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Europäischer Grüner Deal – keine Mondlandung

Europäischer Grüner Deal und EU-Bioökonomie-Strategie drücken sich vor notwendigen Systemveränderungen

Von Jana Otten und Peter Gerhardt 

In Zeiten der sich verschärfenden globalen Krisen sind neue Antworten gefragt. Die Weltgemeinschaft ist zunehmend gespalten in Arm und Reich, die Umweltzerstörung – und mit ihr der Verlust der Artenvielfalt – schreitet voran und die Erde heizt sich weiter auf. Der sogenannte “europäische Grüne Deal” liefert eine Antwort auf die Klimakrise – zumindest soweit man denn den vollmundigen Versprechen der EU-Kommission glauben schenken mag. Aber ist dieser europäische Grüne Deal wirklich ein Grund zum Aufatmen? Werden die lauten Rufe von Klimabewegung und -Wissenschaft nach einer radikalen Emissionssenkung endlich in politische Konzepte übersetzt? Und welche Rolle spielt dabei die Bioökonomie, die ebenfalls einen ökologisch-sozialen Umbau der Wirtschaft in Aussicht stellt?

Vor ungefähr einem Dreivierteljahr, am 11. Dezember 2019, wurde der europäische Grüne Deal mit großen Worten in Brüssel vorgestellt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen überschlug sich dabei mit Superlativen und sprach von einem historischen Moment, der mit der Mondlandung gleichzusetzen sei. So könnten die Klimakrise bekämpft, Wohlstand gesichert und Arbeitsplätze geschaffen werden, hieß es damals. Das klingt noch heute fast zu schön um wahr zu sein, denn gerade die Empfehlungen des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) “rasche, weitreichende und nie dagewesene Veränderungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft” einzuleiten, waren bislang in schöner Regelmäßigkeit an den politisch Mächtigen abgeperlt.

Der europäische Grüne Deal kann nun als grober Fahrplan für die kommenden Jahrzehnte verstanden werden, der die wichtigsten Maßnahmen auf den Weg in eine nachhaltige Zukunft skizziert. Im Kern steht das Versprechen, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Um dies zu erreichen soll kein Stein auf dem anderen bleiben und die gesamte EU-Wirtschaft umgestaltet, kreislauforientierter und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Von “tief greifenden Veränderungen” [1] in den Bereichen Energie, Industrie, Bau, Verkehr, Lebensmittel und Landwirtschaft ist die Rede. Wie das im Detail funktionieren soll – darüber schweigt sich der europäische Grüne Deal leider aus.

Weit von der Realität entfernt scheint auch das Versprechen auf eine europäische Gesellschaft, die fair und wohlhabend sein wird und niemanden zurücklässt. Die Bevölkerungsschichten, Unternehmen und Regionen, die von Struktur- und Klimawandel am ehesten betroffen sein werden, sollen finanziell und mit “grünen” Arbeitsplätzen unterstützt werden. Das klingt in den Ohren der vielen EU-Bürger*innen, die am Rande der Gesellschaft leben, wie Hohn. Immerhin ist jede fünfte Person in der EU derzeit von sozialer Ausgrenzung und Armut betroffen und daran hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre auch kaum etwas geändert [2].

Im Nachgang wurden einige der im europäischen Grünen Deal angekündigten Maßnahmen durch Gesetze oder Strategien konkretisiert. Im europäischen Klimagesetz ist jetzt verbindlich festgehalten, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber dem Niveau von 1990 halbiert werden und bis Mitte des Jahrhunderts gegen Null laufen. Die Umweltverbände reagierten allerdings mit Ernüchterung: Zum einen fehle es dem Klimagesetz an konkreten Maßnahmen und Zwischenzielen. Zum anderen wäre eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen von mindestens 65 % bis 2030 notwendig gewesen, um das globale 1,5 Grad-Ziel zu erreichen und damit dem Klimawandel Einhalt zu gewähren. Damit wäre Europa als eine der reichsten Regionen und wesentlicher Verursacher von Treibhausgasen auch seiner globalen Verantwortung gerecht geworden. Nach Ansicht der Verbände ist der Klimaschutz mal wieder auf die lange Bank geschoben worden.

