Die Bundesregierung hat einen Entwurf für eine Nationale Bioökonomiestrategie zur Kommentierung bereitgestellt. Nachfolgend im Wortlaut die Stellungnahme der unterzeichnenden Umwelt und Entwicklungsverbände oder downloaden Sie das Dokument im Orginal als pdf.
Die unterzeichnenden Organisationen bedanken sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme in Bezug auf den Entwurf für eine Nationale Bioökonomiestrategie.
Der dazu von den federführenden Ministerien (BMBF, BMEL) eingeräumte zweiwöchige Zeitraum innerhalb der Sommerferienzeit ist allerdings in keiner Weise akzeptabel und daher ungeeignet, um solch ein grundsätzliches und umfangreiches Dokument mit der gebotenen Sorgfalt und Detailtiefe zu kommentieren. Deshalb behalten wir uns vor, im weiteren Beratung- sprozess neue Aspekte und vertiefende Argumentationen einzubringen. Dieser Prozess wird ansonsten der Forderung nach einer ausreichenden und frühzeitigen Partizipation der Zivilgesellschaft nicht gerecht und steht im Widerspruch zu den im Entwurf in Aussicht gestellten “transparenten Dialog- und Partizipationsprozessen”
Wir begrüßen zwar ausdrücklich, dass die Bundesregierung in ihrem Entwurf punktuell zentrale Gedanken der Nachhaltigkeitsdebatte aufgegriffen hat. Das Papier mahnt Biodiversitäts- und Klimaschutz, Bodenfruchtbarkeit und Verteilungsgerechtigkeit an und erwähnt darüber hinaus die Bedeutung von Suffizienz und eine mögliche “Umstellung des Wirtschaftssystems”. Im Gegensatz dazu sehen wir diese zentralen Nachhaltigkeitsaspekte unzureichend oder überhaupt nicht in der dargelegten Forschungsförderung sowie in den angestrebten politischen Rahmenbedingungen berücksichtigt, es fehlen konkrete Vorschläge und Maßnahmen.
In Bezug auf die im Entwurf skizzierten Dialog- und Beteiligungsverfahren vermissen wir die Nennung konkreter Instrumente und Maßnahmen zur Umsetzung und obligatorischen Einbindung der Zivilgesellschaft. Dies bezieht sich ausdrücklich auch auf das in Kapitel 4.5. (Sicherstellung politischer Kohärenz) erwähnte Gremium zur Beratung der Bundesregierung.
Eine Analyse und Erforschung der realistisch vorhandenen Biomassepotenziale und einer Obergrenze für Verfügbarkeit und Verbrauch biogener Rohstoffe wird nicht aufgegriffen. Das im Entwurf benannte biologisch-ökologische Wissen sollte in erster Linie zur Bestimmung der planetaren Grenzen genutzt werden. Die einseitige Ausrichtung der Forschung auf die Entwicklung marktgängiger Produkte impliziert eine Verfestigung gegenwärtiger, nicht-nachhaltiger Konsummuster und -niveaus. Letztlich stellt eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs aus Sicht der unterzeich- nenden Verbände eine grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Bioökonomie dar.
Darüber hinaus fehlen konkrete Forschungsziele in Bezug auf alternative Wirtschafts- und Agrarsysteme wie zum Beispiel der Agrarökologie. Insgesamt bleibt offen, ob und wie die Bioökonomie sicherstellen soll, dass der Verlust an Biodiversität ausgerechnet durch die Intensivlandwirtschaft rückgängig gemacht wird, die schon heute für den Rückgang der Artenvielfalt maßgeblich verantwortlich ist (siehe aktuellen Bericht des IPBES). Auch Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen werden sich im Kern nicht durch mehr und effizientere Produktion lösen lassen. Eine Strategie, die in erster Linie einer industriellen Landwirtschaft das Wort redet, wird der notwendigen sozial-ökologischen Transformation nicht gerecht.
Zu Recht werden Waldökosysteme als wichtiges Standbein für eine Rohstoffstrategie ins Feld geführt.Der Schwerpunkt der Aktivitäten sollte hier allerdings nicht in der Forstpflanzenzüchtung, sondern in der konsequenten Umsetzung ökologischer Waldnutzungssysteme liegen, die naturnahe und gerade angesichts des Klimawandels resiliente und leistungsfähige Wälder fördern.
Wir vermissen ein eindeutiges Bekenntnis der Bundesregierung zum Vorsorgeprinzip sowie ein klares Statement gegen AgroGentechnik in der zukünftigen Bioökonomieforschung. Formulierungen wie “technologieoffene Forschung” sowie die Förderung von Genome Editing und synthetischer Biologie lassen das Gegenteil befürchten. Darüber hinaus ist problematisch, dass der Entwurf keine Technikfolgenabschätzung und Risikobewertung zu zentralen bioökonomischen Verfahren vorsieht. Auch wichtige Fragen zum Zugang zu genetischen Ressourcen und einem gerechten Vorteilsausgleich werden nicht thematisiert.
Der vorliegende Entwurf vermeidet eine Positionierung gegen den Import von Biomasse aus Ländern des globalen Südens, aus denen bereits heute ein wesentlicher Teil der biogenen Rohstoffe für unsere Agrar- und Industrieproduktion stammt. Nur so wäre sichergestellt, dass die Rohstoffgewinnung für die Bioökonomie nicht die Lebensgrundlagen der Menschen dort beeinträchtigt oder zerstört.
Die unterzeichnenden Verbände bekräftigen, dass aus ihrer Sicht ein hoher Nachbesserungsbedarf in Bezug auf den vorliegenden Entwurf besteht, damit dieBioökonomiestrategie einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit und den von der Bundesregierung ratifizierten Zielen der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung leisten kann. Wir halten es deshalb für dringend geboten, die für September anvisierte Beschlussfassung im Bundeskabinett zu verschieben und im Sinne einer transparenten Partizipation einen ausreichenden Zeitraum für eine tatsächliche Konsultation von Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft auszuweisen.
Wir sind davon überzeugt, dass eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Bioökonomie ein grundlegender Beitrag für eine zukunftsfähige Wirtschaft sein kann und stehen für weitere Diskussionen gerne zur Verfügung.
Den Artikel von Heike Holdinghausen in der taz findet ihr hier: https://taz.de/Archiv-Suche/!5613301&s=bioökonomie&SuchRahmen=Print/
Beteiligung der Zivilgesellschaft reduziert auf 2 Wochen in der Ferienzeit.Das kann doch nicht wahr sein. Gerade im Feld der Bioökonomie besteht eine der letzten Chancen, ökologische Grundsatzforderungen ernst zu nehmen und den Begriff Nachhaltigkeit nicht nur als Floskel zu verwenden. Artikel und Kommentar in der heutigen taz von Heike Holdinghausen bringen es auf den Punkt.Wenn die Politik nichts mehr neu lernt, muss die Zivilgeselschaft auf die Sprünge helfen.
Jutta Schnütgen-Weber
Zivilgesellschaftlicher Koordinierungskreis Strukturwandel