Soziale Gerechtigkeit, Unkategorisiert, Zukunftslabore allgemein, Zukunftslabore von unten

Erwerbslosen AG der FAU Magdeburg: Der Streik als Druckmittel funktioniert

Die Erwerbslosen AG der Freien Arbeiter*innen Union Magdeburg im Gespräch mit denkhausbremen. Die FAU ist ein Zusammenschluss von unabhängigen, basisdemokratischen Gewerkschaften.

Was machst Du bei der FAU?

Ich bin in der Erwerbslosen AG aktiv, denn für mich macht dieses Engagement Sinn und ich halte es für notwendig. Da ich mich selbst gegen das System und die Schikane des Jobcenters wehren muss, brauche ich diese Arbeit für mich. Meine Erfahrungen will ich weitergeben, von anderen lernen und deshalb organisiere ich mich.

Wie unterscheidet Ihr Euch von einer klassischen Gewerkschaft?

Bei uns gibt es, anders als in klassischen Gewerkschaften, keine Funktionär:innen. Wir entscheiden an der Basis gemeinsam und unterstützen uns. Unsere AG Arbeit ist von Erwerbslosen für Erwerbslose. Wir sind also eine „Mitmach“-Gewerkschaft und arbeiten weniger wie eine Dienstleistung.

Wie trefft Ihr Eure Entscheidungen?

Die Grundlage unserer Entscheidungen ist immer die Diskussion. Weil wir uns gegenseitig verstehen und respektieren wollen, versuchen wir unsere Entscheidungen im Konsens zu treffen. Letztendlich entscheidet bei Fragen von geringfügiger Bedeutung bei uns die Mehrheit, doch auch dann ist die vorausgehende Debatte besonders wichtig.

Und was unterscheidet Euch von einer klassischen Arbeitsloseninitiative?

Wir denken und handeln politisch! Wir wollen nicht nur individuelle Lösungen finden, sondern gemeinschaftliche Lösungen, die nachhaltig allen helfen. Wir beteiligen uns auch an Demonstrationen, was Sozialverbände ja eher nicht machen. Wir wissen selbst, wie es sich auf dem Jobcenter anfühlt und niemand muss sich bei uns schämen, wenn mensch über eigene Erfahrungen erzählt.

Nutzt Ihr als Erwerbslosen AG den Streik als Aktionsmittel?

Generell ist Streik ein Druckmittel, jedoch speziell in unserem Bereich ist das nicht wirklich möglich. Wir greifen beim Jobcenter auf andere Mittel zurück und begleiten uns in Gruppen gegenseitig zum Amt. Trotzdem sehen wir als basis-demokratische Gewerkschaft unsere Mittel der Wahl in Streik und direkten Aktionen.

Macht die FAU auch klassische Arbeitskämpfe, um mehr Lohn für Beschäftigte zu erstreiten?

Ja, als Gewerkschaft FAU absolut, das ist aber nicht Schwerpunkt der Erwerbslosen AG. Die FAU Magdeburg hat sich z.B. an den Streiks der Angestellten der Ameos-Kliniken für einen gerechten Lohn beteiligt. Wir hatten zuletzt den Fall einer unrechtmäßigen Kündigung durch UNO Pizza und haben vor dem Arbeitsgericht erfolgreich eine Abfindung erstritten. Gerade im sogenannten Mini-Job Bereich haben wir viele Arbeitskämpfe.

Wie finanziert Ihr Euch?

Ja, Geld brauchen wir auch. Im Moment arbeiten wir z.B. an Flyern und einer Hartz 4 Broschüre und der Druck kostet natürlich. Wir finanzieren uns allein über Mitgliedsbeiträge, die setzen sich aus 1% vom Nettolohn zusammen und für Erwerbslose liegt der Beitrag bei 6,50 €. Viele zahlen aber auch freiwillig mehr oder stellen private Mittel zur Verfügung.

Gibt es aus Eurer Sicht noch sowas wie ein ostdeutsche Sondersituation, weil dort besonders viele Menschen von Armut und Hartz 4 betroffen sind?

Im Osten gibt es nach wie vor die sogenannten „Wende-Verlierer*innen“. Aber auch in den alten Bundesländern leben viele arme Menschen. Gerade die Agenda 2010 hat dafür gesorgt, dass das Armutsgefälle zwischen Ost und West sich nach unten schon relativiert hat. Wir haben aber den Eindruck, dass sich im Osten Betriebe schlechte Löhne mehr erlauben können. Auch bekommt eine Ausbildung aus dem Westen mehr Anerkennung.

Was waren eure größten Erfolge?

Ganz persönlich: Dass wir uns mit und besonders durch unsere Arbeit weiterentwickelt haben. Ich weiß noch genau, wie sehr mich anfangs die Fristen, Forderungen und angedrohten Sanktionen gestresst haben und wie schlecht es mir damit ging. Das steht im starken Kontrast dazu, wie ich heute mit dem Jobcenter umgehe. Heute bin ich mutiger und fühle mich weniger allein gelassen. Ich bin nicht bereit jeden beliebigen Job anzunehmen, denn ich suche eine Arbeit die für mich Sinn ergibt. Die unbezahlte gewerkschaftliche Arbeit ist auch Arbeit und die tut mir gut. Das Jobcenter hat da andere Interessen als ich und dagegen kämpfe ich.