Etwa ein Jahr vor Veröffentlichung des europäischen Grünen Deals legte die EU-Kommission bereits eine weitere Zukunftsvision auf den Tisch: Die europäische Bioökonomie-Strategie. Dort skizzierte die Kommission eine zukünftige Kreislaufwirtschaft, die mit nachwachsenden Rohstoffen gespeist wird und allen Menschen ein gutes Leben verspricht. Auch der Grüne Deal nimmt explizit Bezug auf die Bioökonomie, etwa wenn es um Kreislaufwirtschaft, die Verwertung von Lebensmittelabfällen oder thematische Schwerpunkte des EU-Forschungsprogramms “Horizon Europe” geht. Auch die Forstwirtschaft wird in den Fokus gerückt. Demnach sollen Aufforstung, Schutz und Wiederherstellung von Wäldern den Klimaschutz vorantreiben und eine Bioökonomie innerhalb der ökologischen Grenzen fördern. Hier ist eine gehörige Portion Skepsis angezeigt, ob das tatsächlich gelingt und die Lobby der industriellen Forstwirtschaft den notwendigen Waldumbau nicht doch wieder ausbremst.

Schöne Vokabeln wie “Grün” und “Bio” werden allerdings für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Zukunft nicht ausreichen. Sowohl der europäische Grüne Deal als auch die Bioökonomie-Strategie bleiben in sich widersprüchlich und adressieren grundsätzliche Fehlentwicklungen unseres Wirtschaftens nicht:

Kaum geklärt ist zum Beispiel die Frage, woher die Rohstoffe für die Wirtschaft der Zukunft kommen sollen. Das betrifft sowohl die Biomasse für eine zukünftige Bioökonomie als auch Rohstoffe wie Kobalt, Lithium, Silber oder Stahl für den digitalen Wandel oder klimaneutrale Technologien. Stillschweigend wird in Europa bislang eingepreist, dass der Globale Süden uns weiterhin mit den notwendigen Ressourcen versorgt. Damit würden auch koloniale Strukturen, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung weiterhin festgeschrieben.

Ohnehin ergeben sich zahlreiche ungeklärte Flächenkonkurrenzen. Die in Zusammenhang mit dem europäischen Grünen Deal veröffentlichte Biodiversitätsstrategie gibt beispielsweise vor, dass 2030 mindestens 30 % der europäischen Landfläche unter Schutz stehen sollen. Im Kontrast dazu stehen die Flächenansprüche der Bioökonomie, für die folglich weniger potenzielle Wald- und Ackerflächen zur Verfügung stehen, um Biomasse zu produzieren.

Die EU schweigt sich weiterhin darüber aus, dass der europäische Konsum deutlich heruntergeschraubt werden muss, wenn wir die ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten ernst nehmen. Laut einer vom Global Footprint Network und WWF veröffentlichten Studie bräuchten wir derzeit 2,8 Planeten, wenn alle Menschen weltweit auf dem hohen Konsumniveau der EU-Bürger*innen leben würden. Leider wagt sich die EU-Kommission nicht an das kontroverse Thema Suffizienz heran und vertraut stattdessen auf Marktinstrumente wie CO2-Bepreisung oder Kennzeichnung von nachhaltigen Produkten. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, waren die jedoch bislang nicht in der Lage, unseren Heißhunger auf Konsum zu stillen.

Die Bioökonomie und den europäischen Grünen Deal eint, dass beide am Paradigma des Wirtschaftswachstums festhalten. So „grün“ und nachhaltig der europäische Grüne Deal auch klingt, letztlich ist er vor allem eins: Das Märchen einer nachhaltigen EU-Wirtschaft, in der das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt ist. Ursula von der Leyen höchstpersönlich bezeichnete den europäischen Grünen Deal als eine “neue Wachstumsstrategie” [3]. Paradoxerweise hält die EU vorbehaltlos an dem Wirtschaftssystem fest, das die Umweltzerstörung massiv vorangetrieben und uns erst in die Klimakrise geführt hat.

Ob europäischer Grüner Deal oder EU-Bioökonomie-Strategie: Beide sind nicht viel mehr als vage Versprechen auf eine nachhaltige Zukunft. Wenn diese Konzepte mehr sein sollen als Öko-Beruhigungspillen, dann sollten die politisch Verantwortlichen in Europa endlich begreifen, dass es mit ein wenig grüner Rhetorik hier und da nicht getan sein wird. Solange Agrarindustrie, Autolobby und Energieriesen den Takt bei Landwirtschafts- oder Industriepolitik vorgeben, lohnt es sich, für eine bessere Zukunft auf die Straße zu gehen. Nichtsdestotrotz ist die eigentliche Leistung des europäischen Grünen Deals die Anerkennung, dass wir mit einem “business as usual” vor die Wand fahren. Bislang sind das allerdings nur warme Worte, denen konkrete Taten folgen müssen – und zwar schnell.

Fußnoten:

[1] Europäische Kommission (2019): Der europäische Grüne Deal. Stand: 11.12.2019. Brüssel.

[2] https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/10163472/3-16102019-CP-DE.pdf/a978ac50-fde2-f7ff-0dec-9c2e85561795

[3] https://ec.europa.eu/germany/news/20191211-green-deal_de

Titelbild: Markus Spiske