Alle Artikel in: Interview

Nina Treu: Die Degrowth-Bewegung ist fast noch gar nicht institutionalisiert

Nina Treu ist Mitbegründerin des Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig und koordiniert aktuell die Degrowth-Sommerschule 2018.  denkhausbremen: Die Umweltverbände blicken auf eine lange Verbandsgeschichte zurück und haben sich zunehmend professionalisiert. Wie schätzt Du die Umweltbewegung ein? Nina Treu: Aus meiner Sicht sind die großen Umweltverbände immer noch relevante Player. Sie setzen u.a. noch zahlreiche Dinge im Bereich Umweltbildung- und -gesetzgebung um, die man nicht unterschätzen sollte. Sie sollten jedoch darauf achten, dass sie nicht zu systemimmanent und reformerisch werden. Sie sollten Nachhaltigkeit nicht nur ökologisch sehen, sondern Soziales und Ökologisches zusammen denken. Wie sieht das denn in der Postwachstumsbewegung aus? Gibt es hier nicht auch schon Machtstrukturen und Alphatiere? Zunächst ist die Frage, von wem man spricht. Die Umweltverbände lassen sich leicht einrahmen, bei der Degrowth-Bewegung ist das viel schwieriger. Einzelpersonen, die unter dem Label Postwachstum auftreten, kann man daher nicht mit offiziellen Sprecher*innen von Umweltverbänden vergleichen. Meiner Meinung ist die Degrowth-Bewegung fast noch gar nicht institutionalisiert. Das Konzeptwerk macht zwar viele Projekte im Bereich Degrowth. Die Ausgestaltung der Projekte verläuft jedoch sehr basisdemokratisch. Die …

Harald Welzer: Wen interessiert denn der rechte Rand?

denkhausbremen: Was halten Sie vom Paradigma des stetigen Wachstums? Harald Welzer: Nichts. Unsere Probleme, die jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts überdeutlich werden, bestehen im Wesentlichen in der Übernutzung der vorhandenen Ressourcen infolge eines fortgesetzten Wirtschaftswachstums. Das geht auf die expansive Kultur eines kleinen Teils der Welt zurück. Wir sind in einer globalen Situation, die dem Wachstumspfad folgt – und die Folgen sind erwartbar dramatisch. Welche Maßnahmen sollten konkret implementiert werden, um der von Ihnen geschilderten Entwicklung Rechnung zu tragen? Implementieren wird man das nicht können. Es geht um einen politischen und kulturellen Wandel – da kann man jetzt nicht einfach Maßnahmen aus dem Hut zaubern. Wir benötigen dringend politische Rahmenbedingungen, die nachhaltiges Wirtschaften fördern. Es muss aufhören, immer noch mehr Konsumartikel an den Mann und an die Frau zu bringen und weitere Infrastrukturen bereitzustellen sowie höhere Energieaufwände zu produzieren. Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen müssten von staatlicher Seite Vorteile genießen. Konkret benötigen wir eine steuer- und ordnungspolitische Neuausrichtung sowie eine nachhaltige öffentliche Beschaffung. Für mich gibt es z.B. keine Rechtfertigung, warum die Automobilindustrie ein Tempolimit auf …

Norbert Reuter: Es geht nicht nur um höhere Einkommen

Norbert Reuter im Gespräch mit denkhausbremen über das Verhältnis der Gewerkschaften zur Wachstumskritik, die Notwendigkeit von Arbeitszeitverkürzungen und was er sich von den Umweltverbänden wünschen würde. Er arbeitet im Bundesvorstand von ver.di und ist dort Leiter der Grundsatzabteilung Tarifpolitik. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Norbert Reuter kritisch mit Wachstumsfragen und der Entwicklung von Industriegesellschaften. Von 2011 bis 2013 war er sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages.  

Helmut Holzapfel: Neue Mobilität – Mit weniger mehr erreichen

Helmut Holzapfel ist Stadtplaner, Bauingenieur und Verkehrswissenschaftler. Seine Schwerpunkte sind integrierte Verkehrsplanung sowie Mobilitätsentwicklung. Er leitet das Zentrum für Mobilitätskultur in Kassel. Zuvor war er u.a. Professor für Verkehrsplanung in Kassel. denkhausbremen: Sie haben sich als Wissenschaftler mit den Themen Mobilität und Verkehrsplanung auseinandergesetzt. Was ist Ihre Vision für die Mobilität der Zukunft? Helmut Holzapfel: Wir müssen eine andere Mobilitätskultur entwickeln, die wir gerade in den urbanen Zentren gut umsetzen können. Mobilität bedeutet ja nicht ,,weit herum zu fahren“, sondern dass wir räumliche Ziele erreichen wollen. Das Konzept einer „Stadt der kurzen Wege“ setzt das planerisch gut um. Eine neue Mobilitätskultur bringt ein anderes Verhalten mit sich – also zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs zu sein statt mit dem Auto. In Städten wie Amsterdam ist das schon heute gut möglich. Der öffentliche Raum bekommt dort sofort wieder einen höheren Stellenwert, mit vielen positiven Auswirkungen. Auf der anderen Seite wird der motorisierte Verkehr natürlich abgewertet. Meine Vision wäre es, in einer Stadt der kurzen Wege den Autoverkehr auf maximal die Hälfte zu verringern und gleichzeitig …

