Das BildungsKollektiv (BiKo) aus Erfurt im Gespräch mit denkhausbremen.
Das BiKo wurde vertreten von Michel, der seit den Anfängen des BiKo dabei ist, und Walter, der vor zehn Jahren dazu gestoßen ist.
denkhausbremen: Gebt uns doch mal einen Einblick wie das BiKo entstanden ist?
Michel: Vor mehr als 20 Jahren war ich in einer globalisierungskritischen Hochschulgruppe aktiv. Irgendwann haben wir Leute von einem Wohnprojekt auf einem kleinen Dorf in der Nähe von Erfurt kennengelernt. Die haben uns angeboten, Seminare und Veranstaltungen bei ihnen durchzuführen. Das haben wir dann Ende der 1990er-Jahre gemacht und es war eine schöne Kooperation zwischen einer eher jungen, radikalen Szene aus der Stadt und den Leuten aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung auf dem Land. Sowohl das Wohnprojekt als auch die Politgruppe haben sich Anfang der 2000er-Jahre gespalten und aus den Resten hat sich das Bildungskollektiv zusammengeschlossen.
Thematisch bearbeiten wir nicht nur große, sondern gerne auch «Gänseblümchen-Themen» Wir gucken nicht in erster Linie wo es gerade Gelder gibt, sondern was uns interessiert und wo es in unserem Umfeld Interesse oder Bedürfnisse gibt.
Durch Eure Gänseblümchen-Methode sind die Themen der Bildungskonzepte breit gefächert……
Michel: Das klingt ziemlich hochtrabend. In der Praxis sieht das so aus: Wir überlegen, was ist aktuell wichtig? An was arbeiten wir gerade? Was beschäftigt die Leute in unserem Umfeld? Daraus ergeben sich immer Themen, im Moment zum Beispiel das Verhältnis von Klassismus und Kapitalismus, der Umgang mit sexueller Gewalt oder Repression und Widerstand in den USA.
Walter: Die Kritik an problematischen Ansätzen in der Alternativ-Szene – wie z.B. Esoterik oder Verschwörungsdenken – hat uns auch immer wieder umgetrieben. Sicherlich passen wir manche Ideen auch an mögliche Förderungen an. In der Regel entscheiden wir aber eher danach, was wir politisch wichtig finden, als danach, was wirtschaftlich vernünftig wäre. Ideen die wir nicht gefördert bekommen, finanzieren wir dann aus Rücklagen. Und natürlich darüber, dass wir alle zu völlig prekären Bedingungen arbeiten. Von den Formen her machen wir Diskussionsveranstaltungen und Workshops, hin und wieder auch Seminare. Mittlerweile haben wir auch schon zwölf Publikationen veröffentlicht – zu Beginn noch handkopierter Broschüren, heute eine ausführliche Reihe zum Thema „Kunst, Spektakel, Revolution“ und zwei Bücher zur Geschichte der Offenen Arbeit Erfurt und der Besetzung auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände in Erfurt.
Auch Eure Bündnispartner kommen aus ganz verschiedenen Ecken der Gesellschaft: Von Graswurzelrevolution bis hin zum DGB-Bildungswerk Thüringen
Walter: Wir sind da nicht strategisch vorgegangen. Das hat sich aus unserer Arbeit ergeben. Mit dem Bildungswerk des DGB haben wir zum Thema Rassismus zusammengearbeitet. Und die Graswurzelrevolution haben wir zu Veranstaltungen eingeladen, einer von uns ist auch mittlerweile im Herausgeber*innenkreis. Wenn die Zusammenarbeit gepasst hat, ist sie geblieben. So einfach ist das. Das hängt auch immer von einzelnen Menschen ab.
Ihr vermittelt demnach zwischen Linker Szene und dem Rest der Welt?
Walter: Das klingt etwas anmaßend, aber wir sehen uns selbst tatsächlich als Bindeglied. Meiner Meinung nach koppelt sich die Linke Szene gerne vom Rest ab. Aber wir sollten aus unserem Milieu auch mal rauskommen, damit wir eine größere Reichweite bekommen.
Michel: Pfarrer diskutieren mit Wagenplatzpunker*innen auf unseren Veranstaltungen über Strategien gegen Nazis – sowas finde ich super! Das gelingt am besten, wenn wir unsere Veranstaltungen bei der Offenen Arbeit, einer kirchlichen Basisgemeinde machen. Da kommen Linke und Linksradikale und treffen dort auf Bürgerliche und Kirchenleute. Das ist auch im Veto der Fall, einem selbstverwalteten Raum für linke Kultur und Politik in Erfurt. Dorthin kommen die einen, weil das Bier 1€ kostet, die anderen, weil es ein selbstverwalteter Ort ist und wieder andere, weil man – anders als in vielen Erfurter Kneipen – nicht angefeindet wird, weil man nicht mehrheitsgesellschaftlichen Vorstellungen entspricht.
Inwiefern kann Bildung überhaupt ein Mittel für Partizipation sein?
