Frederike Oberheim ist Studentin der Psychologie und Mitorganisatorin und Aktivistin der Fridays for Future Proteste in Bremen. Im Frühjahr 2020 hat der Landesfrauenausschuss sie zur Bremer Frau des Jahres gewählt. (Foto: Ana RodrÃguez)
denkhausbremen: Seitdem das Coronavirus die Welt in Atem hält, sind andere Themen in der öffentlichen Wahrnehmung weiter nach hinten gerückt. Schwierige Zeiten für die Klimabewegung, oder?
Frederike Oberheim: Natürlich ist es für uns, wie für alle anderen wahrscheinlich auch, gerade nicht leicht. Wir mussten uns erstmal neu orientieren. Plötzlich nicht mehr demonstrieren zu können, war schon ein komisches Gefühl. Gleichzeitig gingen die Gespräche mit Politiker*innen aber weiter. Plötzlich sitzen wir mit am Tisch, weil wir als Gäste in die Enquete-Kommission Klimaschutz eingeladen wurden. Da bleibt es also spannend. Und so langsam werden Demonstrationen und andere Aktionen auch wieder möglich. Wir kommen also auf jeden Fall zurück!
Können Sie der jetzigen Lage auch etwas Positives abgewinnen?
Ich denke, dass wir aus dieser Situation einiges lernen können: Die Pandemie hat gezeigt, dass die Politik bereit ist, auf die Wissenschaft zu hören. Sie ist bereit, die wirtschaftlichen Interessen Einzelner hinter das Gemeinwohl unserer Gesellschaft zu stellen. Und – was wohl besonders wichtig ist – auch die Gesellschaft ist bereit sich zu verändern und auf eine Krise angemessen zu reagieren. Genau das brauchen wir auch in der Klimakrise!
Bleiben wir bei der Klimakrise. Was wünschen Sie sich für Bremen, wenn es um die Nutzung fossiler Rohstoffe geht?
Ganz bildhaft gesprochen, dass auf allen Dächern Solarpaneele zu sehen sind. Dass auf der begrenzten Fläche, die wir in Bremen haben, Windkraftanlagen stehen und die drei Kohlekraftwerke abgeschaltet sind. Und natürlich, dass die Industrie dementsprechend angepasst ist und vor allem die Stahlwerke, aber auch andere Industriehotspots klimaneutral laufen.
Den Fridays for Future wurde immer wieder vorgeworfen, dass ihre Forderungen nach mehr Klimaschutz zu allgemein wären. Welche konkreten Maßnahmen erscheinen Ihnen insgesamt am dringlichsten?
Zunächst auf jeden Fall der Kohleausstieg. Wir fordern, dass wir in Bremen sobald wie möglich, spätestens bis 2020, raus sind aus der Kohle. Bundesweit dann bis 2025. Dabei muss der Atomausstieg unangetastet bleiben. Und Kohleausstieg heißt für uns nicht, dass wir in Bremen auf Gaskraftwerke umsteigen, wie es gelegentlich in der Diskussion ist. Jetzige fossile Energieträger müssen wirklich nachhaltig und langfristig durch erneuerbare Energien ersetzt werden.
Im Gespräch ist auch, dass die alten Kohlekraftwerke mit Holz statt Kohle befeuert werden. Dadurch würden die Wälder, die ohnehin unter einem großen Nutzungsdruck stehen, allerdings noch stärker belastet.
Natürlich ist Holz ein nachwachsender Rohstoff. Aber wenn man Wind, Sonne und die Gezeiten zur Energiegewinnung nutzen kann, dann ist das wesentlich nachhaltiger. Einfach weil man nichts verfeuern muss. Das macht dann eigentlich keinen Sinn. Denn dabei wird ja trotzdem CO2 erzeugt, einfach weil es ein Verbrennungsprozess ist.
Welche anderen Bereiche sind Ihnen wichtig, abgesehen vom Kohleausstieg?
Die andere Seite des Kohleausstiegs ist natürlich der Ausbau erneuerbarer Energien. Wir fordern, dass Bremen bis 2030 zu 100 % erneuerbar sein soll.
Haben Sie eine Idee, wie das gehen kann?