Christoph Heinrich: Strategisch wichtige Unternehmen transformieren

Christoph Heinrich ist als Vorstand des WWF Deutschland zuständig für die Naturschutzarbeit. Zuvor leitete er beim NABU Bundesverband bis 2004 den Fachbereich Naturschutz und Umweltpolitik. Der Diplom-Geograph ist seit seiner Jugend ehrenamtlich im Naturschutz tätig und Mitglied zahlreicher Naturschutzorganisationen. denkhausbremen: Wie sind Sie zum Naturschutz gekommen? Christoph Heinrich: Ich bin im Grunde genommen seit meiner Kindheit im Naturschutz aktiv. Schon im Alter von zehn Jahren bin ich in den NABU eingetreten, bin dann immer dabei geblieben und hab das zu meinem Beruf gemacht. Wie haben Sie die 1970er Jahre erlebt? Der Club of Rome brachte die Studie “Grenzen des Wachstums” heraus. War das in der damaligen Naturschutzszene ein Thema? Absolut! Aber beim damaligen Vorgänger des NABU, dem deutschen Bund für Vogelschutz, gab es auch Irritationen. Aus Sicht der Naturschützer gab es jetzt eine Bewegung, die aus Umweltschutz was Politisches machen wollte. Viele traditionelle Naturschützer wollten sich jedoch aus der Politik lieber raushalten. Gleichwohl war das Thema interessant, neu und aufregend. Man konnte Avantgarde sein, wenn man über Naturschutz und Ökosysteme sprach. Zusätzlich sorgte der Ölschock …

Olaf Tschimpke: Planetarische Grenzen sind entscheidend

Olaf Tschimpke im Gespräch mit Denkhaus Bremen. Er ist Geograph und seit Juni 2003 Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Darüber hinaus ist er stellvertretender Vorsitzender des Rates für nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. Denkhaus Bremen: Sie führen den NABU seit 2003 als Präsident und sind schon seit Jahrzehnten bei diesem Umweltverband aktiv. Lassen Sie uns mit einem Rückblick beginnen. Bereits 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht „Grenzen des Wachstums“. Wurde dieses Thema damals auch im NABU diskutiert? Olaf Tschimpke: 1972 war ich selbst noch nicht hauptamtlich für den NABU tätig. Im Ehrenamt hat das zu der Zeit keine Rolle gespielt, außer im privaten Umfeld derjenigen, die sich dafür interessiert haben. Der NABU hieß noch Deutscher Bund für Vogelschutz und die breitere Themenaufstellung ist erst später erfolgt. Diese geschah unter dem Einfluss der wachsenden Natur- und Umweltschutzbewegung und der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte, die von den „Grenzen des Wachstums“ mit angestoßen wurde. Es hat bei uns dann noch eine ganze Weile gebraucht, sich als klassischer Naturschutzverband auch für umwelt- und gesellschaftspolitische Fragen zu öffnen. In der …

Niko Paech: An Postwachstum führt kein Weg vorbei

Niko Paech im Gespräch mit Denkhaus Bremen über Postwachtumsökonomie und wie sich die Umweltverbände für die Zukunft aufstellen sollten. Er war bis 2016 Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Universität Oldenburg. Seit 2016 lehrt er im Rahmen des Masterstudiengangs Plurale Ökonomik an der Universität Siegen. Niko Paech hat ab 2016 das Konzept der Postwachstumsökonomie in die Diskussion eingeführt. Er skizziert darin ein Wirtschaftssystem, das nicht auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist, sondern sich durch Wachstumsrücknahme auszeichnet.  

Adelheid Biesecker: Erwerbsarbeit verkürzen

Adelheid Biesecker im Gespräch mit Denkhaus Bremen über vorsorgendes Wirtschaften, Care Ökonomie, Grenzen des Wachstums und die Rolle der Umweltverbände bei einer Transformation. Adelheid Biesecker war Professorin für Ökonomische Theorie an der Universität Bremen und gehörte der Enquête-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages an. Sie ist Mitglied im Netzwerk „Vorsorgendes Wirtschaften“, in der Vereinigung für Ökologische Ökonomie (VÖÖ) und gehört dem Wissenschaftlichen Beirat von attac Deutschland an.  

Angelika Zahrnt: Initiativen vor Ort auf den Weg bringen

Angelika Zahrnt im Gespräch mit Denkhaus Bremen. Sie ist Wirtschaftswissenschaftlerin und war langjährige Vorsitzende und ist heutige Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Denkhaus Bremen: Die wachstumskritische Debatte gewinnt an Fahrt. Wie beurteilen Sie die aktuelle Diskussion zu diesem Thema? Angelika Zahrnt: Ich beurteile sie vor dem Hintergrund, dass mich die wachstumskritische Debatte seit meinem Studium in den 60iger Jahren beschäftigt. Wie man dort weiterkommt, ist für mich deshalb auch eine persönliche Frage. Meine Schlussfolgerung ist, dass es nicht mehr ausreicht, die alten Debatten weiterzuführen. Anstatt über alternative Indikatoren zur Wohlstandsmessung und grundsätzliche Fehler am Wachstumskurs zu diskutieren, ist aus meiner Sicht eine Debatte über eine größere Unabhängigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft vom Wachstum notwendig. Zu dieser Frage, wie eine Wirtschaft und Gesellschaft in einer Postwachstumszeit aussehen könnte, habe ich 2010 zusammen mit Irmi Seidl das Buch „Postwachstumsgesellschaft – Konzepte für die Zukunft“ herausgegeben. Wir und andere AutorInnen haben darin u.a. überlegt, wie z.B. unsere sozialen Sicherungssysteme für Gesundheit und Alter verändert werden müssten. Solche Wachstumstreiber machen es so schwierig, vom Wachstumskurs …