Die ALSO (Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e. V.) ist eine der ältesten unabhängigen Erwerbsloseninitiativen in Deutschland. denkhausbremen hat die Aktiven am 30. Januar 2019 in ihren Räumlichkeiten besucht und dabei dieses Gruppeninterview geführt.
denkhausbremen: Wie ist Ihre Initiative entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?
ALSO: Das Projekt ist 1982 von arbeitslosen Akademikerinnen und Akademikern, viele davon Lehrerinnen und Lehrer, gegründet worden. Sie alle standen vor der Situation, auf absehbare Zeit keine Stelle zu bekommen. Ferner gab es Anfang der 80er Jahre zum ersten Mal eine Massenarbeitslosigkeit im Nachkriegs-Deutschland. Am Anfang war es ein Selbsthilfeprojekt, das sich aber sehr schnell als politisches Projekt begriffen hat. Auch andere Berufsgruppen wurden anschließend angesprochen und im Bezug auf den Umgang mit den Ämtern beraten. Schon sehr früh stellten unsere Aktiven politische Forderung und haben sich mit anderen Arbeitslosen-Initiativen vernetzt.
denkhausbremen: Sie können auf eine lange Geschichte zurückblicken. Gab es personelle und inhaltliche Kontinuitäten über die ganze Zeit?
ALSO: Wir haben immer noch Aktive, die seit Mitte bis Ende der 80er Jahren dabei sind. Das war für unseren Erfolg schon sehr wichtig.
denkhausbremen: Hat es Unterstützung von staatlicher Stelle oder von anderen Trägern gegeben?
ALSO: Die Initiative ist ausschließlich von Betroffenen initiiert worden. Bald wurde dann der gemeinnützige Verein gegründet, damit auch Spenden eingesammelt werden konnten. Eine wesentliche Forderung war von Anfang an, dass es in Oldenburg in unabhängiges Arbeitslosenzentrum geben muss. Das haben wir zunächst nur mit Spenden realisiert. 1987 haben wir dann erstmalig eine finanzielle Unterstützung von der Stadt erhalten, die dann bis auf den Zeitraum 2002 bis 2007 weitergelaufen ist. Der Erhalt dieser Mittel ist bis heute immer ein Kampf: Jedes Jahr müssen die Gelder neu beantragt werden. Es gibt immer wieder Stimmen, die sagen: “Die ALSO soll kein Geld kriegen”.
denkhausbremen: Es gab ja auch einige Arbeitsloseninitiativen, die kein Geld vom Staat wollten, weil das korrumpiere…
ALSO: Wir haben immer gesagt, wir nehmen das gerne, weil wir es dringend brauchen. Bisher hat uns niemand vorgeworfen, dass wir uns deswegen verbogen hätten. Wir sind weiterhin ein unabhängiger Verein, der auch keinem Wohlfahrtsverband angehört. Bis heute finanzieren wir uns über Spenden und den Zuschuss durch die Stadt Oldenburg. Seit ein paar Jahren bekommen wir weiterhin eine Förderung für Beratungsinitiativen durch das Land Niedersachsen. Wir richten aber unsere Aktivitäten und Forderungen in keiner Weise nach den Förderungen aus. Wenn wir was machen wollen, dann machen wir das auch!
denkhausbremen: Welche Themen stehen für Sie neben der Beratung im Fokus?
ALSO: Die Förderungen erhalten wir nur für den Bereich der unabhängigen Sozialberatung. Darüber hinaus gibt es bei uns einen sozialpolitischen Bereich, mit dem wir in die Lokalpolitik eingreifen, aber auch nationale und internationale Netzwerkarbeit umsetzen. Im kommunalen Bereich gibt es immer wieder Konflikte, wenn wir in Bereichen tätig werden, wo es um Geldausgaben geht und wir auch unangenehm werden können. Gerade daher gab es vor Ort meist aus der CDU und FDP immer mal wieder Bestrebungen, die Förderung für die ALSO zu beenden. Sie bezeichneten uns auch als “linke Kaderschmiede, die die Erwerbslosen aufhetzen”. Zur Agenda 2010-Zeit hat die SPD diesen Ton dann übernommen und auch kräftig bei uns gekürzt.
denkhausbremen: War die Einführung von Hartz 4 also ein Einschnitt?
ALSO: Es gab viele Auseinandersetzungen danach mit den Jobcentern. Wir sind da von Anfang an radikal rangegangen und haben die Betroffenen in die Büros der Jobcenter begleitet. Wir haben Arbeitslose unterstützt, dass sie dort ihre berechtigten Leistungen erhalten haben. Das hat ganz schön für Unruhe gesorgt. Es gab auch Anzeigen, die dann aber im Sande verliefen. Auf der anderen Seite haben wir uns durch unsere langjährige Arbeit etabliert und nun einen Ruf in Oldenburg erarbeitet, dass man uns nicht einfach den Hahn zudrehen kann. Es gibt schon Leute in der Verwaltung, die uns gerne loswerden wollten. Sie wissen aber nicht wie…
Wir sind aber in Oldenburg auch ein fester Faktor. Einige, die in die Ratspolitik gehen, waren vielleicht mal selbst von Arbeitslosigkeit betroffen oder kennen Bekannte oder Verwandte, die von der ALSO beraten wurden. In der Regel machen die Leute dann sehr gute Erfahrungen mit uns.
denkhausbremen: Gab es bei Ihrer Arbeit inhaltliche Erfolge?
