Frank Robra-Marburg von der Organisation EXPA im Gespräch mit denkhausbremen. EXPA ist die Abkürzung für Experten Partnerschaft.
Titelfoto: Frank Robra-Marburg bei einer der EXPA-Aktionen „Freitagsesel“ für Aufklärung über psychische Erkrankungen gegen Stigmatisierung und für aufsuchende Genesungsbegleitung.
denkhausbremen: Wie ist die EXPA entstanden?
Frank Robra-Marburg: Die EXPA wurde 2002 aus einem Seminar heraus gegründet. Lange waren wir eine Arbeitsgruppe, erst 2013 wurden wir zum Verein. Wir nennen uns auch EXpert*innen PArtnerschaft im Trialog. Hier kommen Betroffene, Angehörige und Mitarbeiter des psychiatrischen Hilfesystems zum gleichberechtigten Austausch zusammen, um einander zuzuhören und voneinander zu lernen. Wir setzen uns für eine ganzheitliche Sichtweise psychischer Erkrankungen ein. Aus unserer Sicht sind diese eher Ausdruck von Ohnmacht und Hilflosigkeit in schwierigen kritischen Lebenssituationen. Von Anfang an ging es darum Erfahrungen einzubringen von Menschen, die schwere psychische Krisen durchlebt und meist psychiatrische Dienste genutzt haben. Heute ist die EXPA ein unabhängiger Kooperationspartner für Institutionen des psychiatrischen Versorgungssystems. Wir bilden ein Netzwerk mit Mitgliedern und Aktiven in Bremen und Bremerhaven. Man könnte uns als Interessenvertretung beschreiben, denn Menschen mit psychischen Erkrankungen, haben häufig nicht die Kraft und den Hintergrund sich selbst zu organisieren. Wir akzeptieren uns gegenseitig auch mit unseren Schwächen, gehen rücksichtsvoll miteinander um und versuchen gemeinsam was zu bewegen.
Wie kamst Du zur EXPA?
Auf die EXPA bin ich durch einen sogenannten EX-IN Kurs gestoßen (Eperienced Involvement – Experte durch Erfahrung) und damit auch auf eine ganz andere Welt, in der Menschen offener und freier waren. Da habe ich mich selbst neu entdeckt. Als Angehöriger habe ich gesehen, wo das psychiatrische Hilfesystem versagt. Und in der EXPA eine Gruppe gefunden, die dort etwas verändern will. Uns geht es um eine Psychiatrie auf Augenhöhe. Menschen die gescheitert sind in unserer Leistungsgesellschaft sollen dabei lernen, zu sich selbst zu finden. Ein nächster großer Schritt ist es dann, dass Menschen mit psychischen Problemen politisch aktiv werden und Initiative aus eigener Kraft entwickeln.
Was können wir uns unter einem Ex-In Kurs vorstellen?
EX-IN ist eine Qualifizierungsmaßnahme, vom Arbeitsamt anerkannt. Da kommen Menschen zusammen, die in irgendeiner Weise eine psychische Krisenerfahrung hatten, mit unterschiedlichsten Ausprägungen. Man wird ausgebildeter Peer. Gemeinsam redet man über das Erlebte. Als Erstes stellt man fest: Ich bin nicht alleine. Einsamkeit ist nämlich ein häufiger Grund, warum man überhaupt in Krisen fällt. Gleichzeitig lernt man von sich zu erzählen und offen darüber reden, was vielleicht bei einem Psychologen erstmal schwerfällt. Bei so einem Kurs entwickelt man seine eigene Lebensgeschichte. Durch die Erzählungen der Anderen zieht man Parallelen und kann sich dadurch selbst vielleicht ein Stück besser verstehen. Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen heißt das. Die Teilnehmer reflektieren und strukturieren ihre Erfahrungen. In den Kursen wird niemandem etwas aufgezwungen, es wird nichts bewertet. Vorurteile und Bewertungen sind wohl ursprünglich überlebenswichtig aber können in diesen Zusammenhängen schädlich sein und Beziehung zerstören. Mit der Zeit entwickelt man ein Portfolio der eigenen Qualitäten und lernt diese einzusetzen. Was liegt mir? Was mache ich gerne? Wenn auch die erforderlichen Praktika absolviert sind, hat man sich sein Zertifikat als Genesungsbegleiter bzw. Genesungsbegleiterin wirklich verdient.