Michel: Bildung ist erst mal ein Mittel zur sozialen Differenzierung; Bildung schafft Unterschiede. Die Art und Weise wie Bildung im Staat organisiert ist, verschafft Menschen eine bestimmte Portion Bildung, die sie für den Arbeitsmarkt befähigt. Demgegenüber verfolgen wir ein Bildungskonzept, bei dem sich die Beteiligten gemeinsam erschließen, wie die Welt funktioniert und dadurch Vorstellungen entwickeln, wie sie besser sein könnte. Das ist natürlich relativ abstrakt; unsere Ideal-Vorstellung davon lässt sich aber auf folgenden Nenner bringen: Die Welt zusammen begreifen, um sie verändern zu können.
Wie viele Veranstaltungen macht ihr im Jahr und wer kommt zu Euch?
Walter: Vergangenes Jahr waren es über 39 Veranstaltungen mit 1.397 Teilnehmer*innen. Das sind bei bestimmten Leuchtturm-Veranstaltungen mal 120, in der Regel eher 10-20 und wenn‛s schlecht läuft auch mal nur fünf. Da wir keinen eigenen Veranstaltungsort haben, arbeiten wir immer in Kooperation. Zum Beispiel mit einem Hausprojekt oder der Offener Arbeit Erfurt. Je nachdem wo wir sind, ändert sich auch der Kreis der Besucher*innen. Wir werden auch als Referent*innen eingeladen oder reisen mit bestimmten Themen durch Deutschland.
Macht ihr Pressearbeit oder seid ihr in den Sozialen Medien?
Walter: Klassische Pressearbeit machen wir wenig. Wir haben eigene Mailverteiler und nutzen mit anderen Gruppen einen alternativen Terminkalender. Wir schicken unsere Termine auch an die Thüringer Lokalpresse, viel beachtet wird das in der Regel aber nicht. Außer wir liefern Futter für Skandale, wie vor einigen Jahren, als sich die CDU aufgeregt hat, dass wir eine Veranstaltung über Polizeigewalt und eine Ausstellung, die institutionellen Rassismus bei der Polizei thematisiert, nach Thüringen geholt haben. Da gab‛s dann sogar eine Schlagzeile in der Bildzeitung.
Michel: Twitter, Facebook oder Instagramm nutzen wir nicht, das sehen wir eher als Durchkapitalisierung von Öffentlichkeit – die am Ende viel Arbeit macht, damit man sich zwei Mal im Jahr wegen 1.000 Klicks wichtig fühlen kann. Mehr Leute kommen dadurch zu keiner Veranstaltung.
Inwiefern ist das Konzept des BIKO übertragbar?
Michel: Überhaupt nicht. Das funktioniert nur, weil die meisten prekär leben und/oder neben dem Biko andere Geldquellen haben. Wir verteilen zwischen uns ein bisschen Geld um, was hier und da für den Einen oder die Andere Möglichkeiten schafft, aber wirklich existenzsichernd ist das Biko für niemanden. In den 1990er-Jahren war so ein Modell „Studieren – Jobben – Politik“ ja noch ganz gut machbar, aber durch Hartz IV und die Umstrukturierung der Hochschullandschaft ist es heute um einiges schwieriger, sich gewisse Freiheiten zu erhalten.
Es gibt Euch schon seit 20 Jahren. Was ist Euer Rezept?
Walter: Freundschaft, aufeinander achten wie es den anderen so geht – auch ökonomisch – und gemeinsam Feiern. Weil wir uns immer auf Augenhöhe haben, sind wir schon so viele Jahre gemeinsam aktiv.
Ist es Euch im Rückblick durch Eure Arbeit gelungen, konkrete Veränderungen oder Verbesserungen herbeizuführen?
Michel: Ende der 1990er-Jahre haben wir ein Seminar und eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Was kommt nach der politischen Pubertät?“ gemacht, um zu begreifen, wieso linksradikales Engagement so oft eine Lebensphase bleibt. Ergebnis war: Man muss Strukturen aufbauen, was letztendlich zur Gründung einer Kommune geführt hat, in der einige von uns heute leben. Das ist doch ein ziemlich konkretes Ergebnis. Aber wenn es um Gesellschaft geht – vielleicht darum, die Welt zu verändern, ohne die Macht zu ergreifen – , dann sieht es ja im Moment eher finster aus.
Wie beurteilt ihr den Zustand der Demokratie in Deutschland?
Michel: Parlamentarische Demokratie ist die passende Staatsform zum Kapitalismus. Große Veränderungen wird es damit nicht geben. Zumindest nicht zum Besseren, eher im Gegenteil: In Thüringen hat man manchmal den Eindruck, dass ein Teil der politischen Klasse – eine autoritäre Szene zwischen CDU, FDP, AfD und offenen Nazis – entschieden daran arbeitet, das bisschen Demokratie, das es gibt, noch abzuschaffen.
Walter: Wir haben da aber auch keine einheitliche Position. Einig sind wir uns darin, dass Partizipation sehr wichtig ist. Ob die derzeit herrschende parlamentarische Demokratie dazu in der Lage ist, das zu gewährleisten, weiß ich nicht. Im Moment fehlen auf jeden Fall partizipatorische Prozesse.
Danke für das Gespräch!