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Gastbeitrag zur Bioökonomie in der Frankfurter Rundschau

Die Bioökonomie muss ergänzt werden

von Peter Gerhardt und Jonas Daldrup
10. März 2020

Autoreifen aus Löwenzahn, Cola-Flaschen und Legosteine aus Zuckerrohr – Produkte, die bislang aus Erdöl gemacht wurden, werden in Zukunft vermehrt aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Dahinter steckt die Idee einer mit biologischen Ressourcen gespeisten Wirtschaft, für die sich der Begriff Bioökonomie etabliert hat.

Die Bundesregierung hat dazu Anfang des Jahres eine ressortübergreifende Strategie vorgelegt und stellt auch das aktuelle Wissenschaftsjahr unter das Bioökonomie-Motto. Folgt man den Gedanken unserer Regierung, dann ist Bioökono­mie so etwas wie eine neue Weltformel, die viele Konflikte auflösen kann: Ökologie und Ökonomie werden miteinander versöhnt und am Ende winkt ein gutes Leben für alle.

Wahrscheinlich aber kommt es ganz anders: Dass eine Wirtschaft auf Basis biogener Rohstoffe innerhalb der ökologischen Grenzen funktioniert, ist längst nicht ausgemacht. Die dazu nötige Biomasse fällt nämlich nicht vom Himmel. Schon heute sind die planetaren Grenzen in vielen Bereichen überschritten und stehen zu Recht im Fokus politischer Debatten. Der Klimawandel und die Bedrohung der Artenvielfalt bewegen Millionen Menschen in aller Welt. Zudem haben enthemmte Marktkräfte in den letzten Jahrzehnten einen globalen Verteilungskampf um Ressourcen in Gang gesetzt, dessen Ende noch nicht abzusehen ist und der unsere internationale Ordnung zunehmend destabilisiert.

Für eine verantwortungsvolle Bioökonomie muss es daher gelingen, den Rohstoffverbrauch drastisch zu verringern und die wachsenden sozialen Ungerechtigkeiten zu überwinden. Das setzt veränderte Konsummuster, geschlossene Rohstoff-Kreisläufe sowie eine gerechtere Wirtschaftsordnung voraus. Einfach nur von fossil auf biogen umschalten greift deutlich zu kurz. Bioökonomie kann nur dann einen wichtigen Beitrag zur Lösung unserer globalen Herausforderungen leisten, wenn alle Aspekte unseres Wirtschaftens auf den ökologischen und sozialen Prüfstand kommen.

Bislang lässt die Bundesregierung nicht erkennen, dass sie dazu tatsächlich bereit ist. Im Gegenteil: Die vorliegende Bioökonomie-Strategie nimmt zwar Aspekte der Nachhaltigkeitsdebatte auf, gewährt aber vor allem Vorfahrt für industrielle Land- und Forstwirtschaft. Ausgerechnet die Landnutzungsformen, die uns inklusive Nitrat-Grundwasser und Artensterben in eine tiefe Krise geritten haben, sollen jetzt die Lösung sein. Paradoxer geht es kaum.

Für viele Menschen im globalen Süden ist Bioökonomie ebenfalls keine gute Nachricht. Um den enormen Rohstoffhunger unserer Wirtschaft zu bedienen, wird die Branche massiv auf Importe angewiesen sein – Landraub, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen inklusive. Damit werden die ohnehin ungerechten Handelsbeziehungen weiter zementiert: Schon heute wächst unser Klopapier in Brasilien auf geraubtem indigenen Land.

Bioökonomie ist mehr als Plastikspielzeug aus Zuckermolekülen. Weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit forscht und investiert eine ganze Biotech-Branche: Sogenannte biologische Produktionsorganismen sollen im Labor Grundstoffe für industrielle Verfahren produzieren. Spätestens hier wird klar, dass Bioökonomie und Gentechnik eng miteinander verwandt sind. Da passt es ins Bild, dass die Wirtschaft das Gentechnikgesetz unter Beschuss nimmt und lautstark dessen Aufweichung fordert. Das bisher geltende Vorsorgeprinzip soll über Bord geworfen werden. Im Gegensatz dazu lehnt die klare Mehrheit der bundesdeutschen Öffentlichkeit Agro-Gentechnik ab.

Die Bioökonomie-Debatte eröffnet aber auch Chancen. Zentrale Zukunftsfragen können hier zusammenlaufen: Derzeit werden wichtige Diskussionen, wie wir in Zukunft leben und wirtschaften wollen, völlig unabhängig voneinander geführt. Dies betrifft Klimaschutz, Artenvielfalt und globale Gerechtigkeit, die auch bei uns vor der Haustür anfängt. Darüber hinaus kann die Bioökonomie einen Beitrag dazu leisten, das fossile Zeitalter hinter uns zu lassen.

Es wird darauf ankommen, dass wichtige Weichenstellungen für Politik und Forschung nicht weiterhin überwiegend in industriefreundlichen Fachkreisen gesetzt werden. Die noch junge Bioökonomie-Debatte gehört in die Mitte der Gesellschaft und dabei entstehende Zielkonflikte sollten demokratisch ausgehandelt werden. Es gebührt letztendlich dem Primat der Politik, die heutige profitgetriebene Ökonomie wirksam einzuhegen, auch wenn sie in Zukunft vielleicht immer öfter im Gewand der Bioökonomie daherkommt.

Beim Rendezvous mit der Bioökonomie kommt auch Lego übrigens nicht unschuldig davon: Für sein Bioplastik kooperiert der dänische Spielzeug-Gigant mit dem brasilianischen Konzern Braskem, der nach Recherchen lokaler Medien tief in einen Korruptionsskandal verwickelt ist.

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