziel sein. Wenn sie nicht immer bloß Eulen nach Athen tragen möchten, dann müssen Umweltverbände verstärkt auch Zielgruppen ansprechen, die nicht aus einem akademischen Haushalt der Mittelschicht kommen.
Wie schafft man das?
Man muss neue Bündnisse eingehen und seine gängigen Kanäle verlassen. Wir hatten z.B. schon Kooperationen mit einer MigrantInnen-Selbstorganisation oder mit einem kirchlichen Jugendverband aus dem ländlichen Raum. Da stoßen unterschiedliche Welten aufeinander, aber das kann an vielen Stellen ein Gewinn sein.
Das Ganze ist natürlich ein langer und schwieriger Prozess. Ein klassischer Umweltverband wird auch in Zukunft nicht alle Milieus bedienen können. Wichtig sind jedoch die Kooperationen in konkreten Einzelprojekten, die eine Öffnung für andere Gesellschaftsschichten ermöglicht. Spannend finde ich, dass z.B. bei uns immer mehr Geflüchtete aktiv sind. Das geht mittlerweile bis in die ehrenamtliche Arbeit hinein. Die Vielfalt der Aktiven muss in den Verbänden als Bereicherung wahrgenommen werden und verdient eine Förderung.