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Bioökonomie in Finnland: Nachhaltig oder fragwürdig?

Bioökonomie in Finnland: Nachhaltige Wirtschaftswende oder fragwürdige Entwicklung in grünem Deckmäntelchen?

Von Moritz Albrecht

Die Erwartungen an die Bioökonomie in Finnland müssen aus einem ganz anderem Blickwinkel als zum Beispiel die Erwartungen an die selbige in Deutschland betrachtet werden. Nach wirtschaftlich nicht besonders erfolgreichen Jahren, wird die Bioökonomie in Finnland vielerseits als Heilsbringerin und teilweise als das neue Nokia angepriesen, welche dem Land neuen wirtschaftlichen Aufschwung und grünes Wachstum bringen soll. Zudem ist die Bioökonomie in Finnland hauptsächlich forst-/holzbasiert und soll einer in den letzten Jahren doch eher gebeutelten und mit strukturellen Änderungen kämpfenden Forstwirtschaft wieder zu alter Stärke helfen und sie wieder ins Zentrum der finnischen Wirtschaftskraft bringen. Dazu muss gesagt werden, dass die Forstwirtschaft und ihre Großindustrie (Zellstoff, Papier, Sägewerke) in Finnland, in punkto nationaler Bedeutung und politischer Unterstützung, oder eher in Bezug auf politisches Hofieren relativ gut mit der deutschen Politik und deren freundschaftlichem Umgang mit der deutschen Autoindustrie zu vergleichen sind.

Jedenfalls hat sich der Ausdruck Bioökonomie (Biotalous) in den letzten Jahren in Finnland schnell zu einem zentralen Stichwort entwickelt, welches mit „Grünem“ Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätzen und Innovationen verbunden ist. Dadurch hat sich in Finnland eine bunte Landschaft an Bioökonomie fokussierten Projekten, innovativen Start-ups, Arbeitsgruppen und Investitionen entwickelt, die alle ein Stück von dem Kuchen abhaben wollen. Politische und verschiedene finanzielle Unterstützung für Bioökonomie basierte Projekte liegt derzeit im Trend und ist relativ gut verfügbar. Im Zuge dieser Goldgräberstimmung findet jedoch eine zweischneidige Entwicklung statt: auf der einen Seite, Innovative meist klein oder mittelständige Unternehmen, sowie Forschungseinrichtungen, welche neue, biobasierte Produkte entwickeln, industrielle Seitenströme hochwertig aufarbeiten und verschiedene nachhaltigere Produktionsansätze verfolgen (z.B. Textilien & Chemikalien aus finnischer Cellulose). Auf der anderen Seite ein massiver Ausbau der Zellstoff und Sägewerksindustrie für den Export von Holzprodukten (meistens Zellstoff) basierend auf einer steigenden Nachfrage vor allem aus Asien, respektive China. Aufgrund dieser Entwicklung wird in Finnland immer häufiger die Frage nach der Nachhaltigkeit und den Auswirkungen der finnischen Bioökonomieentwicklung auf die einheimischen Wälder gestellt.

