Interview, Unkategorisiert, Zukunftslabore allgemein, Zukunftslabore von unten

Wir haben Inklusion schon praktiziert, als es das Wort noch gar nicht gab.

denkhausbremen im Gespräch mit Alfons Römer-Tesar, der beim inklusiven Kunstprojekt Blaumeier-Atelier aus Bremen mitverantwortlich ist für Antragswesen und Organisation.

denkhausbremen: Was waren die Anfänge von Blaumeier?

Alfons Römer-Tesar: Zu Beginn der 80er Jahre wurde nach der Psychiatrie-Enquete, einer Expert*innen-Kommission des Bundestages, beschlossen, dass die bundesdeutsche Psychiatrie reformiert werden sollte. Im Nachgang konnten sich die Bundesländer um Förderprojekte bemühen. In Bremen stand die Auflösung der Langzeitpsychiatrie im Kloster Blankenburg in Zentrum.

Mitte der 80er Jahre haben dann ehemaligen Patient*innen eine “blaue Karawane” gestartet, von Triest über München nach Bremen. In Vorbereitung dafür hatten Künstler*innen mit den Patient*innen Theater gespielt, Masken gebaut, gemalt und die “blaue Karawane” begleitet. Aus dieser Karawane ist dann letztendlich 1986 das Blaumeier-Atelier entstanden. Anschließend kam es dann zu einer Vereinsgründung.

Wie finanziert sich Eure Arbeit?

Seit Anfang der 90er Jahre haben wir eine institutionelle Förderung durch das Land Bremen. Darüber hinaus fördert Aktion Mensch seit einer geraumen Zeit viele unserer Projekte in Kunst und Kultur, aber auch den Bau unseres Gebäudes . Dann gibt es Spender*innen und Fördermitglieder und auch regionale und überregionale Stiftungen, die uns unterstützen. Einen Teil unserer Finanzierung können wir auch durch Gagen erwirtschaften.

Wir haben uns auf einen Einheitslohn mit festen Arbeitszeiten verständigt, egal ob Du im künstlerischen Bereich oder in der Haustechnik arbeitest.

Wird dieses Modell von allen akzeptiert?

Auf jeden Fall. Wir haben eine sehr geringe Fluktuation und die viele Mitarbeiter*innen aus den Anfangsjahren arbeiten immer noch hier. Die ersten aus diesem Kreis gehen jetzt in Rente. Selbst neue Kolleg*innen, die zum Team dazukommen, schätzen diese Regelung häufig als sehr hohen Wert.

Was sind Eure inhaltlichen Schwerpunkte?

Wir machen ausschließlich Kultur und das inklusiv, also Menschen mit und ohne Behinderung oder Psychiatrie-Erfahrung sind bei uns gleichberechtigt tätig. Wir haben schon Inklusion praktiziert, als es das Wort noch gar nicht gab.

Was war Euer größter Erfolg?

Für mich persönlich war das die Theaterproduktionen “Jacobs Krönung”, weil es das erste Projekt war, an dem ich beteiligt war. Darauf folgten viele weitere tolle Projekte, wie zum Beispiel die Kooperation mit lettischen Künstler*innen mit einer großen Ausstellung in Riga und die Produktionen des Theater-Ensembles. Aber eigentlich ist der größte Erfolg, dass es Blaumeier seit 30 Jahren gibt und wir immer noch in Bewegung sind.

Aber sicher gibt es doch auch Herausforderungen?

Haben wir auch. Menschen aus der Gründerzeit von Blaumeier gehen jetzt nach und nach in Rente. Neue Kolleg*innen sollen ihre Stelle genauso als Freifläche empfinden können, wie wir vor 30 Jahren. Dafür müssen wir Altgedienten auch den nötigen Platz einräumen. Darüber hinaus ist wichtig, dass wir die Inklusion auch in Zukunft weiter hochhalten, denn das ist es, was Blaumeier ausmacht.

Inklusion ist in der Praxis vermutlich auch nicht immer einfach…

Aus meiner langjährigen Erfahrung in der künstlerischen Arbeit kann ich sagen, dass die Leute sehr unterschiedliche Talente und Fähigkeiten mitbringen. Dadurch wird die gemeinsame Arbeit sehr bunt und ich erlebe es nicht so, dass es ein Gefälle zwischen den verschiedenen Menschen gibt. Im Gegenteil: Die Inklusion wirkt hier wunderbar. Es ist unendlich bereichernd, wenn 15 komplett verschiedene Menschen jeweils was völlig unterschiedliches zu einem Thema gemalt haben.

