Alle Artikel in: Soziale Gerechtigkeit

Svenja Schulze: “Ich kann die Kohlekraftwerke nicht einfach abschalten”

denkhausbremen-Diskussion mit Bundesumweltministerin Bei der Podiumsdiskussion von denkhausbremen mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze kam die ganze Bandbreite der aktuellen Umwelt- und Klimadiskussion auf dem Tisch. Auf der Veranstaltung, die von Bürgermeister Carsten Sieling mit einem Grußwort eröffnet wurde, machte die Ministerin deutlich, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit nur zusammen funktionieren. Frau Schulze betonte, das die SPD entgegen landläufiger Meinung das Thema Umweltschutz mit dem damaligen Kanzler Willy Brandt auf die politische Agenda gesetzt habe. Peter Gerhardt von denkhausbremen erklärte, dass die Transformation in eine klimafreundliche Bioökonomie nur gelingen kann, wenn die nötigen Veränderungen sozial gerecht geschultert werden. Wissenschaftlerin Sybille Bauriedl von der Universität Flensburg bemängelte an der aktuellen Klimadebatte, dass Positivbeispiele wie Klimacamps von Jugendlichen unterbelichtet blieben, und dass die Klagen über reiche SUV-Fahrer uns nicht weiter bringen. Dem widersprach der Philosoph und Schriftsteller Leander Scholz. Er betonte, dass die Armen definitiv eine bessere Klimabilanz hätten, als der finanziell bessergestellte Teil der Bevölkerung. Scholz forderte statt dessen einen „ökologischen Kommunitarismus“ ein. Dass die Klimadebatte facettenreich ist und hier verschiedene Wahrheiten parallel existieren, machten die Fragen der über …

Erika Biehn (VAMV): Ich möchte ein Sandkorn im Getriebe sein!

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) wurde 1967 als „Verband lediger Mütter“ gegründet. Er vertritt heute bundesweit die Interessen von 2,7 Millionen Einelternfamilien, von Familien also, in denen ledige, getrennte, geschiedene oder verwitwete Eltern mit ihren Kindern leben. denkhausbremen hat mit der Vorsitzenden Erika Biehn am 15.4.2019 in Essen dieses Interview geführt. Erika Biehn hat darüber hinaus die Nationale Armutskonferenz (nak) mitgegründet. denkhausbremen: Wie ist Ihr Verband gegründet worden? Erika Biehn: Der Verband ist 1967 in Herrenberg von Luise Schöffel, einer ledigen Mutter, die gleichzeitig Lehrerin und Ratsherrin war, gegründet worden. Die Situation für ledige Mütter war damals noch sehr anders und sie hatten oft gesellschaftlich und rechtlich einen schweren Stand. Das ging teilweise bis zur Wegnahme des Kindes, weil ihnen nicht zugetraut wurde, ihre Kinder eigenständig ordentlich großzuziehen. Das kann natürlich heute auch noch geschehen, aber nicht mehr nur weil die Mutter alleinerziehend und unverheiratet ist. Da hat sich schon einiges geändert. Frau Schöffel hat damals in einer überregionalen Zeitung eine Anzeige geschaltet und über 100 Zuschriften zurückbekommen, mit zum Teil extremen …

Nikolas Migut: Die Öffentlichkeit wird empathisch, wenn sie sich angesprochen fühlt.

Nikolas Migut ist erster Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins StrassenBLUES e.V.. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, Obdachlosen kreative Wege aus der Armut aufzuzeigen. Der Verein will in den gemeinsamen Begegnungen den gesellschaftlichen Status überwinden und sich mit Menschen auf der Straße auf Augenhöhe austauschen. denkhausbremen hat am 09. Januar 2019 dieses Interview mit Nikolas Migut in Hamburg geführt. [Das Beitragsfoto von Katharina Meßmann zeigt Nikolas Migut mit seiner Frau Milena Migut, die 2. Vorsitzende von StrassenBLUES e.V. ist.] denkhausbremen: Was war der Initialzündung zu Ihrem Engagement für obdachlose Menschen? Nikolas Migut: Ich habe als Journalist schon länger über Armut berichtet: Über Altersarmut zum Beispiel, da habe ich einen Film gemacht über Menschen um die 80, bei denen die Rente nicht reicht. Zunächst war das ein Bericht für das ARD-Magazin Panorama, anschließend wurde daraus noch ein Dokumentarfilm und ich war nun im Thema Armut richtig drin. Dann habe ich gemeinsam mit einem Kollegen dem NDR vorgeschlagen, einen Film über Obdachlosigkeit zu drehen. Das haben wir dann in der Obdachloseneinrichtung Bahnhofsmission am Zoo in Berlin auch realisiert. …

Selbstvertretung wohnungsloser Menschen: Sich ein Stück an Würde zurückholen.

