Gudrun Steenken und Joachim Barloschky vom Bremer Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen im Gespräch mit denkhausbremen. Gudrun Steenken ist psychologische Psychotherapeutin und war in zahlreichen Leitungsfunktionen in der bremischen evangelischen Kirche tätig. Joachim Barloschky war langjährig in der APO- und Friedensbewegung engagiert und als Quartiersmanager der Großsiedlung Tenever aktiv. Beide gehören zu den Gründungsmitgliedern des Aktionsbündnisses.
Wie wurde das Aktionsbündnis ins Leben gerufen?
Gudrun Steenken: Ich habe viele Jahre bei einer evangelischen Beratungsstelle gearbeitet und blickte von meinem Arbeitszimmer auf die Domsheide-Kreuzung, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt in Bremen. Aus dieser Perspektive lernte ich viele Menschen, die dort leben und Flaschen sammeln, vom Sehen kennen. Als ich in Rente ging, öffnete die Liebfrauengemeinde ab Winter 2010 die Kirche für arme und obdachlose Menschen. Das war für eine etablierte Innenstadt-Gemeinde nicht selbstverständlich. Wir Bürgerlichen haben nicht nur Kaffee und Brot verteilt, sondern kamen mit den Menschen ins Gespräch. So lernte ich meine Fensterbekanntschaften richtig kennen. Das war für mich sehr sinnstiftend.
Diese „Winterkirche“ war eingebettet in ein gemeinsames Projekt der Bremischen Evangelischen Kirche „Armut und Reichtum in der Stadt“. Von Beginn an ging es auch darum, öffentliche Veranstaltungen zu Armut, Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit durchzuführen. Betroffene kamen und haben Geschichten erzählt, bei denen man nicht weghören konnte. Das entscheidende Ereignis, um unser Aktionsbündnis auf die Beine zu stellen, war schließlich eine Absage des Bausenators zu unserer Diskussionsveranstaltung “Keine Wohnung für mich, kann das sein?”.
Joachim Barloschky: Die Veranstalterin eröffnete mit den Worten: „Wir wollten heute mit dem Bausenator reden und besprechen, wie wir Menschen in der harten Winterzeit in Ihrer prekären Situation helfen.“ Und im selben Atemzug sagte sie, sie müsse die Veranstaltung auch schon wieder beenden, weil der Bausenator nicht gekommen sei.
Dann sind wir aufgestanden und haben gesagt: “Das lassen wir uns nicht bieten! Jetzt erst recht – wir ziehen diese Veranstaltung durch.” Ob damals schon das Wort Aktionsbündnis gefallen ist, weiß ich nicht mehr. Es wurde eine Arbeitsgruppe gegründet mit dem Ziel den Senator letztendlich zur Rede zu stellen.
Gudrun Steenken: Daraufhin haben wir das Aktionsbündnis bei einer Pressekonferenz ins Leben gerufen. Seit der Gründung Juni 2012 haben wir kein einziges Treffen – außer jetzt während Corona – ausfallen lassen. Wir steuern mittlerweile auf die hundertste Sitzung zu.
Das Aktionsbündnis unterstützt einzelne Menschen und organisiert öffentliche Aktionen. Persönliche Kontakte, wie zum Beispiel zur “Zentralen Fachstelle Wohnen” hier in Bremen, sind für uns enorm wertvoll und ermöglichten uns, vielen zu helfen. Im Grunde ist das Aktionsbündnis auf Personen angewiesen, die auch bei Widerstand die Kraft haben weiterzumachen.
Joachim Barloschky: Das hast du schon sehr schön auf den Punkt gebracht. Den Impuls Menschen helfen zu wollen und sich diesen Menschen zu stellen – sei es nun begründet durch die Bergpredigt oder nicht – ist eigentlich schon das Geheimnis des Aktionsbündnisses. Letztendlich geht es uns darum die gesellschaftlichen Ursachen der Wohnungsnot zu verändern und nicht nur die Symptome zu bekämpfen. Bei unserem Aktionsbündnis melden sich Betroffene selbst zu Wort und erklären, was eine gute Wohnungspolitik ausmacht, wie man an eine Wohnung kommt und wie diese dann aussehen sollte. Ein Obdachloser vom Aktionsbündnis sagte einmal: “Gebt mir Material und Mörtel, dann sanier‘ ich mein Loch. in dem ich hocke, einfach selbst.”
Wie habt ihr es geschafft Betroffene auf Augenhöhe erfolgreich einzubinden?
Gudrun Steenken: Das hat viel mit beeindruckenden Persönlichkeiten zu tun, die herzlich und nicht abgegrenzt auf Menschen zugehen können, die nicht immer unbedingt unseren bürgerlichen Vorstellungen entsprechen. Wir haben eine Atmosphäre etabliert, bei der einfach alle kommen können – so wie sie sind und dabei nicht von oben herab belehrt werden.
Auch die Kirche spielt natürlich eine wichtige Rolle. Es gab immer eine Andacht vor dem Essen mit Psalm 23 und dem Vaterunser. Mir ging das am Anfang immer total gegen den Strich, weil unsere Gäste immer als die Menschen angesprochen wurden, denen es mangelt. Zu meiner Überraschung habe ich aber von ganz vielen gehört, dass ihnen das ritualisierte Gebet in der Kirche vor dem Essen gut tut.
Joachim Barloschky: Indem wir die realen Wohnungsprobleme (Mieterhöhungen, Leerstände, Zunahme Wohnungs- und Obdachlosigkeit, Verdrängung etc.) klar benennen, Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit dazu machen und zugleich praktische Solidarität üben.
