Olaf Tschimpke im Gespräch mit Denkhaus Bremen. Er ist Geograph und seit Juni 2003 Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Darüber hinaus ist er stellvertretender Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung.
Denkhaus Bremen: Sie führen den NABU seit 2003 als Präsident und sind schon seit Jahrzehnten bei diesem Umweltverband aktiv. Lassen Sie uns mit einem Rückblick beginnen. Bereits 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht „Grenzen des Wachstums“. Wurde dieses Thema damals auch im NABU diskutiert?
Olaf Tschimpke: 1972 war ich selbst noch nicht hauptamtlich für den NABU tätig. Im Ehrenamt hat das zu der Zeit keine Rolle gespielt, außer im privaten Umfeld derjenigen, die sich dafür interessiert haben. Der NABU hieß noch Deutscher Bund für Vogelschutz und die breitere Themenaufstellung ist erst später erfolgt. Diese geschah unter dem Einfluss der wachsenden Natur- und Umweltschutzbewegung und der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte, die von den „Grenzen des Wachstums“ mit angestoßen wurde. Es hat bei uns dann noch eine ganze Weile gebraucht, sich als klassischer Naturschutzverband auch für umwelt- und gesellschaftspolitische Fragen zu öffnen. In der Folge kam es dann 1990 zur Namensänderung in NABU.
Nichtsdestotrotz hat der NABU bis heute diesen besonderen Fokus auf den Naturschutz bewahrt, der uns ja auch ein bisschen von den anderen Organisationen unterscheidet. Unsere Welt und ihre natürlichen Lebensgrundlagen stehen für uns im Mittelpunkt aller Debatten.
Denkhaus Bremen: In der Folgezeit haben sich die Umweltverbände professionalisiert. 1992 gab es den großen Umweltgipfel in Rio mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung. Hat das auch beim NABU Spuren hinterlassen?
Olaf Tschimpke: Das kann man sicher so sagen. Ob das bewusst geschehen ist oder der gesellschaftlichen Debatte geschuldet war, sei mal dahingestellt. Aber natürlich haben wir uns in dieser Zeit professionalisiert, auf Landesebene wurden Geschäftsstellen gegründet und auf Bundesebene wurde Jochen Flasbarth ein sehr politischer Präsident. Zu der Zeit hat sich der NABU für neue Themen geöffnet. Anfang der 90er kamen die Naturschützer um Michael Succow aus der DDR mit dazu. Das alles hat völlig neue Impulse gegeben und auch die internationale Arbeit wurde auf einmal wichtiger, unser EU-Büro in Brüssel ist damals entstanden.
Nach der Konferenz in Rio gab es eine große Aufbruchstimmung: Mit Klaus Töpfer hatten wir einen engagierten Umweltminister, der das mit gefördert hat. Man glaubte damals, dass es zum ersten Mal globale Leitlinien und Ziele geben kann, die auch künftigen Generationen gerecht werden.
Denkhaus Bremen: Die Rio-Konferenz war auch davon geprägt, Wirtschaft und Umwelt zu versöhnen. Sind dadurch bestehende Konfliktlinien kaschiert worden?
Olaf Tschimpke: Das glaube ich eher nicht. Der Ausgangspunkt dazu war wohl die nüchterne Erkenntnis, dass die Wirtschaft doch einen wesentlichen Teil unseres Lebens bestimmt und wir durch Ausgrenzen allein auch nicht weiterkommen. Unsere Rolle als NABU hat sich da bis heute fortgesetzt nach dem Motto: So viel Kooperation wie möglich, so viel Konfrontation wie nötig. Genau an dieser Schnittstelle arbeiten wir, während der BUND und Greenpeace sich schon immer klarer von der Wirtschaft abgegrenzt haben. Der WWF wiederum hat immer schon einen recht intensiven Kontakt zur Wirtschaft gepflegt. In diesem Spannungsbogen bewegt sich der NABU.
Denkhaus Bremen: Was denkt der NABU über die aktuelle wachstumskritische Debatte?
Olaf Tschimpke: Heute spielt das Konzept der planetarischen Grenzen eine entscheidende Rolle. Bei den wichtigsten Themen des Umweltschutzes, beim Verlust der biologischen Vielfalt sowie beim Klimawandel, sind tatsächlich schon heute die Grenzen überschritten. In diesem Zusammenhang müssen wir auch bei der Frage nach den Themen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch massiv einschreiten. Wir müssen sogar sehen, dass wir unsere Verbräuche deutlich reduzieren. Eine entscheidende Frage lautet: Von welchem Wachstum sprechen wir hier? Natürlich können wir in einigen Bereichen noch ein gewisses Wachstum gebrauchen, denken Sie an die erneuerbaren Energien. Aber beim Ressourcenverbrauch können wir das nicht mehr, da brauchen wir Suffizienz. Die Wachstumskritik als solche teilen wir. Wichtig ist aber, dass man dann auch Lösungen anbieten kann und nicht in pauschaler Kritik verbleibt. Wir müssen den Menschen neue Leitbilder anbieten. Als stellvertretender Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung werde ich mich demnächst wöchentlich mit solchen Fragen auseinandersetzen.
