Alle Artikel mit dem Schlagwort: Interview

Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen: “Wir sind keine Stellvertreter, sondern vertreten unsere Interessen selbst.”

Gudrun Steenken und Joachim Barloschky vom Bremer Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen im Gespräch mit denkhausbremen. Gudrun Steenken ist psychologische Psychotherapeutin und war in zahlreichen Leitungsfunktionen in der bremischen evangelischen Kirche tätig. Joachim Barloschky war langjährig in der APO- und Friedensbewegung engagiert und als Quartiersmanager der Großsiedlung Tenever aktiv. Beide gehören zu den Gründungsmitgliedern des Aktionsbündnisses.  Wie wurde das Aktionsbündnis ins Leben gerufen? Gudrun Steenken: Ich habe viele Jahre bei einer evangelischen Beratungsstelle gearbeitet und blickte von meinem Arbeitszimmer auf die Domsheide-Kreuzung, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt in Bremen. Aus dieser Perspektive lernte ich viele Menschen, die dort leben und Flaschen sammeln, vom Sehen kennen. Als ich in Rente ging, öffnete die Liebfrauengemeinde ab Winter 2010 die Kirche für arme und obdachlose Menschen. Das war für eine etablierte Innenstadt-Gemeinde nicht selbstverständlich. Wir Bürgerlichen haben nicht nur Kaffee und Brot verteilt, sondern kamen mit den Menschen ins Gespräch. So lernte ich meine Fensterbekanntschaften richtig kennen. Das war für mich sehr sinnstiftend. Diese „Winterkirche“ war eingebettet in ein gemeinsames Projekt der Bremischen Evangelischen Kirche „Armut und Reichtum in der Stadt“. …

Ottmar Miles-Paul (ISL): Wenn es eine Selbstvertretung behinderter Menschen nicht gab, mussten wir das halt selbst gründen.

Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL) ist die Dachorganisation der Zentren für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen mit Sitz in Kassel. denkhausbremen hat mit dem langjährigen Aktiven und ISL-Projektkoordinator Ottmar Miles-Paul im Februar 2020 vor Ort dieses Gespräch geführt. denkhausbremen: Wie sind Sie zu Ihrem Engagement bei der ISL gekommen? Ottmar Miles-Paul: Das ist schon ungefähr 33 Jahre her. Ich kam aus meiner Arbeiterfamilie in einem schwäbischen Dorf nach Kassel zum Studium. Wir befinden uns Behinderten-politisch im Umfeld Mitte der 80er Jahre: Das „Gepäckwagen-Zeitalter“ bei der Deutschen Bahn, in dem Rollstuhlfahrer*innen im Gepäckabteil des Zuges befördert wurden, hatten wir schon überwunden. In Kassel gab es damals eine (!) Blindenampel, sonst gab es für Sehbehinderte wie mich fast nichts. Eine Selbstvertretung behinderter Menschen gab es schon gar nicht. Es gab nur einen „Betüddel-Verein“ Behinderte und ihre Freunde; das war im Grunde der vom Gesundheitsamt betreute Kaffeetrink-Verein. Ich habe als Seh- und Hörbehinderter schnell gemerkt, dass man aneckt mit seiner Behinderung und die Alltagsgestaltung doch schwer sein kann. Ich habe mich daher mit einigen Mitstudenten mit …

Erika Biehn (VAMV): Ich möchte ein Sandkorn im Getriebe sein!