Kunst kann auch mit einem gesellschaftlichen Anspruch verbunden sein…

Kunst wird bei uns wegen der Kunst gemacht. Unsere Ausstellungen und Aufführungen können aber auch als ein politisches Statement für ein inklusives Gesellschaftsmodell verstanden werden.. Wir versuchen da in Räumlichkeiten zu kommen, in denen sonst etablierte Kunst gezeigt wird, um in einer gesellschaftlichen Nische stecken zu bleiben.. Wir zeigen öffentlich die Fähigkeiten von Menschen, die meist über Defizite definiert werden. Menschen unterscheiden sich, wie schnell oder langsam, wie schräg oder rund sie laufen, und oftmals ist jemand Spezialist*in in einer Sache, was oftmals nicht wahrgenommen wird.

Wir knüpfen in unseren Ausstellungen auch an aktuelle Themen an, z.B. das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt oder der Biodiversität von Insekten. Im Theaterbereich zeigen wir im November ein Stück zu den Einschränkungen und Ausgangsbeschränkungen, denen viele Menschen mit Behinderung während der Covid-Pandemie ausgesetzt waren – auch ein Teil unserer Teilnehmer*innen..

Gibt es in Deutschland eine inklusive Kulturlandschaft?

Inklusion wird sehr unterschiedlich definiert. Das Modell von Blaumeier, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt miteinander arbeiten und ihre Kunst auch gleichberechtigt darstellen, ist relativ einmalig. Es gibt aber viele weitere tolle Projekte, mit denen wir sehr gerne kooperieren.

Wie beurteilt Ihr hergebrachten Konzepte wie Behindertenwerkstätten?

Das Bild von Werkstätten von Menschen mit Behinderung ist im Wechsel begriffen. Vielfach sind dort mittlerweile kreative Angebote oder Freizeit zur Fortbildung implementiert worden. Ein Problem ist, dass viele Menschen mit Behinderung nach einer inklusiven Schulausbildung häufig vor der Frage stehen, wo sie denn jetzt arbeiten können. Häufig sind das dann Werkstätten für Menschen mit einer Behinderung. Dort ist die Entlohnung jedoch unterirdisch.

Macht Ihr Eure Projekte stets wegen der künstlerischen Vision oder folgt Ihr bei Euren Inhalten auch Mal den Wünschen der Förderer?

Wenn wir Projekte nur wegen des lieben Geldes wegen fahren würden, würde es hier nicht akzeptiert werden. Blaumeier ist mehr als ein Job, die Leute sind hier mit Herzblut.

Zu Beginn eines neuen Projektes fragen sich die Kolleg*innen zunächst, welches Thema sie gerne bearbeiten wollen, auch Anregungen und Wünsche unserer Teilnehmer*innen werden aufgegriffen. Dann schauen wir, ob es mit den Bedarf des Ateliers übereinstimmt, z.B. ob es Tournee-fähig ist. Im übrigen definiert unsere Satzung sehr genau, in welche Richtung wir gehen.

Wie setzt sich Euer Publikum zusammen?

Menschen, die mit den Themen Psychiatrie und Behinderung Berührungspunkte haben und auch klassisches Bildungsbürgertum. Wir erleben zur Zeit, dass unser Publikum gemeinsam mit uns altert. Hierbei ist aber bereits etwas in Bewegung gekommen, denn unsere neuen Kolleg*innen erreichen neue Zielgruppen.

Wo stehen wir als Gesellschaft?

Ich finde es gerade sehr bedenklich, dass ein Abbröckeln der Parteien zu erleben ist, und dass viele das Interesse und den Willen zur Mitgestaltung an politischen Prozessen verlieren. Auch das Fischen einiger Politiker*innen am rechten Rand ist gefährlich. In der Pandemie gab es Situationen, in denen Dinge, die in den Bereichen Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe bereits erreicht wurden, verloren gingen.. Ich denke da z.B. an die Verteilung von vermeintlich minderwertigen Masken an Obdachlose und Menschen mit Behinderung.

Ist Inklusion à la Blaumeier auch ein Mittel gegen das Auseinanderfallen des Gemeinwesens?

Es gab Anfang 90er mal die Debatte, ob Blaumeier den Begriff Inklusion nicht noch breiter fassen soll, z.B. das Verhältnis von Ost- zu Westdeutschen, Arbeitslosen zu Menschen mit Arbeit etc.. Wir haben uns damals klar dagegen entschieden. Wir zeigen auch so mit unseren Projekten, dass eine Gesellschaft viel bunter sein kann, als eine Straße, die nur aus Lehrerehepaaren besteht.