Wer bestimmt eure Agenda?
Joachim Barloschky: Alle bestimmen mit, können sich beteiligen und wir nehmen jeden ernst. Bei uns gibt es keinen Vorstand. Stattdessen haben wir jeden Monat ist einmal Plenum. Außerdem gibt es noch Arbeitsgruppen. Uns eint der Kampf um die Durchsetzung des Menschenrechts auf Wohnen für alle. Und diese Wohnungen müssen bezahlbar sein.
Gudrun Steenken: Unser Engagement gilt nicht nur Obdachlosen, sondern auch armen oder psychisch kranken Menschen, die sich nicht stark genug für sich selbst einsetzen können. Psychische Krankheit geht in vielen Fällen mit Armut einher.
Wir engagierten uns immer für Solidarität und konkrete Hilfe und haben uns parallel um die politischen Themen gekümmert. Wie zum Beispiel unser Einsatz für „Housing first“. Bei diesem Konzept muss man nicht zuerst “wohnungsfähig” werden, um ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Das will unser Bundesland Bremen jetzt übrigens umsetzen.
Was sind eure aktuellen Themen?
Joachim Barloschky: Wir stoßen – wie Gudrun das mal so treffend formuliert hat – immer wieder auf den Widerspruch, dass Wohnen zwar ein Menschenrecht ist, aber andererseits eine Ware, mit der Profit gemacht wird. Wohnen muss Bestandteil der Daseinsvorsorge sein. Deshalb unterstützen wir aktiv den Bürgerantrag für sofortigen Mietenstopp, mehr Unterstützung für Wohnungs-/Obdachlose und für Erbbaurecht und längere Laufzeiten der Sozialbindung.
Gudrun Steenken: Darüber hinaus setzen wir uns für Solidarität und einen würdevollen Umgang mit Obdachlosigkeit ein. Ganz akut beschäftigt uns die Auswirkung der Pandemie, von der wohnungslose Menschen besonders hart betroffen sind.
Wer und wie viele kommen zu euch?
Gudrun Steenken: Um einen festen Kern herum sind immer mindestens 30 Leute anwesend und das finde ich schon beeindruckend. Da wir auch konkrete Hilfe bei unserem Plenum vermitteln, kommen auch Menschen die sich für andere einsetzen.
Was waren Erfolge des Aktionsbündnisses?
Joachim Barloschky: Unser Ziel, Wohnungsnot zum Thema in unserer Stadt zu machen, haben wir erreicht. Auch als Folge davon hat die Bremer Politik das “Bündnis für Wohnen” ins Leben gerufen und wir haben mit dafür gesorgt, dass auch Betroffene mit am Tisch sitzen. Auch sozialer Wohnungsbau steht Dank uns wieder auf der politischen Agenda.
Größte Erfolge waren wohl der Kampf der Mieter*innen der Brebau in Findorff. Die 20% Mieterhöhung wurde Dank des Kampfes und der Wut der Mieter*innen, unterstützt vom Beirat Findorff und eben unserem Aktionsbündnis, zurückgenommen auf 8%.
Nicht zu vergessen der lange Kampf der Mieter*innen der Holsteiner Straße und Am Sacksdamm gegen Verdrängung. Und auch die breite Demo „Die Stadt muss allen gehören“ März 2019 war ein großer Erfolg.
Wo seid ihr gescheitert?
Joachim Barloschky: Es gibt immer noch Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit.
Gudrun Steenken: Ich finde es unmöglich, dass es in Bremen immer noch sogenannte Schlichthotels gibt. Hier werden Obdachlose für viel Geld in unmögliche Unterkünfte verbracht, wenn die Notschlafstellen voll sind. Das finde ich ermüdend, zumal falsche Auflagen und Bauvorschriften gemischten Wohnraum weiterhin verhindern. Die aktuellen baurechtlichen Vorschriften ermöglichen es kaum „einfachen“ Wohnraum zu schaffen oder zu erhalten. So könnte viele Menschen überhaupt ein Leben in der eigenen Wohnung ermöglicht werden.
Habt Ihr ein Erfolgsgeheimnis?
Joachim Barloschky: Wir haben uns immer regelmäßig getroffen, sind auf Augenhöhe miteinander und nehmen Probleme und Meinungen ernst. Wir sind keine Stellvertreter, sondern vertreten unsere Interessen gemeinsam. Wir sind ideologisch different, aber wir halten trotzdem zusammen.
Gudrun Steenken: Zudem haben wir unsere Arbeitsweise in Fachtagungen reflektiert und werden von starken Partnern unterstützt, sei es von anderen Organisationen oder Einzelpersonen.
Was denkt ihr über den Zustand unseres Landes?
Joachim Barloschky: Rio Reiser hat es auf den Punkt gebracht: „Der Traum ist aus. Dieses Deutschland ist es nicht“. Wie kann man zufrieden sein in einer Gesellschaft, in der Reichtum und Überfluss und Rüstung ohne Ende stetig zunehmen und Fragen der Ökologie und soziale Gerechtigkeit und Abrüstung völlig runter fallen?
Gudrun Steenken: Mein Gefühl ist es, dass viele Probleme dieser Welt nicht angepackt werden, weil wir in einem profitorientierten Hamsterrad feststecken, das sich scheinbar zwangsläufig immer schneller und weiter dreht. Das finde ich so sinnlos.