Harald Ebner im Gespräch mit denkhausbremen. Ebner ist seit 2011 für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher seiner Fraktion für Bioökonomie-, Gentechnik- und Waldpolitik.
denkhausbremen: Wie schätzen Sie die aktuelle Diskussion zum Thema Bioökonomie ein?
Harald Ebner: Es gibt gar nicht so viele Leute, die sich damit auskennen. Das fängt schon mit der Frage an: Was ist überhaupt Bioökonomie? Ich sage dann immer: Alles was mit biobasierter Wirtschaft zu tun hat. Das ist ein sehr weiter Oberbegriff, der schnell zu Missverständnissen führen kann.
Eröffnet die Bioökonomie-Debatte eher Chancen oder überwiegen die Risiken?
Jede Interessengruppe nutzt einen unklaren Begriff wie Bioökonomie für ihr Anliegen, Forschungsmodell oder wirtschaftliches Geschäftsmodell. Egal, über welchen Teil von Bioökonomie ich mich unterhalte, im Zentrum steht doch, dass wir unsere Wirtschaft auf die postfossile Zeit vorbereiten müssen. Wir müssen Bioökonomie unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit betreiben, nur dann ergibt sie Sinn.
Was verstehen Sie konkret unter Nachhaltigkeit?
Bioökonomie heißt, dass ich in einer biobasierten Wirtschaft alle Rohstoffe und Energie mit biologischen Prozessen zur Verfügung stelle. Das hängt mit Anbau- und Produktionsverfahren zusammen. Wir sehen an der Debatte zum Insektensterben, der Nitratbelastung des Grundwassers und den Klimaschäden durch Massentierhaltung, dass der Großteil der Landwirtschaft derzeit aber gar nicht zukunftsfähig arbeitet. Nachhaltige Bioökonomie kann es nur dann geben, wenn die Anbauverfahren in dem Sinne nachhaltig sind, dass sie die natürlichen Lebensgrundlagen einschließlich der Biodiversität für kommende Generationen erhalten. Ich kann nicht einfach einen erdölbasierten Stoff durch einen biobasierten Rohstoff z.B. aus Mais-Monokulturen ersetzen und dann von Nachhaltigkeit sprechen. Ich muss stets im Blick behalten, wie die biologischen Produktionsverfahren ablaufen. Nur auf dieser Basis kann Bioökonomie langfristig funktionieren.
Kann diese Debatte nicht für Umweltverbände auch eine Chance sein, weil Bioökonomie eine größere Betrachtungsebene ermöglicht?
Wenn man Bioökonomie als Chance ergreifen möchte, müssen auch die Grenzen erkannt werden. Ressourcenverschwendung ist nie nachhaltig: Der Coffee-to-go-Einwegbecher aus nachwachsenden Rohstoffen ist allenfalls das kleinere Übel, aber keine Lösung. Wenn wir uns etwa anschauen, was jährlich an Kunststoffen und Verpackungsmaterial in Deutschland produziert wird: Um diese Menge auf Basis von Stärke herzustellen, müssten wir die gesamte Weizen- und Roggenernte des Jahres einsetzen. Die Aufgabe der Umweltverbände ist es, bei der Gestaltung der Bioökonomie eine ernsthafte Auseinandersetzung mit kritischen Aspekten wie Ressourcenverschwendung und Flächenkonkurrenz immer wieder einzufordern und scheinbar einfache und bequeme Antworten zu hinterfragen.
Häufig hört man das Argument, dass die Landwirtschaft weltweit industrialisiert werden müsse, um mehr zu produzieren.
Aber kann das nachhaltig sein? Da sehen wir relativ schnell, dass wir an Grenzen kommen, zum Beispiel bei der Nährstoffversorgung der Pflanzen und der Erhaltung von Biodiversität. Der Maßstab ‚hohe Flächenproduktivität‘ ist kein guter Parameter für umweltfreundliche Bewirtschaftung. Die Erde hat nur eine beschränkte Leistungsfähigkeit, die wir akzeptieren müssen. Diese Grenze kann mit keiner Technologie vervielfältigt werden. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir innerhalb dieser Grenzen zur bestmöglichen nachhaltigen Verteilung, Konstanz und Ausnutzung der biogenen Rohstoffe kommen.