Befindet Ihr Euch im Austausch mit den Gewerkschaften des DGB?

Nicht wirklich. Einige unserer Mitglieder kamen frustriert von anderen Gewerkschaften und waren dann positiv überrascht, dass ihnen bei uns wirklich zugehört wird und wir auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Wir haben auch deshalb nichts mit klassischen Gewerkschaften zu tun, weil wir deren Hierarchie ablehnen. Nach meinem Gefühl werden weitergehende Forderungen von der Basis bei den großen DGB Gewerkschaften von den Führungsetagen weich gewaschen. Wir haben aber einen fruchtbaren Austausch mit anderen FAU Syndikaten und international mit Gewerkschaften die uns ähnlich sind, wie der CNT in Spanien oder IP in Polen. Mit denen sind wir überregional gut vernetzt.

Wie beurteilt ihr den Zustand der Demokratie?

Es befindet sich einiges im Wandel: Es gibt einen starken bedenklichen Rechtsruck – andererseits aber auch viele neue progressive Bewegungen. Fridays for Future hat z.B. viele Menschen mobilisiert und zeigt, dass der (politische) Streik als Druckmittel funktioniert und etwas bewegen kann. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass bisher viele Menschen ihre demokratische Verantwortung mit dem Stimmzettel an der Wahlkabine abgeben. Veränderung passiert aber nicht im Ausruhmodus. Aktives demokratisches Handeln, wäre es sich selbst zu organisieren. Wie in Erwerbslosen Initiativen, Mieter*innen-Gewerkschaften oder bei uns.

Wir sind überrascht, dass Ihr die Fridays for Future Bewegung als positives Beispiel für eine linke Bewegung wahrnehmt. Schließlich gibt es viele Stimmen, die FfF der bürgerlichen Schicht zuordnen..

Das sehe ich auch so, aber ich finde das widerspricht der vorherigen Aussage nicht. Es ist doch gerade bemerkenswert dass diese Bewegung aus der bürgerlichen Schicht kommt, aber dennoch das radikale Instrument Streik bzw. eine direkte Aktion wählt. Das ist eher untypisch für Bürgerliche und ein linkes Mittel. Es wird etwas getan und nicht nur ohne Strategie demonstriert oder gesagt: „wir müssen die richtige Partei wählen“.

Ihr habt den zunehmenden Rechtsruck angesprochen. Haben die Linken eine attraktive Alternative?

Die Rechten sind erfolgreich, weil sie einfache Lösungen haben und auf Ängste anspielen. Darauf antworten die Linken mit ordentlicher Analyse und das ist auch gut so, aber leider nicht so ansprechend. Ich denke ein Schritt in die richtige Richtung wäre mehr praktische Arbeit zu machen. Also weiter kollektive, selbst organisierte und unabhängige Strukturen aufzubauen, die am Alltagsleben ansetzen. Linke Menschen sollten zum Beispiel mit Erwerbslosen und Obdachlosen solidarische Strukturen aufbauen.

In linken Kreisen hat sich eine eigene, gender-korrekte Sprache etabliert, doch das ist nicht die Sprache der Paketbot*innen und Fließbandarbeiter*innen. Spaltet hier vielleicht auch die Sprache?

Sprache spielt eine Rolle und das geht über das Gendern hinaus. Hier zählen auch Fachwörter, der Einsatz von Rhetorik und Anspielungen auf historische Ereignisse um die eigene gute Allgemeinbildung unter Beweis zu stellen. So heben sich Menschen von anderen ab und das spaltet auch Gesellschaftsgruppen. Wir haben auch unsere eigene Sprache – versuchen das aber zu reflektieren. Grundsätzlich denke ich, dass es nicht „die typische Paketbot*in“ gibt und gerade nicht-binäre Paketbot*innen sehr viel mit gender-korrekter Sprache anfangen können. Mit diesen Kolleg:innen wollen wir uns auch organisieren.

Was würdest du in unserer Gesellschaft gerne ändern?

Ich persönlich würde gerne Menschen motivieren von ihrem Alltag zu erzählen. Erwerbslose wie, alleinerziehende Frauen, Migrant:innen oder trans Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt wurden, hätten dieser Gesellschaft viel zu berichten. Viele unter uns sind Aufstockende oder gehen einer schlecht bezahlten Arbeit nach. Wir haben viel gemeinsam mit Lohnarbeitenden und vor allem haben wir dieselben sozialen Interessen. Ich wünsche mir, dass wir uns dem bewusst werden und uns gemeinsam gegen Ausbeutung engagieren. Hier liegt so viel Potential und dann können wir wirklich etwas verändern.