Die dezentrale Nutzung der Solarenergie muss massiv ausgebaut werden. In Bremen gibt es unheimlich viele Dächer, die aktuell noch nicht mit Photovoltaik-Anlagen bestückt sind. Außerdem ist ja ein Klimavorbehalt beschlossen worden, um alle Vorhaben der Bremer Politik auf ihre Klimawirksamkeit zu prüfen. Daneben gibt es einen wirtschaftlichen Vorbehalt aufgrund der Schuldenbremse. An den Entscheidungen in diesem Spannungsfeld lässt sich gut ablesen, wie viel der Klimaschutz der Landesregierung tatsächlich wert ist.
Außerdem ist natürlich unglaublich wichtig, dass der Industriesektor transformiert wird. Gerade Stahl werden wir – anders als vielleicht die Automobilindustrie – auch in Zukunft noch brauchen, allein um Windräder zu bauen. Wir wollen ein ernsthaftes Pilotprojekt zur klimaneutralen Produktion hier in Bremen, wie es aktuell z.B. bei ArcelorMittal in Hamburg läuft.
Die Nutzung von grünem Wasserstoff, der mit Hilfe erneuerbarer Energien erzeugt wird und der ein wichtiger Baustein für klimaneutrale Stahlwerke sein könnte, soll auch im Land Bremen vorangetrieben werden. Etwa im Gewerbegebiet Lune Delta in Bremerhaven oder mit der neulich verkündeten Zusammenarbeit zwischen SWB und den Bremer Stahlwerken.
Es gibt Forschungsprojekte in diese Richtung. Im Gegensatz zu großangelegten Projekten für klimaneutralen Stahl, die in Schweden oder Österreich laufen, wird aus unserer Sicht hier aber bei Weitem nicht genug investiert.
Ein großer Haken beim grünen Wasserstoff ist der Wirkungsgrad – ein Großteil der ursprünglichen elektrischen Energie geht bei der Herstellung von Wasserstoff in der Elektrolyse verloren. Wenn wir ganze Industriezweige damit klimaneutral gestalten wollen könnte das am Ende zu neuen Importen führen. Der grüne Wasserstoff würde am Ende nicht in Bremen, sondern etwa in nordafrikanischen Ländern produziert – Stichwort „Desertec“.
Wir haben es häufig mit systemischen Fragen zu tun. Wie verankert Bremen noch in der Kolonialzeit ist, zeigt sich ja auch bei den Bremer Kohlekraftwerken. Die Steinkohle, die hier verbrannt wird, kommt aus Kolumbien und der Kohleabbau dort wird immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen angeprangert.
Wir müssen die Wirtschaft wirklich neu denken, um die Ungerechtigkeiten zwischen dem globalen Norden und Süden aufzulösen. Statt wirtschaftlich schwächere Länder weiter auszubeuten und hierzulande grüne Nation zu spielen sollten wir lieber zusehen, wie wir ihnen einen Ausgleich verschaffen und sie dabei unterstützen können, selbst klimaneutral zu werden.
Ähnlich sieht es mit der sogenannten Bioökonomie aus. Wenn wir die Wirtschaft in Deutschland von fossilen auf biogene Rohstoffe umstellen, dann kann das zu vermehrten Importen von Biomasse aus dem globalen Süden führen. Für den Konsum von Bioplastik hier in Bremen wird der Anbau von Zuckerrohr in Brasilien intensiviert, für Papier- statt Plastiktüten dehnen sich Eukalyptusplantagen weiter aus. Auf Kosten der lokalen Bevölkerung und von Natur und Landschaft.
Ja, man muss die globalen Zusammenhänge bedenken. Selbst wenn wir in Bremen den perfekten klimaneutralen Stahl produzieren, dann kann sich Daimler immer noch den billigen Stahl aus China holen, wo er mit Kohle produziert wird. So etwas könnten wir mit Hilfe einer CO2-Bepreisung auf Im- und Exporte regulieren.
Außerdem brauchen wir mehr Druck, um gemeinsam beim Klimaschutz voranzukommen. Ein Problem ist die fehlende Verbindlichkeit beim internationalen Klimaschutz. An das Pariser Klimaabkommen kann sich ein Land halten oder eben nicht. Zum Stand der Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) müssen die Staaten ab und zu einen Bericht einreichen. Ziemlich spannend, was da alles drinsteht. Da schreiben sich die Regierungen quasi selber einen Bericht darüber, wie nachhaltig sie waren.
Das selbstgesteckte Ziel von 40 % CO2-Minderung bis 2020 wird Bremen nicht einmal zur Hälfte erreichen. Was wollen Sie tun, damit der Koalitionsvertrag der aktuellen Landesregierung mit seinen Zielen zu Klimaschutz und autofreier Innenstadt nicht einfach ein schönes Papier bleibt?