Der Bioökonomierat signalisiert seine Sympathie für neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR/Cas…
Wenn wir große Mengen von Biomasse brauchen, wird gerne Gentechnik ins Spiel gebracht, um die Erträge zu steigern und damit die Welt zu ernähren. Statt die Ursachen von Welthunger anzugehen, setzt man auf einen „Techno-Fix“, eine eindimensionale technische Scheinlösung. Zudem sind solche Ertragssteigerungen sehr unwahrscheinlich, bislang hat es sie durch Gentechnik nicht gegeben.
Der Hype um die neue Gentechnik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass komplexe Probleme wie Hungerursachen auch komplexe Antworten brauchen. Mit der Gentechnik zum Beispiel lässt sich kaum etwas gegen Wassermangel, erodierte Böden oder fehlende Straßen und Schulen ausrichten. Mit Gentechnik wird man auch nicht dafür sorgen können, dass Menschen weltweit Zugang zu Land bekommen.
Neue Technologien bergen ohne Zweifel Potential in sich, ihr Einsatz ist aber auch nicht risikolos. Wollen wir wirklich, dass jedeR im Garagen-Heimlabor neue Gentech-Organismen erschaffen darf? Es ist nicht nachvollziehbar, dass Ministerin Klöckner und der Bioökonomierat eine vernünftige Regulierung dieser Methoden und damit die Kennzeichnung entsprechender Produkte offenbar verhindern wollen. Den Menschen heimlich Genfood unterzujubeln trägt jedenfalls nicht zur Akzeptanz der Bioökonomie bei.
Würde uns nicht mehr Demut vor der Natur gut zu Gesicht stehen?
Diese Demut haben viele leider völlig vergessen! Es kann doch nicht darum gehen, dass wir eine neue Natur erfinden, die uns besser passt, dass wir quasi eine neue Schöpfung machen, weil uns die erste nicht gut genug ist. Wir sollten nicht die Natur nach unserem Bauplan ändern, sondern unsere Baupläne der Natur anpassen. Wir können noch viel von der Natur lernen, um unser Wirtschaften zu optimieren, zum Beispiel in den Bereichen Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit von Systemen. So hängt die Bodenfruchtbarkeit entscheidend vom Bodenleben ab, da Pflanzen Symbiosen mit Pilzen und Bakterien eingehen. Doch Pestizide wie Glyphosat zerstören diese Helfer im Boden. Auch die Digitalisierung kann neue Potenziale heben, etwa wenn wir die wahllose chemische Keule Glyphosat durch Roboter ersetzen, die gezielt problematische Beikräuter erkennen und mechanisch entfernen.
Wie können diese Vorschläge politisch umgesetzt werden? Bisher fließen die Forschungsgelder, die für Bioökonomie bereitgestellt werden, in eine andere Richtung.
Für einen Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik und damit auch in der Agrarforschung brauchen wir andere Mehrheiten im Bund, klar. Der Markt allein kann und wird auch in der Bioökonomie nicht für Nachhaltigkeit sorgen, sondern braucht seitens der Politik Leitplanken und Vorgaben. Der oft beschworene Vorrang für Ernährung, Stichwort „Teller vor Tank“ funktioniert in der Praxis nicht, wenn Mais für Biogasanlagen oder Cash Crops wie Soja und Palmöl mehr Geld einbringen als Getreide für Lebensmittel. Und die indirekte Subventionierung etwa von fossilen Rohstoffen führt zu einem unfairen Wettbewerb mit nachwachsenden klimaschonenden Alternativen wie Holz.
Wir brauchen auch eine Strategie, um Gemeinwohlinteressen besser bei der Planung künftiger Forschung zu berücksichtigen. Hilfreich wären zum Beispiel Personen in den Beratungs- und Entscheidungsprozessen, die nicht für ihr eigenes Geschäftsmodell oder ihren Vorteil unterwegs sind. Die Zivilgesellschaft, NGOs und Umweltverbände müssen daher genauso in die Politikprozesse eingebunden werden, wie das selbstverständlich und seit jeher mit Wirtschaftsakteuren der Fall ist.
Was heißt das konkret bezogen auf die aktuelle Bioökonomie-Debatte?
Wir brauchen Mechanismen, die die offensichtliche Benachteiligung der Zivilgesellschaft und Umweltorganisationen gegenüber der Lobbymacht der Wirtschaft ausgleichen. Die entscheidenden Gremien müssen gleichwertig mit Mitgliedern aus der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft besetzt werden.