Was genau ist die Aufgabe eines Genesungsbegleiters?
Genesungsbegleiterinnen sind Fürsprecher, etwa wie Anwälte und professionelle Freunde. Sie versuchen den Betroffenen, so gut es geht in jeder Situation einzubeziehen, nach Einverständnis zu fragen und zu verstehen. Durch ihre Erfahrung als Peers können Genesungsbegleiter sich gut in Menschen einfühlen, die selbst Erschütterungen, Krisen erleben. Sie wollen zuhören, da sein, den Druck nehmen, etwas zu leisten, was gerade nicht geht, was sonst selbstverständlich ist. Medikamente lösen die konkreten Probleme nicht. Es hilft eher mit jemandem zu reden der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Genesungsbegleiter können die Situation häufig besser einordnen als Betroffene, auch mal bei einem Ämtergang begleiten. Sie können authentisch von ihrer eigenen Krise erzählen und davon was für ihre Genesung hilfreich war. Das wirkt Aufklärend und hilft gegen Stigmatisierung In England kann man einen Genesungsbegleiter vom Hausarzt verschrieben bekommen. Dort ist das ein vollwertiger bezahlter Beruf – was eine geniale Lösung ist.
Die Idee ist, dass Genesungsbegleiter den Betroffenen bei Beschwerden als Fürsprecher Erfahrung, Hilfe und Unterstützung anbieten. In einem aufsuchenden multiprofessionellen Team aus Ärzten, Pflegern, Therapeuten können Genesungsbegleiter helfen, Vertrauen zwischen Team, Betroffenen und Angehörigen aufzubauen. In erster Linie arbeiten Genesungsbegleiter in psychiatrischen Kliniken und Wohnheimen. Wir wünschen uns Genesungsbegleiter zudem überall da, wo es darum geht, die perspektive Betroffener einzubringen und für mehr Verständnis zu werben, bei Polizei, Arbeitsamt, Sozialen Diensten, Altenpflege, Bürgerhäusern.
Euer Engagement provoziert sicher auch Widerstand…
Ja! Der Widerstand bei der Einstellung von Genesungsbegleitern kommt dabei eher von Geschäftsführungen. Es geht um Geld und das eigene Geschäftsmodell. Beim Pflegepersonal gibt es anfangs Bedenken vor der neuen Konkurrenz. Für die Krankenkassen entstehen zusätzliche Kosten. Die Idee ist aber, dass Betroffene, eher wieder zu einem möglichst autonomen Leben zurückfinden. Dadurch entstehen auf Dauer insgesamt weniger Kosten. Durch das wachsende Verständnis nimmt außerdem in den Teams der Stress ab. Das ist derzeit ein ganz langsamer Lernprozess, zu dem wir unseren Teil beitragen. In letzter Zeit bringt die Bremer Politik mit Modellprojekten zur Einstellung von Genesungsbegleitern und für aufsuchende Behandlung einiges in Gang. Wir haben uns mit dafür engagiert, dass trotz großer Widerstände nicht renovierbare Stationen geschlossen wurden. Moderne Stationen sollen eher wie Wohngemeinschaften aufgebaut sein, um die Hierarchie und “das von oben herab behandelt werden” aufzulösen. Das spiegelt sich auch in der Architektur wieder, die kaum Freiräume vorsieht.
Sind Wohngemeinschaften also eine gute Alternative?