Zunächst mal haben wir am Koalitionsvertrag in Sachen Klimaschutz einiges auszusetzen. Uns fehlt dort jegliche Festlegung auf verbindliche Zahlen, und die autofreie Innenstadt mag zur Verkehrssicherheit beitragen – für die Klimaneutralität bringt das praktisch nichts. Wenn man ein paar Straßen nun für autofrei erklärt, dann ist das doch eher eine etwas schönere Fußgängerzone. Das Andere ist eben der ungeklärte Kohleausstieg. Es ist unklar, wann und wie der genau vollzogen werden soll und niemand weiß, was mit dem Kohlekraftwerk in Bremen-Farge passiert, das nun einem US-amerikanischen Investor gehört.
Damit beim Klimaschutz wirklich was passiert werden wir daher versuchen, den Druck aufrecht zu erhalten. Zeigen, dass wir nicht zufrieden damit sind, wie es gerade läuft. Dass wir hier in Zukunft nicht mehr länger leben können, wenn es so weitergeht. Unser Engagement betrachten wir eher als eine Art Marathon.
Wie stehen Sie zur Frage nach sozialer Gerechtigkeit? Die Klimakrise ist ja alles andere als gerecht – benachteiligte Menschen sind oftmals viel stärker betroffen als Wohlhabende. Auf der anderen Seite müssen auch die Maßnahmen zum Klimaschutz sozial ausgewogen sein. Wie ist denn das Verhältnis der Fridays for Future zu den Beschäftigten von Unternehmen wie den Stahlwerken oder Mercedes-Benz, die von einer tiefgreifenden sozial-ökologischen Transformation womöglich besonders stark betroffen wären?
Letztes Jahr haben wir die Bremer Stahlwerke besucht und hatten gute Gespräche mit den Azubis und einigen Mitarbeiter*innen. Vielen dort ist die Bedeutung des Themas klar und sie zeigen eine große Offenheit und Kooperationsbereitschaft. Ich habe den Eindruck, der Frust herrscht eher auf den Vorstandsetagen. Natürlich gibt es dort und auch in den Unternehmen insgesamt Leute, die uns nicht leiden können. Aber ich glaube, dass gehört auch dazu.
Uns ist wichtig, dass wir nicht mit den Vorständen verhandeln wollen. Lieber sprechen wir direkt mit den Arbeiter*innen darüber, wie die notwendige Veränderung laufen kann. Denn wenn wir jetzt nichts tun, dann werden Veränderungen später durch die Krise erzwungen. Und das wird nicht mehr so bequem laufen, dass wir uns in Ruhe überlegen können, was wir nun mit den Arbeitsplätzen machen.
Nach dem Motto: There are no jobs on a dead planet. Das klingt plausibel. Überhaupt ist mein Eindruck, Sie bekommen jede Menge Sympathien, weil Sie jung sind und eine gute, plausible Geschichte haben. Sie kämpfen für Ihre Zukunft…
Im Endeffekt ist unser Anliegen, unsere Geschichte doch sehr gemäßigt. Es geht um etwas Grundsätzliches und sehr Verständliches – darum, dass wir auch in Zukunft eine bewohnbare und lebenswerte Erde haben wollen. Mit dieser Botschaft erreichen wir viele Menschen aus der breiten Masse.
Aber noch was zum Thema Solidarität: Natürlich wollen wir nicht, dass die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen auf Kosten der Bürger*innen und Arbeitnehmer*innen gehen. Neben der CO2-Steuer gibt es noch viele andere Klimaschutz-Instrumente, die zugleich einen Umverteilungseffekt haben und so helfen können, die Schere zwischen Arm und Reich ein Stück zu schließen. Wir müssen faire Möglichkeiten des Übergangs schaffen. Natürlich lassen sich soziale Ungerechtigkeiten nicht allein durch Klimaschutz lösen. Da ginge es noch um andere Sachen, z. B. um die Erbschaftssteuer. Aber das ist jetzt nicht unser Slogan.
Wir sollten jedenfalls aufpassen, dass die Menschen und der Klimaschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Wir dürfen uns nicht hinhalten lassen durch den Hinweis, dass politische Maßnahmen sozial und innerhalb des ökonomisch Machbaren bleiben müssten. Sondern wir müssen einfach die Grenzen des ökonomisch Machbaren neu denken und uns nicht mehr allein an Wachstum und Profit orientieren. Das gilt für die Zeit nach dieser Pandemie nur umso mehr.