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) wurde 1967 als „Verband lediger Mütter“ gegründet. Er vertritt heute bundesweit die Interessen von 2,7 Millionen Einelternfamilien, von Familien also, in denen ledige, getrennte, geschiedene oder verwitwete Eltern mit ihren Kindern leben. denkhausbremen hat mit der Vorsitzenden Erika Biehn am 15.4.2019 in Essen dieses Interview geführt. Erika Biehn hat darüber hinaus die Nationale Armutskonferenz (nak) mitgegründet. denkhausbremen: Wie ist Ihr Verband gegründet worden? Erika Biehn: Der Verband ist 1967 in Herrenberg von Luise Schöffel, einer ledigen Mutter, die gleichzeitig Lehrerin und Ratsherrin war, gegründet worden. Die Situation für ledige Mütter war damals noch sehr anders und sie hatten oft gesellschaftlich und rechtlich einen schweren Stand. Das ging teilweise bis zur Wegnahme des Kindes, weil ihnen nicht zugetraut wurde, ihre Kinder eigenständig ordentlich großzuziehen. Das kann natürlich heute auch noch geschehen, aber nicht mehr nur weil die Mutter alleinerziehend und unverheiratet ist. Da hat sich schon einiges geändert. Frau Schöffel hat damals in einer überregionalen Zeitung eine Anzeige geschaltet und über 100 Zuschriften zurückbekommen, mit zum Teil extremen …

Erwerbslosenparlament Meck.-Pomm.: Unsere Arbeit wird anerkannt und geachtet!

denkhausbremen hat Karl-Heinz Figas und Jürgen Kehnscherper vom Erwerbslosenparlament Mecklenburg-Vorpommern am 01.02.2019 in Schwerin besucht und dieses Interview geführt. [Die Fotos zeigen Projektleiter Michael Gerhardt (Mitte) mit Karl-Heinz Figas (links) und Jürgen Kehnscherper (rechts) vor dem Haus der Begegnung in Schwerin.] denkhausbremen: Wie kam es zur Gründung des Erwerbslosenparlamentes? Karl-Heinz Figas: Die Idee kam zu den Zeiten der Montagsdemos gegen Arbeitslosigkeit und Armut Ende der 90er Jahre auf. Einige Betroffene hier aus Mecklenburg-Vorpommern haben dann 1998 die Gründung eines Erwerbslosenparlaments tatsächlich realisiert. Uns gibt es also seit nunmehr 21 Jahren. denkhausbremen: Gibt es etwas Vergleichbares noch an anderer Stelle? Karl-Heinz Figas: Ein Erwerbslosenparlament ist auch in Thüringen entstanden. Das ist aber anders aufgestellt. Wir hier organisieren alles selbst ohne große Hilfe von der Politik. In Thüringen laden die Politiker/innen zum Arbeitslosenparlament ein. Unterstützung bei der Gründung hier in Mecklenburg-Vorpommern gab es u.a von Seiten der Gewerkschaften, von Bündnis 90/Die Grünen und von Wohlfahrtsverbänden. Wir sind sehr froh, dass wir mit Jürgen Kehnscherper auch den KDA (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt) an Bord haben, da der …

Armutsnetzwerk: Unsere Stärke liegt in den Kompetenzen und Kontakten der Aktiven

Das Armutsnetzwerk e.V. ist ein Zusammenschluss von Menschen mit Armutserfahrung sowie Initiativen, Organisationen und Personen, die sich dem Kampf gegen Armut und Ausgrenzung gewidmet haben. Das Armutsnetzwerk ist seit 2015 Kooperationspartner vom Projekt Wohnungslosentreffen, aus dem die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen hervorgegangen ist. denkhausbremen hat am 31.01.2019 Michael Stiefel, Robert Trettin und Werner Franke vom Armutsnetzwerk in Berlin besucht und dieses Gruppeninterview geführt. denkhausbremen: Wie ist es zur Gründung des Armutsnetzwerks gekommen? Armutsnetzwerk: Bei einem Treffen der „Menschen mit Armutserfahrungen“ in Berlin 2008 kam die Idee auf, dass arme Menschen sich irgendwie organisieren und für sich eine Lobby aufbauen sollten. Jürgen Schneider, Dietmar Hamann und andere nahmen das als Initiatoren in die Hand. Die formelle Vereinsgründung erfolgte dann 2012 in Freistatt, Niedersachsen. Hintergrund war auch eine Initiative des EAPN (European Anti-Poverty Network), auf nationaler Ebene Netzwerke armutsbetroffener Menschen in politische Entscheidungen einzubinden. Den großen Wohlfahrtsverbänden wurde schnell signalisiert, dass tatsächlich Betroffene beteiligt werden müssen. Das führte letztlich mit dazu, dass das Armutsnetzwerk heute Sitz und Stimme in der Nationalen Armutskonferenz hat. denkhausbremen: Sie sind also bundesweit …

ALSO Oldenburg: Wenn wir was machen wollen, dann machen wir das auch!