Sehen wir uns den Bioökonomierat an: Hier wird eine Deregulierung der Gentechnik gefordert um ein Geschäftsmodell der chemischen Industrie nach vorne zu bringen. Eine ausgewogene Debatte findet nicht statt, weil kritische Stimmen auch aus der Wissenschaft in diesem Gremium nicht vertreten sind.
Wie kann das Thema Suffizienz stärker in die politische Arbeit eingebracht werden? Die Grünen haben da ja schlechte Erfahrungen gemacht, Stichwort “Veggie-Day”…
Weniger vom Schlechten und mehr vom Guten kann die Lebensqualität steigern. Aber klar: Es ist eine der schwierigsten Herausforderungen, darüber zu reden, dass uns keine Ressource endlos zur Verfügung steht. Es gibt keinen Planeten B. Ein ausschließlich wachstumsgetriebenes Wirtschaftssystem ist also schlicht nicht zukunftsfähig. Ein Ansatzpunkt könnte eine konsequente Ausrichtung auf Kreislaufwirtschaft bei unseren Rohstoffen sein. Und natürlich Müllvermeidung: Die Einführung einer Gebühr auf Plastiktüten im Einzelhandel hat zu einem enormen Rückgang von 5,6 Milliarden Stück pro Jahr geführt. Immer mehr Unverpackt-Läden helfen dabei, Verpackungsmüll zu vermeiden. In Großstädten ist bei jüngeren Leuten das eigene Auto ein Auslaufmodell, weil es einen attraktiven öffentlichen Nahverkehr, bessere Radwege und Carsharing gibt. Und immer mehr Menschen reduzieren ihren Fleischkonsum zum Wohle ihrer Gesundheit, für den Tierschutz oder aus ökologischen Gründen. Um erfolgreiche Ansätze und Strategien für gesellschaftlich attraktive Änderungen von Konsummustern zu entwickeln, ist es sehr wichtig, auch geisteswissenschaftliche Disziplinen in die Gestaltung der Bioökonomie einzubinden.
Sind Importe von Biomasse für Sie eine Option?
Die natürlichen Ressourcen des Planeten sind begrenzt. Für den Klimaschutz bringt es nichts, wenn unsere Autos mit Biodiesel aus Palmöl fahren, für dessen Produktion Regenwälder vernichtet wurden – im Gegenteil. Durch solche Importe ändert sich auch die Biosphäre hier bei uns, wenn auf einmal Nährstoffe wie Phosphor oder Eiweiß etwa bei Soja im großen Stil importiert und über Gülle aus industriellen Großmastbetrieben in die Natur freigesetzt werden.
Wie kann sich die Bevölkerung bei dieser komplexen Zukunftsdebatte einbringen?
Wir als Gesellschaft müssen entscheiden, wie unsere Landschaft um uns herum aussehen soll. Da kann keiner die Verantwortung von sich weisen. Mit meinem Griff ins Supermarktregal bestimme ich auch, wie die Landschaft um mich herum aussieht, und auch die in Südamerika oder Afrika.
Das allein reicht natürlich nicht: Die Fördermittel müssen in Innovationen und umweltfreundliche Bewirtschaftungsformen gelenkt werden, wo wir nicht nur an Symptomen herumdoktern nach dem Motto „weniger vom Falschen“, sondern Probleme grundlegend lösen, also es endlich richtig machen. Wir müssen weg vom chemisch-synthetischen Pflanzenschutz und hin zu einer Landwirtschaft, die die ökologischen Prozesse wirklich in aller Tiefe versteht. Bislang investiert Julia Klöckner doppelt so viele Fördermittel in nachwachsende Rohstoffe wie in den Ökolandbau. Und für Projekte zur Beikrautregulierung ohne Herbizide hat die Bundesregierung in den letzten fünf Jahren insgesamt weniger als eine Million Euro ausgegeben. So wird der Glyphosat-Ausstieg zu Lasten von Umwelt und Menschen verschleppt!
Ich halte nichts von Schuldzuweisungen, nach dem Motto: der Landwirt oder die VerbraucherInnen sind schuld. Es geht um eine Gesamtverantwortlichkeit; wir alle haben die gemeinsame Aufgabe, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass die Probleme gelöst werden. Wir müssen dafür sorgen, dass wirklich nachhaltiges Wirtschaften und Konsum nach ökologisch-sozialen Kriterien attraktiv wird.