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Die Zukunft gehört allen!

Die Zukunft gehört allen!

Von Michael Gerhardt und Peter Gerhardt

Die Kultivierung der Abstiegsangst seit der Einführung der SGB II-Gesetze (Hartz 4)  hat viel Schaden an der Demokratie angerichtet.” Diese kluge Analyse stammt nicht etwa von einem renommierten Thinktank, sondern von der Initiative Armutsnetzwerk aus Berlin. Unsere Gesellschaft ist deshalb gut beraten, nicht nur der gerade sehr lauten Klimabewegung zuzuhören, wenn zentrale Zukunftsfragen öffentlich verhandelt werden…

An vielen Stellen unserer Gesellschaft wird derzeit diskutiert, wie wir in Zukunft leben wollen und welchen Lebensstil unser Planet überhaupt noch zulässt. In vermeintlichen Fachkreisen heißt das dann die sozial-ökologische Transformation. Zahlreiche Parteien und Verbände organisieren dazu in schöner Regelmäßigkeit hochkarätig besetzte Konferenzen. Politische Profiteure davon sind vor allem Die Grünen, die in aktuellen Umfragen gar als Kanzlerpartei gehandelt werden. Schüler*innen protestieren als „Fridays For Future“-Bewegung lautstark in unseren Metropolen für mehr Klimaschutz und sorgen damit für zusätzlichen Dampf im Kessel. Alle diese Protagonisten sind gut organisiert, bestens vernetzt und sorgen derzeit in Medien und Öffentlichkeit für größtmögliche Aufmerksamkeit. Eine Bevölkerungsgruppe wird an dieser Zukunftsdiskussion kaum aktiv beteiligt: Menschen aus dem einkommensschwachen Teil der Bevölkerung.

Damit eine gesellschaftliche Weiterentwicklung dauerhaft gelingen kann, sollte diese wichtige Stimme deutlich lauter auch im gesellschaftlichen Mainstream gehört werden. Darum hat sich das denkhausbremen-Projekt „Zukunftslabore von unten” auf die Reise gemacht und selbstorganisierte Initiativen aus dem einkommensschwachen Teil besucht und porträtiert. denkhausbremen ist mit zahlreiche Aktiven ins Gespräch gekommen, die sich selbstbestimmt organisieren und ihre Interessen selbst vertreten. Die Gruppen verfügen zum Teil über jahrzehntelange Erfahrungen im Bereich demokratischer Teilhabe.

Eine besuchte Initiative war die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen, die sich gegen Ausgrenzung und Armut sowie für ein Grundrecht auf Wohnen einsetzt. Diese Initiative versteht sich als Interessenvertretung von ganz unterschiedlichen Menschen, die Wohnungslosigkeit selbst erlebt haben und nun eigenständig aktiv sind. Beim Besuch vor Ort war eine Atmosphäre von tiefer Menschlichkeit und persönlicher Achtsamkeit zu spüren – mit gelebter Toleranz gegenüber anderen Meinungen und als kompetente Expert*innen in eigener Sache.

Ob Arbeitsloseninitiative, Erwerbslosenparlament, Vertreter*in von alleinerziehenden Menschen oder Armutsnetzwerk; überall waren basisdemokratisch organisierte Menschen am Werk. Niemand in diesen Gruppen wurde außerdem von rechtsnationalistischen Rattenfängern instrumentalisiert oder beeinflusst. Ganz im Gegenteil: Die Menschen, mit denen denkhausbremen ins Gespräch gekommen ist, waren zwar finanziell ganz unten angekommen, aber keinesfalls anfällig für rassistische Positionen. Alle besuchten Initiativen hatten ein feines Gespür für Ungerechtigkeit und Ausgrenzung und ließen sich nicht gegen andere Gruppen, wie z.B. Geflüchtete, ausspielen. Obwohl in vielen Fällen durch das neoliberale Raster gefallen, konnten sich die Aktiven offenbar auch leichter eine herrschaftslose und selbstbestimmte Gesellschaft vorstellen, in der nicht jeder Lebensbereich der ökonomischen Verwertbarkeit unterworfen ist.

Alle Interviewten hatten ein solidarisches Menschenbild, das aber auch die Verschiedenheit der einzelnen Person akzeptierte und sogar in eine Stärke umwandelte. Diese Grundhaltung lässt sich am besten mit einem zentralen Satz aus dem Gespräch mit Vertreter*innen des Armutsnetzwerkes umschreiben: „Unsere Stärke ist unsere Unterschiedlichkeit.“ Einige Aktive konnten über jahrzehntelange Erfahrung in den Bereichen Solidarität im Betrieb oder über Erfolge im Arbeitskampf berichten und haben irgendwann entnervt ihre Mitarbeit in Gewerkschaften und Parteien eingestellt. Andere bespielen das bestehende politische System für die Vertretung ihrer Interessen. In einigen Fällen funktionierte es sehr gut, wenn etablierte Organisationen Ressourcen ohne inhaltliche Vorbedingungen zur Verfügung stellten, um Selbstvertretungen unabhängig wachsen zu lassen.

Und die gute Nachricht kommt zum Schluß: All die Talkshow-Experten, linken Feuilletonisten und TVöD 14-Sozialisten müssen Kapitalismuskritik, Gerechtigkeit und Solidarität nicht alleine neu erfinden. Auch die Aktiven aus den “Zukunftslaboren von unten” haben eine präzise Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft. Zeit dafür, um endlich miteinander ins Gespräch zu kommen.

Weitere Informationen zum denkhausbremen-Projekt “Zukunftslabore von unten”:
www.denkhausbremen.de/zukunftslabore-von-unten 

Dieser Text wurde auch in der Graswurzelrevoltion (Ausgabe 441, September 2019) veröffentlicht.