Von Heimen mit hohem Betreuungsschlüssel sollte die Rückkehr ins selbständige Leben über betreutes Wohnen in WGs oder alleine gefördert werden. Auch hier ist es so, dass eine Institution erst mal ihr eigenes Interesse verteidigt. Betreutes Wohnen baut ja darauf auf, Geld zu verdienen. Viele Patienten will man gar nicht loswerden, das spielt im Unterbewusstsein schon mit rein, weil Institutionen auch daran interessiert sind finanziell zu überleben. Das zeigt aber , dass man das System der Finanzierung dringend mal hinterfragen muss. Der Schritt zu einem Leben völlig ohne Betreuung ist sehr schwer. Da fehlen noch flexiblere Konzepte wie die aufsuchende Genesungsbegleitung wie wir sie fordern.
Wie setzt Ihr Eure Agenda in der Praxis um?
Wir machen Veranstaltungen zur seelischen Gesundheit. Wir bieten Vorträge an. Genesungsbegleiter machen bei partizipativer Forschung mit. Wir haben zum Beispiel mit einer Klinik in Bremerhaven zusammengearbeitet. Die Pflegeleiterin vor Ort hat die Chancen dieser Idee gesehen und zusammen mit ihrem Team Genesungsbegleiter zum ersten Mal in Bremen durchgesetzt. Mittlerweile sind die EX-IN Kurse, in denen die Genesungsbegleiter ausgebildet werden, bundesweit bekannt. Aktive der EXPA sind auch im Landesverband der Psychiatrieerfahrenen engagiert, einige bei den Angehörigen. Bei vielen Beteiligten, Ärzten, Therapeuten, Pflegern, Politikern gibt es auch schon lange Bestrebungen zu Veränderungen. Sie wollen von der Perspektive der Betroffenen lernen und kooperieren mit uns. Bei den Gremien des Bremer psychiatrischen Hilfesystems ist daher grundsätzlich Beteiligung gewünscht. Das Hilfesystem soll sich an den Bedürfnissen Betroffener und Angehöriger ausrichten. Das ist Kundenorientierung und Verbraucherschutz. Einige von uns waren in einer Arbeitsgruppe des Psychiatrieausschusses. Gemeinsam mit Vertretern von Politik und professionellen Institutionen haben wir Qualitätsziele für die Psychiatrie aufgestellt, die vom Senat verabschiedet wurden und nun in ganz Bremen gültig sind. Dabei geht es auch um die Implementierung der multiprofessionellen Teams mit Genesungsbegleitern. Die EXPA dient uns hier dem Informationsaustausch und der Abstimmung für unser Vorgehen.
Ist eine psychische Erkrankung ein Armutsrisiko?
Ja, auf jeden Fall. Psychische Erkrankungen gibt es auch bei finanziell abgesicherten Menschen. Da kenne ich einige Beispiele. Durch eine schwere Krise kann jede*r in Armut geraten. In der Gruppe armer oder von Armut bedrohter findet man deshalb häufiger Menschen, die unter psychischen Erkrankungen leiden. Bis zur Obdachlosigkeit ist es oft nur ein ganz kleiner Schritt. Da gibt es zu viele Lücken im Versorgungssystem. Obdachlose können häufig ihren Alltag nicht mehr alleine regeln, obgleich die eigene Autonomie einen Menschen ausmacht. Weil man seine Freiheit ungerne aufgibt, nehmen Menschen keine Hilfe an, auch wenn sie bereits auf der Straße leben und betteln müssen.
Beschäftigt ihr euch mit Inklusion?