Auch zur anstehenden Bundestagswahl fordern wir Maßnahmen für eine Verringerung des Ressourcenverbrauches, mit ganz konkreten Vorschlägen wie etwa der Förderung einer Share Economy, Stichwort Teilen statt Besitzen. Vor einigen Monaten haben wir einen Arbeitskreis „nachhaltiger NABU“ eingerichtet, um mehr gesellschaftliche Wirkung durch unser eigenes Verhalten zu erzeugen. Dabei versuchen wir auf allen Verbandsebenen mit unseren Mitgliedern zu kommunizieren. Dafür nutzen wir auch unsere Verbandszeitschrift „Naturschutz heute“.
Denkhaus Bremen: Wie engagiert sich der NABU darüber hinaus für eine gesellschaftliche Transformation?
Olaf Tschimpke: Ich bin Mitglied im Forum Nachhaltiges Wirtschaften bei der Bundesforschungsministerin. Dort engagieren wir uns für die Förderung von alternativen Forschungsbereichen, damit Playern wie BASF und Bayer nicht allein das Feld überlassen wird. Denn die Forschungsmittel von heute prägen Produktion und Lebensstile von morgen. Deswegen ist das eine Schlüsselfrage, hier etwas zu verändern. Darüber hinaus haben wir ein ganzes Team aufgebaut, das sich mit Naturschutz- und Bioökonomie befasst. Wenn wir uns in eine Debatte einmischen wollen, dann müssen wir da auch inhaltlich auf Augenhöhe sein, einen Überblick und die nötigen wissenschaftlichen Kenntnisse haben. Es fällt schwer eigene Anstöße zu geben, wenn man nur daneben steht.
Denkhaus Bremen: Gibt es Zielkonflikte bei der konkreten Umsetzung von transformativen Projekten?
Olaf Tschimpke: Ich habe gerade heute mit unserem Klimareferenten zusammengesessen und gesagt, dass ich es nicht mehr ertrage: Wir reden die ganze Zeit von einer „naturverträglichen Energiewende“ und blenden jedoch die Zielkonflikte aus. Haben wir ausreichend Flächen für Windenergieanlagen oder müssen wir stärker auf Solarenergie setzen, wenn wir die letzten Rotmilane in Deutschland bewahren und die Wälder schonen wollen? Was heißt es für Deutschland, wenn wir unseren Verkehr um 40 % reduzieren und den Rest elektrifizieren? Welchen Flächenverbrauch bringt die naturverträgliche Energiewende mit sich und was bedeutet sie auch für den Lebensstil der Bevölkerung?
Bislang hat niemand das Konzept der naturverträglichen Energiewende wirklich zu Ende gedacht. Wir wollen nun mit einem eigenen Gutachten Lösungsstrategien anbieten: Wie kann der Zielkonflikt zwischen Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt überwunden werden? Wie können wir unseren Ressourcenverbrauch tatsächlich reduzieren?
Denkhaus Bremen: Sollten Verbände wie der NABU die Themen Ökologie und soziale Gerechtigkeit zusammendenken?
Olaf Tschimpke: Diese Themen gehören zusammen. Wenn wir nicht zusehen, dass sich auch Menschen mit niedrigeren Einkommen ein gutes Leben leisten können, dann werden wir am Ende nicht erfolgreich sein. Die soziale Frage ist bei solchen Transformationsprozessen daher eine Schlüsselfrage.
Im internationalen Kontext ist das noch viel gravierender. Der Naturschutz hat keine Chance, wenn nicht zugleich die Armut bekämpft und alternative Einkommensquellen entwickelt werden. Mit unseren internationalen Projekten zeigen wir, dass man mit der Akzeptanz der Menschen vor Ort erfolgreich sein kann, indem man sich auch der sozialen Probleme annimmt. Darüber hinaus muss dort die Entwicklung gleich ins Solarzeitalter gehen.
Denken wir an den Kohleausstieg hier bei uns: Der kann nur erfolgreich sein, wenn man die Menschen in der Region rechtzeitig in diese Transformationsprozesse einbezieht und ihnen mit der Stärkung anderer Wirtschaftszweige und Einkommensquellen eine Perspektive bietet. Durch das lange Festhalten an alten Strukturen kommt es am Ende zum harten Bruch und die Leute stehen unvermittelt ohne Perspektive auf der Straße. Die Bundesregierung hat beim Kohleausstieg leider auf die Gewerkschaften gehört und Milliarden versprochen, um die bestehenden Kohlekraftwerke weiterlaufen zu lassen. Mit diesem Geld hätte man sich besser um die zehntausenden Mitarbeiter gekümmert, die vom Kohleausstieg betroffen sind. Das ist übrigens manchmal ein grundsätzliches Problem der Gewerkschaften, dass sie an nicht zukunftsfähigen Branchen festhalten oder aufgrund ihrer Mitgliederstruktur festhalten müssen, anstatt einen Transformationsprozess aktiv zu begleiten. Das Problem ist damit nur aufgeschoben, und am Ende kommt es für alle noch heftiger.