Während bei den meisten klein-/mittelständischen Unternehmen und innovativen Start-ups vielleicht die Nachhaltigkeit der entwickelten Produkte selber (z.B. Einweg Produkte), ob nun biobasiert oder nicht, angezweifelt werden kann, werden sie im Allgemeinen nicht als Bedrohung für die finnischen Wälder und ihre heute schon dezimierte Vielfalt betrachtet. Ein anderes Bild stellt sich jedoch bei den massiven Ausbauvorhaben der finnischen, exportorientierten Großholzindustrie und den damit einhergehenden, und staatlich unterstützten Plänen für die Ausweitung der jährlichen Einschlagsmengen dar. Getätigte Investitionen in neue Zellstofffabriken, wie die neue Bioproduct Mill in Äänekoski (2017, Kosten 1,2 Mia €; Holzbedarf 6,5 mio m3/a), oder geplante Zellstofffabriken und Bioraffinierien in Kuopio (Finnpulp: Kosten 1,4 mia €; Holzbedarf: 6,7 mio m3/a), Kemijärvi (Boreal Bioref: Kosten: 950 mio €; Holzbedarf 2,8 mio m3/a), Kemi (Kaidi: Kosten 900 mio €; Holzbedarf 2,8 mio m3/a) oder Paltamo (KaiCell Fibres: Kosten 900 mio €; Holzbedarf: 2,5 mio m3/a) im Zusammenspiel mit zahlreichen neuen Investitionen zur Kapazitätserweiterung von Sägewerken und bestehenden Holzindustriestandorten haben hohes Potential die nationale Nachfrage nach Holz massiv anzuheizen. Im Zusammenspiel mit einer stark auf Holz basierten finnischen Energie und Klimastrategie 2030 wird daher mit einem Mehrbedarf von ca. 15 mio m3/a wenn nicht sogar bis zu 30 mio m3/a zusätzlich zum heutigen Einschlag Volumen von ca. 65 mio m3/a gerechnet. Diese Szenarien werden nicht nur von Umweltorganisationen in Finnland als nicht nachhaltig kritisiert, sondern auch eine Reihe von anerkannten Wissenschaftlern haben sich in einem offenen, kritischen Brief im Frühjahr 2017 an den Landwirtschafts- und Umweltminister gewandt und erfolglos, speziell gegen die Bioenergie bezogenen Pläne ausgesprochen.

Ist die finnische Bioökonomie also anders wie in den politischen und wirtschaftlichen Lobgesängen vernommen weniger eine nachhaltige Wirtschaftswende und doch mehr eine fragwürdige Entwicklung unter einem „grünen“ Deckmäntelchen welche die nachhaltigen Potentiale der finnischen Wälder überschreitet, der heimischen Biodiversität schadet und zudem noch den CO2 Ausstoß erhöht und die CO2 senkende Funktion der Wälder reduziert? Die Beantwortung dieser Frage in Finnland hängt stark davon ab, wen man fragt und auch unter Naturwissenschaftlern besteht keineswegs Einigkeit. Die diskutierten Werte über ein nachhaltiges jährliches Holzeinschlagspotential schwanken hier grob zwischen 65 und 90 mio m3/a, basierend auf verschiedenen Untersuchungen und Bewertungsmethoden von verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Forschungsinstituten. Die jetzige Politik orientiert sich dabei eher an den höheren Werten des staatlichen Institutes für Natürliche Ressourcen (LUKE). Als nicht Naturwissenschaftler und aufgrund meiner fehlenden Expertise auf dem Gebiet von Forstpotentialanalysen enthalte ich mich hier aber einer abschließenden Bewertung zu der Frage, welche Grenzwerte nun weder die Biodiversität noch die CO2 senkende Funktion der finnischen Wälder negativ beeinflusst. Ich denke, da gibt es genügend Experten mit sehr vielen verschiedenen, fundierten Meinungen, die man konsultieren kann, um sich eine eigene Meinung zu bilden. In jedem Fall kann man in der naturwissenschaftlichen Debatte sehen das die Potentialanalysen von LUKE vermehrt als zu hoch und fehlerhaft kritisiert werden.