Die ALSO (Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e. V.) ist eine der ältesten unabhängigen Erwerbsloseninitiativen in Deutschland. denkhausbremen hat die Aktiven am 30. Januar 2019 in ihren Räumlichkeiten besucht und dabei dieses Gruppeninterview geführt. denkhausbremen: Wie ist Ihre Initiative entstanden? Gab es einen konkreten Anlass? ALSO: Das Projekt ist 1982 von arbeitslosen Akademikerinnen und Akademikern, viele davon Lehrerinnen und Lehrer, gegründet worden. Sie alle standen vor der Situation, auf absehbare Zeit keine Stelle zu bekommen. Ferner gab es Anfang der 80er Jahre zum ersten Mal eine Massenarbeitslosigkeit im Nachkriegs-Deutschland. Am Anfang war es ein Selbsthilfeprojekt, das sich aber sehr schnell als politisches Projekt begriffen hat. Auch andere Berufsgruppen wurden anschließend angesprochen und im Bezug auf den Umgang mit den Ämtern beraten. Schon sehr früh stellten unsere Aktiven politische Forderung und haben sich mit anderen Arbeitslosen-Initiativen vernetzt. denkhausbremen: Sie können auf eine lange Geschichte zurückblicken. Gab es personelle und inhaltliche Kontinuitäten über die ganze Zeit? ALSO: Wir haben immer noch Aktive, die seit Mitte bis Ende der 80er Jahren dabei sind. Das war für unseren Erfolg schon sehr wichtig. …

Nikolas Migut: Die Öffentlichkeit wird empathisch, wenn sie sich angesprochen fühlt.

Nikolas Migut ist erster Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins StrassenBLUES e.V.. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, Obdachlosen kreative Wege aus der Armut aufzuzeigen. Der Verein will in den gemeinsamen Begegnungen den gesellschaftlichen Status überwinden und sich mit Menschen auf der Straße auf Augenhöhe austauschen. denkhausbremen hat am 09. Januar 2019 dieses Interview mit Nikolas Migut in Hamburg geführt. [Das Beitragsfoto von Katharina Meßmann zeigt Nikolas Migut mit seiner Frau Milena Migut, die 2. Vorsitzende von StrassenBLUES e.V. ist.] denkhausbremen: Was war der Initialzündung zu Ihrem Engagement für obdachlose Menschen? Nikolas Migut: Ich habe als Journalist schon länger über Armut berichtet: Über Altersarmut zum Beispiel, da habe ich einen Film gemacht über Menschen um die 80, bei denen die Rente nicht reicht. Zunächst war das ein Bericht für das ARD-Magazin Panorama, anschließend wurde daraus noch ein Dokumentarfilm und ich war nun im Thema Armut richtig drin. Dann habe ich gemeinsam mit einem Kollegen dem NDR vorgeschlagen, einen Film über Obdachlosigkeit zu drehen. Das haben wir dann in der Obdachloseneinrichtung Bahnhofsmission am Zoo in Berlin auch realisiert. …

Selbstvertretung wohnungsloser Menschen: Sich ein Stück an Würde zurückholen.