ALSO: Wir haben inhaltlich z.B. durch Aktionen und ein Gegengutachten verhindern können, dass die Unterbringungskosten für Hartz 4-Empfänger/innen, die häufig eh schon zu niedrig angesetzt werden, in Oldenburg noch weiter gekürzt werden. Auf Initiative der ALSO hat die Stadt Oldenburg vor einigen Jahren einen Fonds für Schulmaterial für arme Kinder gegründet. Der ist dann von anderen Kommunen aufgegriffen worden und hat letztlich auch auf der Bundesebene zu einer Gesetzesänderung und entsprechenden zusätzlichen Leistungen bei Hartz IV und im Bereich der Leistungen nach SGB XII geführt.
Die lokalen Grünen haben sich vor einiger Zeit bei uns entschuldigt, dass ihre Partei auf Bundesebene die Agenda 2010 mitbeschlossen hat. Wir haben um 2010 auch das Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum von uns aus ins Leben gerufen, das immer noch besteht. Da sind unter anderem neben den Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und den Kirchen auch Umweltverbände wie der BUND, Naturfreunde sowie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V.(AbL) vertreten. Da haben wir gemeinsam ein Positionspapier zur Erhöhung des ALG2-Regelsatzes, das wir dann auch bei einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht eingebracht haben. Das ist klassische Lobbyarbeit in die Gesellschaft hinein. Wir bleiben hier aber demütig und überschätzen unseren Einfluß nicht.
denkhausbremen: Geht es auch noch über Lobbyarbeit hinaus?
ALSO: Ja, die zweite Ebene ist, dass wir immer wieder versuchen, uns als Betroffene selbst zu organisieren. Darüber entsteht eine echte Stärke. Neu in den letzten Jahren ist tatsächlich der Bereich Ökologie und die Kooperation mit Umweltverbänden dazu gekommen. Wir arbeiten z.B. seit 2009 mit den Milchbauern zusammen in Aktionen um das Thema Naturschutz, Nahrungsmittelproduktion und Lebensmittelpreise. Wir wollen gemeinsam die Argumentationskette “wir müssen billig für die Discounter produzieren, weil viele Kunden/innen so wenig Geld haben” durchbrechen. Wenn vernünftige Lebensmittel mehr kosten, muss auch der Regelsatz erhöht werden. Wir bereiten in diesem Zusammenhang gerade eine regionale “Wir haben es satt”-Demo gegen die Zustände in der Agrarindustrie gemeinsam mit Umweltverbänden vor.
Darüber hinaus haben wir eine Aktion gegen die Massentierhaltung von Schweinen und die schlechten Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern hier in der Region gemeinsam mit Gewerkschaften und Kirchen realisiert. Daraus hat sich dann unser weiteres Arbeitsfeld migrantische Arbeitskräfte, die zum Teil massiv ausgebeutet werden, entwickelt. Hier bieten wir auch ein Sozialberatung an und vernetzen uns mit Migranten/innen-Organisationen.
denkhausbremen: Ist Ihr Modell einer lokalen Arbeitsloseninitiative, die deutlich über eine Selbsthilfe hinausgeht und auch bundesweit in Netzwerken politisch sichtbar wird, für andere Städte und Regionen übertragbar?
ALSO: Es gibt auch ja auch schon in anderen Städten durchaus einige vergleichbare Initiativen, wie z.B. Tacheles e.V. in Wuppertal, den Sie ja auch bereits interviewt haben. Wichtig ist, dass man als Gruppe eigene Räume zur Verfügung hat. Dann muss man sich vernetzen und von anderen Initiativen lernen. Weiter wichtig für den Erfolg ist ein kontinuierliches Beratungsangebot. Das entscheidende ist aber, dass Menschen anfangen sich zu organisieren und Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Das entwickelt eine Gegenmacht zu den herrschenden Strukturen.
denkhausbremen: Wie sehen Sie den derzeitigen gesellschaftlichen Trend? In die Debatte werden durchaus neue Aspekte, wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen, eingebracht…
ALSO: Selbst in der SPD entsteht derzeit eine Debatte zur Lebensleistungsrente, die natürlich ein “Fake” ist. 10 Prozent mehr auf eine mit statistischen Tricks heruntergerechnete Grundsicherung hat mit würdevoller Teilhabe nichts zu tun. In unseren Kreisen werden Modelle wie das bedingungslose Grundeinkommen schon seit 25 Jahren diskutiert, das hieß früher Existenzgeld. Bei solchen Modellen muss man genau hinschauen: Wenn es keine Verteilungsgerechtigkeit dabei gibt, dann ändert es im Grunde genommen nicht viel.
denkhausbremen: Wie beurteilen Sie den Zustand der Demokratie in Deutschland?
ALSO: Die Politik beschließt derzeit ganz viel “als ob”-Gesetze: Sie tun so, als ob sie was tun. Es wird z.B. eine Mietpreisbremse eingeführt, die keine Mietpreise bremst. Dazu gibt es dann noch einen Rechtsstaat. Hier warten wir mit Spannung auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den Sanktionen bei Hartz 4-Bezieher/innen. Wenn der Logik, dass man ein Existenzminimum nicht sanktionieren darf, nicht gefolgt wird, dann wird es auch mit dem Glauben an den funktionierenden Rechtsstaat schwierig.