Das Koordinierungstreffen der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen tagte vom 22. bis zum 25. Oktober 2018 in Freistatt (Niedersachsen). denkhausbremen war am 24.10.18 vor Ort und hat dieses Gruppeninterview u.a. mit Jürgen (Sulingen), Hanne-Lore (Lüneburg), Marcus (Hannover), Hans (Stuttgart), Stefan (Berlin), Michael (Berlin), Harald (Freistatt), Uwe (Lüneburg) und Christof (Freistatt) geführt. denkhausbremen: Wie ist die Initiative entstanden, was war die Initialzündung? Einigen langjährig Aktiven wie Jürgen Schneider und Stefan Schneider war aufgefallen, dass die Selbstorganisation wohnungsloser Menschen nicht besonders gut aufgestellt war, auf Tagungen wurden immer nur einzelne eingeladen. Es kam die Idee auf, dass man mehr tun könnte. Wir haben dann gesagt, wenn wir nun aus ganz Deutschland wohnungslose Menschen zusammenrufen, dann gucken wir mal, was passiert. Es brauchte dann einige Zeit: Wir mussten Geld organisieren und wir brauchten jemand, der das dann auch durchführt. Nachdem wir die Räumlichkeiten in Freistatt organisiert hatten, haben wir dann an einem gemeinsamen Konzept gebastelt. Im Jahr 2016 gab es dann das erste Wohnungslosentreffen. Die Zielsetzung war damals noch ergebnisoffen. denkhausbremen: Wie ging es dann weiter? Wir hatten die Förderung …

Martin Tertelmann (Denkfabrik): Spaltung unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen!

Martin Tertelmann ist Koordinator der Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande sowie Bereichsleiter für Presse und Medien des Sozialunternehmens Neue Arbeit gGmbH in Stuttgart. Für bundesweites Aufsehen sorgte die Denkfabrik mit der Studie „Gib mir was, was ich wählen kann.“, in der Langzeitarbeitslose selbst langzeitarbeitslose Nichtwähler zu ihren Motiven befragen. denkhausbremen hat am 08. Oktober 2018 das Denkfabrik-Team besucht und dieses Interview geführt. denkhausbremen: Was genau ist die Denkfabrik und wie hat sie sich gegründet? Martin Tertelmann: Ich bin seit acht Jahren beim Sozialunternehmen Neue Arbeit gGMBH für Pressearbeit und Marketing zuständig. Im Jahr 2012 haben wir im Zuge der Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise die großen Kürzungen im Sozialbereich, besonders bei der Arbeitshilfe, erleben müssen. Es wurden von der Regierung die Eingliederungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose insgesamt um etwa die Hälfte gekürzt. Darüber hinaus wurden die Rahmenbedingungen verschärft. Damals haben wir gesagt, wir wollen nicht nur reagieren, wir wollen anwaltschaftliche Lobbyarbeit für Langzeitarbeitslose auf allen föderalen Ebenen an den Start bringen. Darum haben wir die “Denkfabrik – Forum für Menschen am Rande” gegründet. Wir machen uns …

Frank Jäger (Tacheles): Selbst Akteur sein und nicht komplett fremdgesteuert leben.

Frank Jäger ist seit 2006 als Sozialberater, Referent und Onlineredakteur für den Wuppertaler Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. tätig. Darüber hinaus ist er seit 2008 zusammen mit Harald Thomé Herausgeber des Leitfadens Alg II/Sozialhilfe von A-Z. denkhausbremen hat die Initiative am 19.09.2018 in Wuppertal besucht und mit Frank Jäger dieses Interview geführt. denkhausbremen: Wie sind Sie zum Tacheles e.V. gekommen und was ist Ihre Aufgabe hier? Frank Jäger: Ich bin 2006 nach Wuppertal gekommen, um Tacheles bei der Sozialberatung und der politischen Arbeit zu unterstützen. Hier bin ich in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Selbstorganisation und Vernetzung für den Verein tätig. Wir sind bundesweit sehr gut vernetzt mit anderen Erwerbslosen-Initiativen und versuchen immer wieder mit gemeinsamen Projekten für uns wichtige Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Aktuell gibt es das Bündnis “AufRecht bestehen!”. Hier sind verschiedene Erwerbslosen-Gruppen und die Nationale Armutskonferenz im Boot und versuchen gemeinsam, die Probleme bei den Unterkunftskosten im Bereich Hartz IV und Sozialhilfe zu skandalisieren. Die Leistungen fürs Wohnen reichen oft nicht zur Deckung der tatsächlichen Mietkosten und die Betroffenen werden dadurch unter …

Sprachlosigkeit zwischen den Milieus überwinden

Die Demokratien in den europäischen Industriestaaten stehen im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung vor zahlreichen Herausforderungen. Die Gesellschaft driftet von der materiellen Leistungskraft immer weiter auseinander. Es lassen sich zahlreiche Absetzbewegungen beobachten: Stadt versus Land, reich gegen arm, digital gegen analog. Wenige Superreiche erwirtschaften mit ihren Finanz- und Immobiliengeschäften immer größere Gewinne, wobei die Mittelschicht sich von finanziellem Abstieg bedroht sieht. Ein sogenannter “prekarisierter” Teil der Gesellschaft nimmt kaum noch an öffentlichen Prozessen teil und verharrt dauerhaft in niedrigen Lohnersatzleistungen und Mindestrenten. Auch stetiges Wirtschaftswachstum ändert daran für diesen Bevölkerungsteil nichts und trägt zu keiner Stabilisierung bei. Darüber hinaus wird immer unklarer, was lokale und nationale Politik überhaupt noch bewirken können. Auch in Deutschland zieht mit der AfD erstmals seit den 70er Jahren eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag; gleichzeitig gibt es eine Kernschmelze bei den Volksparteien, worunter besonders die Sozialdemokratie leidet. Die Demokratie in Deutschland steht also vor immensen Herausforderungen: Auf allen Ebenen stellt sich die Frage, wie sieht es mit der Partizipation der Bevölkerung am politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess aus? Wie können gerade …