Das Koordinierungstreffen der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen tagte vom 22. bis zum 25. Oktober 2018 in Freistatt (Niedersachsen). denkhausbremen war am 24.10.18 vor Ort und hat dieses Gruppeninterview u.a. mit Jürgen (Sulingen), Hanne-Lore (Lüneburg), Marcus (Hannover), Hans (Stuttgart), Stefan (Berlin), Michael (Berlin), Harald (Freistatt), Uwe (Lüneburg) und Christof (Freistatt) geführt. denkhausbremen: Wie ist die Initiative entstanden, was war die Initialzündung? Einigen langjährig Aktiven wie Jürgen Schneider und Stefan Schneider war aufgefallen, dass die Selbstorganisation wohnungsloser Menschen nicht besonders gut aufgestellt war, auf Tagungen wurden immer nur einzelne eingeladen. Es kam die Idee auf, dass man mehr tun könnte. Wir haben dann gesagt, wenn wir nun aus ganz Deutschland wohnungslose Menschen zusammenrufen, dann gucken wir mal, was passiert. Es brauchte dann einige Zeit: Wir mussten Geld organisieren und wir brauchten jemand, der das dann auch durchführt. Nachdem wir die Räumlichkeiten in Freistatt organisiert hatten, haben wir dann an einem gemeinsamen Konzept gebastelt. Im Jahr 2016 gab es dann das erste Wohnungslosentreffen. Die Zielsetzung war damals noch ergebnisoffen. denkhausbremen: Wie ging es dann weiter? Wir hatten die Förderung …

Martin Tertelmann (Denkfabrik): Spaltung unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen!

Martin Tertelmann ist Koordinator der Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande sowie Bereichsleiter für Presse und Medien des Sozialunternehmens Neue Arbeit gGmbH in Stuttgart. Für bundesweites Aufsehen sorgte die Denkfabrik mit der Studie „Gib mir was, was ich wählen kann.“, in der Langzeitarbeitslose selbst langzeitarbeitslose Nichtwähler zu ihren Motiven befragen. denkhausbremen hat am 08. Oktober 2018 das Denkfabrik-Team besucht und dieses Interview geführt. denkhausbremen: Was genau ist die Denkfabrik und wie hat sie sich gegründet? Martin Tertelmann: Ich bin seit acht Jahren beim Sozialunternehmen Neue Arbeit gGMBH für Pressearbeit und Marketing zuständig. Im Jahr 2012 haben wir im Zuge der Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise die großen Kürzungen im Sozialbereich, besonders bei der Arbeitshilfe, erleben müssen. Es wurden von der Regierung die Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose insgesamt um etwa die Hälfte gekürzt. Darüber hinaus wurden die Rahmenbedingungen verschärft. Damals haben wir gesagt, wir wollen nicht nur reagieren, wir wollen anwaltschaftliche Lobbyarbeit für Langzeitarbeitslose auf allen föderalen Ebenen an den Start bringen. Darum haben wir die “Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande” gegründet. Wir machen uns …

Frank Jäger (Tacheles): Selbst Akteur sein und nicht komplett fremdgesteuert leben.

Frank Jäger ist seit 2006 als Sozialberater, Referent und Onlineredakteur für den Wuppertaler Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. tätig. Darüber hinaus ist er seit 2008 zusammen mit Harald Thomé Herausgeber des Leitfadens Alg II/Sozialhilfe von A-Z. denkhausbremen hat die Initiative am 19.09.2018 in Wuppertal besucht und mit Frank Jäger dieses Interview geführt. denkhausbremen: Wie sind Sie zum Tacheles e.V. gekommen und was ist Ihre Aufgabe hier? Frank Jäger: Ich bin 2006 nach Wuppertal gekommen, um Tacheles bei der Sozialberatung und der politischen Arbeit zu unterstützen. Hier bin ich in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Selbstorganisation und Vernetzung für den Verein tätig. Wir sind bundesweit sehr gut vernetzt mit anderen Erwerbslosen-Initiativen und versuchen immer wieder mit gemeinsamen Projekten für uns wichtige Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Aktuell gibt es das Bündnis “AufRecht bestehen!”. Hier sind verschiedene Erwerbslosen-Gruppen und die Nationale Armutskonferenz im Boot und versuchen gemeinsam, die Probleme bei den Unterkunftskosten im Bereich Hartz IV und Sozialhilfe zu skandalisieren. Die Leistungen fürs Wohnen reichen oft nicht zur Deckung der tatsächlichen Mietkosten und die Betroffenen werden dadurch unter …