Nun sollte man die Nachhaltigkeitsdebatte der finnischen Bioökonomie und derer neuen Großinvestitionen in der Forstindustrie aber auch von einer anderen Seite betrachten; und zwar von der Frage für wen und was wird hier eigentlich größtenteils produziert? Finnische Nachrichten vermelden zurzeit neue Rekorde im Export von Holzprodukten, speziell Dank einer steigenden Nachfrage aus China. Bei Nachrichtenmeldungen wie „Chinesen verrückt nach finnischem Klopapier – Zellstoff erzielt Rekordpreise“ (YLE 2018) mag sich so mancher an deutsche Protestüberschriften von vor 10 Jahren erinnern, wie „Finnlands Urwälder: Kahlschlag für deutsches Papier“ (Greenpeace 2007), nur dass der chinesische Hunger nach finnischen Holzprodukten hier meist gefeiert statt kritisiert wird. Während man nicht abstreiten sollte, dass sich seit dieser Zeit einiges in punkto Nachhaltigkeit und Integration von Umweltaspekten in der finnischen Forstwirtschaft getan hat, kann man den Exportfokus, basierend auf Massenware zur Stillung eines nicht sehr nachhaltigen Konsumverhaltens, doch eher kritisch hinterfragen. Ohne Frage schafft solch eine Bioökonomie Arbeitsplätze und sorgt speziell in ländlichen Gebieten für lang erwartete Investitionen, weshalb man es lokalen Politikern und vielen Bewohnern auch schwer verübeln kann, die jetzige Entwicklung zu begrüßen. Zudem verschafft sie auch mindestens temporäres Wirtschaftswachstum in Finnland; wie man jedoch eine intensivierte Forstwirtschaft für den Export von zig Millionen Kubikmetern holzbasierter Produkte, zur Verwendung von größtenteils nicht recyclebaren Hygiene- oder Wegwerfprodukten, als nachhaltige grüne Wirtschaft bezeichnen kann, bleibt doch eher fragwürdig.

Um diese Debatte abschließend noch zu verkomplizieren muss aber auch gesagt werden, dass zurzeit viele der neuen, hochwertigeren und innovativen holzbasierten Produkte, welche von Klein- und mittelständischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Start-ups entwickelt werden, an die Produktionsseitenströme dieser Großindustrie angebunden und von ihr zu einem gewissen Grad abhängig sind. Daher wird häufig argumentiert, dass die finanziell äußerst ertragreiche Zellstoffproduktion und deren Export, die Entwicklung von neuen, nachhaltigeren Produkten erst ermöglicht, da ansonsten die nötigen Investitionen für eine ausreichende Bioraffinerieinfrastruktur nicht gegeben wären. Dieses Argument ist zu einem gewissen Grad plausibel, man sollte aber trotzdem die Frage stellen, ob dafür eine derart massive Ausweitung der Zellstoffindustrie und der Einschlagmengen notwendig ist oder ob es nicht besser wäre von Anfang an stärker auf innovative, hochwertige und langlebige Produkte zu setzen. Die Argumentation, dass die heutige Zellstoffproduktion und ihre Infrastruktur viele innovative und nachhaltige Produkte der Zukunft bedingt, macht zudem die heutige, stark exportbasierte Bioökonomieentwicklung auch nicht nachhaltiger. Denn sind die Wälder mal weg oder stark negativ beeinträchtigt, bedarf es mehr als einer kleinen politischen Kurskorrektur um den Schaden für Umwelt und Gesellschaft wieder zu korrigieren, falls dies überhaupt möglich ist. Es ist meiner Meinung nach unstrittig, dass eine Kreislauf basierte Bioökonomie großes Potential hat zu einer wahrlich grünen Wirtschaftswende in Finnland beizutragen. Für die finnische Bioökonomie und ihre Nachhaltigkeit (auch ökonomisch) würde es jedoch sicher nicht schaden, den politischen Fokus mehr auf regionale Wertschöpfungsketten und den existierenden Potentialen zu langlebigen, hochwertigen und recyclebaren Produkten zu richten, statt auf schnellen, und eventuell kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg durch die Produktion und den Export von oft kurzlebigen Produkten zu setzen.

 

Titelbild: (c) Moritz Albrecht: Bioproduct mill, Metsä Group in Ääneoski.

Über den Autor:

Dr. Moritz Albrecht

Privatdozent
University of Eastern Finland
Department für Geographische und Historische Studien
Email: moritz.albrecht@uef.fi

Moritz Albrecht (moritz.albrecht@uef.fi)