Das ist genau unsere grundlegende Idee von Genesung. Was wir versuchen ist vor allem Selbstermächtigung, um Inklusion leben zu können. Viele Menschen sind ja bereit Obdachlosigkeit für sich zu akzeptieren, weil sie auch einen gewissen Stolz haben so zu leben. Von außen denkt man sich „oh wie schrecklich“ aber es ist unglaublich schwierig jemanden dazu zu bringen sein Leben zu ändern, um wieder an der Gesellschaft teilhaben zu können. Zum Thema Inklusion würde ich mir z.B. wünschen, dass Bedingungen in Betrieben geschaffen werden, die es ermöglichen auch psychisch Kranke oder Behinderte in einen Berufsalltag zu integrieren. Ich denke unsere Aktionen gegen Stigma für Aufklärung über psychische Erkrankungen dienen der Inklusion. Es geht um Verständnis und Akzeptanz für Menschen die irgendwie anders sind.
Gibt es Versuche die EXPA zu übertragen?
Die Ausbildung zum Genesungsbegleiter und wird vom EX-IN Verein koordiniert. Der ist bundesweit organisiert und es bilden sich zunehmend regionale Gruppen. In Hamburg gab es schon sehr früh den Verein „Irre menschlich“. In Bremen organisieren wir die Bremer EX-IN Bewegung. Stichworte sind Weiterentwicklung der Ausbildung, Arbeitsmöglichkeiten auch in neuartigen Angeboten, Abgrenzung zu anderen Berufen, Tarife, Akzeptanz generell.
Wie beurteilst du den Zustand unserer Republik?
Psychische Erkrankungen nehmen seit Jahren deutlich zunehmen. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Es wäre gut wenn es darüber mehr Erkenntnisse gäbe. Möglicherweise trägt Werbung zu oft unerfüllbaren Wünschen bei, hohe Erwartungshaltungen können zu Leistungsdruck und Scheitern führen. Es gibt hier aber viele demokratische Handlungsmöglichkeiten etwas zu verändern, sehr viele Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Allerdings gerade im psychiatrischen Bereich könnten es deutlich mehr sein. Die Gesundheitspolitik greift die Probleme in der Psychiatrie auf. Auf Bundesebene gibt es einen Psychiatriedialog. In Bremen gibt es grob geschätzt etwa 20 Gremien. Überall ist die Beteiligung Betroffener und Angehöriger gefragt. Auch ohne Psychiatrieerfahrung kann man einiges beitragen. Wir freuen uns über jeden, der mitmachen will.
Woran liegt der schlechte Zustand in vielen Psychiatrien?
Es werden viele Erwartungen an uns gerichtet, denen wir nicht immer gerecht werden können, manchmal auch nur für eine kurze Zeit. Das passiert bei kleinen oder größeren Krisen, die zu einem Leben dazu gehören. Vor allem Psychiater sehen psychische Erkrankungen noch zu sehr als Krankheiten des Gehirns und verordnen zu viele Medikamente. Besser ist es den Menschen erst mal zu verstehen, was mit ihm passiert ist. Dazu fehlt ganz häufig einfach die Zeit und Kapazität. Es fehlen auch die richtigen Hilfen zur richtigen Zeit und solange wie notwendig.
Sind psychische Krankheiten weiterhin ein Tabu-Thema?
Ja, das hat unterschiedliche Gründe. Auf den Vorschlag zum Psychologen zu gehen, reagieren die meisten Menschen immer noch mit: Ich bin doch nicht verrückt! Aber wenn man wirklich offen mit den Leuten redet, scheint doch immer viel Interesse da zu sein. Viele Menschen erzählen dann oft von einem Bekannten mit ähnlichen Problemen. So gibt es das gesellschaftliche Bild der Männerwelt, in der man grillen und Bier trinken muss um ein richtiger Mann zu sein. In so einer Welt stößt man auf viel auf Widerstand mit dem Thema. Viele Menschen haben auch Angst, weil psychische Krankheiten in der Öffentlichkeit oft mit Gewaltverbrechen verbunden sind – ein Zusammenhang der übrigens statistisch nicht belegt ist. Es bleibt aber festzuhalten, dass bundesweit psychische Erkrankungen zunehmen. Deshalb gilt: Raus aus dem Tabu, rein in die Medien, gegen Stigmatisierung, für eine Psychiatrie auf Augenhöhe!